IndustrieEnergiefirma steigt bei Thyssenkrupp-Stahlsparte ein

Blick auf die Konzernzentrale von Thyssenkrupp.

Blick auf die Konzernzentrale von Thyssenkrupp.

Wird Stahl mit Wasserstoff produziert, steigt der Energiebedarf enorm. Thyssenkrupp holt sich für seine Stahlsparte jetzt eine Energiefirma ins Haus. Deren Besitzer ist in Deutschland nicht unbekannt.

Deutschlands größter Stahlhersteller Thyssenkrupp Steel bekommt ein Energieunternehmen als Miteigentümer. Der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky übernimmt mit seiner Holding EPCG zunächst 20 Prozent der Stahlsparte des Industriekonzerns Thyssenkrupp. Über die Übernahme von weiteren 30 Prozent wird verhandelt. Ziel sei weiter die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Partner je 50 Prozent halten, teilte Thyssenkrupp am Freitag in Essen mit. Arbeitnehmervertreter äußerten sich kritisch und forderten die Einhaltung von Tarifverträgen.

Der Anteilsverkauf kommt nicht unerwartet: Thyssenkrupp hatte die Verhandlungen mit Kretinsky über einen Einstieg ins Stahlgeschäft schon Ende November öffentlich gemacht.

Thyssenkrupp-Chef López: EPCG ist „starker Energiepartner“

„Gemeinsam wollen wir ein leistungsstarkes, profitables und zukunftsorientiertes Stahlunternehmen schaffen“, sagte Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López. Das Unternehmen werde die Kosten der Dekarbonisierung auf ein wettbewerbsfähigeres Niveau senken und so die grüne Transformation der Stahlindustrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität beschleunigen. „Ein starker Energiepartner wie die EP Corporate Group ist dafür essenziell.“

Kretinsky betonte laut der Mitteilung: „EPCG (...) ist finanziell stark aufgestellt, wächst und ist ein zuverlässiger Anbieter von Energie und Dienstleistungen für unsere Kunden.“ Gemeinsam werde man einen wichtigen Beitrag bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie leisten.

Thyssenkrupp verwies auf den stark steigenden Energiebedarf bei der Umstellung auf klimafreundlichere Herstellungsverfahren. EPCG soll laut der Mitteilung als strategischer Partner seine Kompetenzen einbringen, um eine ausreichende Versorgung mit Energie in Form von Wasserstoff, Grünstrom sowie der Bereitstellung von anderen Energierohstoffen zu gewährleisten. Das in neun europäischen Märkten aktive Unternehmen bringe als Energiehändler, -versorger und -lieferant umfangreiche Branchenkenntnisse mit.

Neue Anlage kostet drei Milliarden Euro

Im März hat Thyssenkrupp begonnen, in Duisburg eine wasserstofffähige sogenannte Direktreduktionsanlage („DRI-Anlage“) zu bauen, die einen Hochofen ersetzen soll. Bei dem Herstellungsverfahren werden deutlich weniger Treibhausgase freigesetzt als in Hochöfen. Die neue Anlage kostet rund drei Milliarden Euro, zwei davon übernehmen Bund und Land. Das Projekt trägt die Bezeichnung „tkH2Steel“.

Der 48 Jahre alte Kretinsky zählt seit Jahren zu den reichsten Menschen in Tschechien. Sein Imperium umfasst die Branchen Energie, Industrie, Handel, Finanzen und Medien. Unter anderem gehören ihm in Ostdeutschland ganz oder in Teilen die Braunkohlekonzerne Mibrag und Leag, die künftig verstärkt klimaneutral erzeugten Strom aus erneuerbaren Energien erzeugen wollen. Auch der größte Stromproduzent der Slowakei, Slovenske elektrarny, gehört zu seinem Firmenkonglomerat. Kretinsky ist auch größter Anteilseigner des Großhändlers Metro.

Tarifverträge: „Wir stehen zu unserem Wort“

Die Übernahme des Steel-Anteils soll noch im laufenden Geschäftsjahr 2023/24 erfolgen, das am 30. September endet. Behörden und Aufsichtsrat von Thyssenkrupp müssen noch zustimmen. Auf die bestehenden Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge habe die Transaktion keinen Einfluss, betonte das Unternehmen. „Wir stehen zu unserem Wort“, sagte López vor Journalisten.

