„Die Kirche hat versagt“Kölner Pfarrer legt Kardinal Woelki Rücktritt nahe

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Hans Mörtter sieht die Glaubwürdigkeit der Kirche insgesamt auf dem Spiel und spricht von einem Versagen in der Corona-Krise. Das Foto zeigt den Pfarrer während der Christvesper in der Lutherkirche.

von Markus Krücken (krue)

Köln – Die Kirche und kein Ende. Gerade in der Corona-Krise gibt die Geistlichkeit für viele Gläubige alles andere als ein gutes Bild ab.

Im EXPRESS-Interview nimmt Hans Mörtter (64) von der Lutherkirche aus der Kölner Südstadt Stellung.

Man merkt, dass die Zeit auch beim Pfarrer Spuren hinterlassen hat.

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Pfarrer Mörtter, in Köln tobt die Debatte, ob Kardinal Woelki zurücktreten muss. Oder sollte. Oder müsste? Was sagen Sie?

Mörtter: Für mich ist es schwierig als Protestant dazu etwas zu sagen.

Doch ich finde: Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, die er sich gerade verspielt. Ich bin da zwiegespalten. Ich bin ein Freund der Fehlerfreundlichkeit, der sagt: Immer Vorsicht mit dem Bashing. Dahinter steht ja auch ein System was zum Missbrauch geführt hat. Das muss auf den Prüfstein.

Hans Mörtter: Woelki-Rücktritt wäre konsequent

Ich bin der Ansicht, das System müsste reformiert werden, indem Frauen zugelassen werden auch in priesterliche Ämter. Solang Männer dieses Machtmonopol haben, kann es immer wieder zu diesem Missbrauch kommen.

Schockiert Sie das Ausmaß der Kirchenaustritte?

Mörtter: Sowas ist auch für uns Protestanten ein Kollateralschaden. Denn es gibt genug, die pauschal sagen: Das ist die Kirche. Und nein, Kirche ist so nicht. Kirche besteht aus Menschen, da ist der Kardinal für die Katholiken eine ganz wichtige Figur. Die Glaubwürdigkeit macht man an Menschen fest. Natürlich wäre ein Rücktritt deshalb konsequent.

Ich würde ihm abnehmen, dass er es ernst meint mit der Aufklärung. Doch die betroffenen Menschen nimmt er, finde ich, zuwenig ernst.

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Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln beim Eröffnungsgottesdienst der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Fuldaer Dom am 22. September 2020. Der Kardinal hatte sich in der Christmette im Kölner Dom zu den Missbrauchsfällen geäußert. 

Sie haben jüngst gesagt: Die Kirche hat in der Corona-Krise versagt. Wie meinen Sie das?

Mörtter: Insgesamt haben beide Kirchen ab März zuwenig begriffen, dass es nicht allein an Gottesdiensten hängt. Statt zu fragen: Wem geht es eigentlich beschissen? Wer braucht außer Gebeten noch mehr?

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Hans Mörtter spricht im EXPRESS-Interview Klartext.

Ich habe wenig direkte Hilfen erlebt. Da geht einer bankrott, was ist mit denen, den Künstlern? Kommst du klar? Dieses Nachfragen bei den Menschen in der Gemeinde, das meine ich. Die Kirche kann auch durch Corona lernen. Nämlich wieder zu den Menschen zu gehen. Bei der Lutherkirche, finde ich, kann man sehen, das funktioniert.

Wer baut Sie eigentlich gerade auf in dieser Zeit?

Mörtter: Kraft gibt mir die Solidarität vieler Menschen, die in den Keller gehen und ihre Spielsachen heraussuchen, um sie uns in die Kirche zu bringen, anstatt sie bei eBay zu verticken. Dann die glücklichen Kinder zu sehen, das gibt mir Kraft. Dazu die große Spenden-Solidarität, die mir Handlungsfähigkeit schenkt und das gute Gefühl, da stehen viele Kölner hinter mir.

Wieviel Geld an Spenden haben Sie besorgt über Ihren Corona-Fonds, der an Opfer der Krise verteilt wird?

Mörtter: Knapp 360.000 Euro.

Vergessen oder verdrängen wir wegen Corona die Situation der Flüchtlinge?

Mörtter: Ja, eindeutig. Am 23. Dezember hat der Flüchtlingsrat auf Moria einen Brief veröffentlicht, in dem er fordert, dass den Geflüchteten zumindest die Rechte von Tieren zugestanden werden. Nichts von solchen Dingen erfahre ich hier in den Medien. Corona ist in den Gottesdiensten das Thema, das über allem steht.

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Südstadt-Pfarrer Hans Mörtter mit Kids im Flüchtlingslager auf Samos (Griechenland).

Wie sprechen Sie selbst in Ihren Gebeten zu Gott?

Mörtter: Ich bete frei so wie ich das privat tue, abends im Bett, da mach ich die Augen zu, Ich denke an Menschen konkret. Zum Beispiel an den 11-jährigen Omar aus dem Lager auf Samos. Es ist ein vertrautes Zwiegespräch, ich rede zu einem Freund. Aus dem ich Kraft kriege, und das Kraft freisetzt. Das hat für mich viel mit Urvertrauen zu tun, ich bin nicht alleine, nichts ist hoffnungslos.

Wenn Sie die leeren Straßen und Läden sehen, was gibt Hoffnung?

Mörtter: Es ist ein Drama. Bis Ende März. Ich hake bei Müttern, Künstlern, den Geschäftsleuten nach, sie haben nicht mit der Länge des Lockdowns gerechnet. Das haut die wenigen Reserven weg. Was mir Hoffnung gibt, ist, dass wir in den Stadtteilen wieder unsere Händler und Gastronomen anders wahrnehmen.

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Der beliebte Veedels-Laden in der Darmstädter Straße gibt infolge von Corona auf.

Dass die ein Teil von uns sind. Ich rufe auch laut auf: Geht dort einkaufen, nehmt die To-Go-Angebote an und holt euch das Essen dort, bestellt bei den lokalen Händlern online statt bei Amazon.

Wie sind die Rückmeldungen?

Mörtter: Es geht in den sozialen Netzwerken ab. Danke, dass du Klartext redest, höre und lese ich sehr oft.