Zu welchem Preis der Anteil verkauft wird, sagten beide Seiten nichts. Ein Experte der Baader Bank schätzt, dass Thyssenkrupp 350 Millionen bis 400 Millionen Euro erhalten könnte.

Im vergangenen Geschäftsjahr musste Thyssenkrupp Milliarden auf das Stahlgeschäft abschreiben, das unter einer schwachen Nachfrage sowie gesunkenen Preisen, gepaart mit höheren Kosten leidet. Thyssenkrupp hatte vor Kurzem den Abbau von Kapazitäten am Standort Duisburg angekündigt, der auch zu einem weiteren Stellenabbau führen wird. An den Plänen für die geplante Neuaufstellung wird EPCG laut López bereits mitwirken.

In der Sparte des Thyssenkrupp-Konzerns arbeiten rund 27.000 Menschen, davon 13 000 in Duisburg. Fast alle Standorte liegen in Nordrhein-Westfalen. López bekräftigte am Freitag das Ziel einer „wirtschaftlichen Selbstständigkeit“ der Stahlsparte.

Arbeitnehmervertreter: „Kein guter Stil und kein guter Start“

Arbeitnehmervertreter von Thyssenkrupp äußerten sich kritisch zum geplanten Einstieg. Die Nachricht komme überraschend, sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Jürgen Kerner, laut einer Mitteilung. „Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein guter Start.“ Kerner ist auch stellvertretender IG-Metall-Vorsitzender.

Die Arbeitnehmerseite habe sich nie prinzipiell gegen einen Investor ausgesprochen. „Aber wir erwarten Beteiligung der Mitbestimmung auf Augenhöhe und verbindliche Zusagen“, forderte Kerner. Nötig sei jetzt ein tragfähiges Zukunftskonzept für den weiteren Umbau Richtung grünen Stahl.

Ministerin betont Einbindung der Arbeitnehmer

Die Beteiligung könne für die klimaneutrale Transformation der Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen ein guter Schritt sein, sagte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne). „Das Gelingen dieses Prozesses hängt aber auch von der Einbindung der Arbeitnehmerseite ab.“ Die globale Überproduktion von Stahl und die Herausforderungen im Energiebereich zeigten, dass Unternehmen wie Thyssenkrupp ihre Produktionsprozesse konsequent in Richtung Klimaneutralität transformieren müssten. „Wir gehen daher weiter davon aus, dass das Unternehmen den Bau einer wasserstoffbasierten DRI-Anlage und zwei Einschmelzern vollständig wie geplant am Standort Duisburg umsetzen wird“, sagte Neubaur.

Ähnlich äußerte sich das Bundeswirtschaftsministerium. Das Projekt tkH2steel habe eine große Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie und die Zukunft des Industriestandorts Deutschland. „Uns liegen keine Hinweise vor, die einer vollständigen Umsetzung entgegen stehen“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.

Die FDP-Landtagsfraktion NRW begrüßte den Einstieg von EPCG als „Chance, die Stahlindustrie in NRW neu auszurichten“. Die Landesregierung müsse jetzt sicherstellen, dass diese Chance nicht nur Hoffnung bleibe, sondern echte Veränderungen bewirke, sagte der wirtschaftspolitische Fraktionssprecher Dietmar Brockes laut Mitteilung. „Die Zeit des Festhaltens an veralteten Strukturen muss enden. Während die Weltmarktpreise fallen, müssen wir in NRW mit innovativen Konzepten und klugen Investitionen vorangehen.“

„Duisburg muss das Herz der Stahlindustrie in Europa bleiben“, betonte Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) laut Mitteilung. Der Erhalt der Arbeitsplätze von Tausenden Beschäftigten müsse neben den wirtschaftlich notwendigen Entscheidungen höchste Priorität haben. Bei der geplanten Produktion von klimaneutralem Stahl in Europa habe sich Duisburg mit an der Spitze dieses Prozesses positioniert. „Als Stadt setzen wir weiter auf die Transformation zu grünem Stahl.“ (dpa)