Da war selbst Moderator Plasberg sprachlos: Cihan Çelik, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, beschrieb bei „Hart aber fair“ am Montag (22. November) Diskussionen mit Patientinnen und Patienten, die trotz Covid-19 die Behandlung mit Sauerstoff ablehnen würden. Unterdessen bekannte ein FDP-Politiker, persönlich eine allgemeine Impfpflicht zu unterstützen.
„Hart aber fair“Lungenarzt spricht über Erfahrung mit Patienten –Plasberg fehlen die Worte
Köln. Der Beitrag, der die Diskussion zu „hart aber fair“ am Montag eröffnete, zeigt Dr. Cihan Çelik im Einsatz. Der Oberarzt und Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie auf der Corona-Isolierstation im Klinikum Darmstadt wird wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen von der vierten Welle äußerst stark belastet.
Der Mediziner berichtete im ARD-Talk von Patientinnen und Patienten, die selbst im Krankenhaus den Ernst der Lage noch nicht verstanden zu haben scheinen. Gastgeber Plasberg wollte wissen, inwiefern sich das Frustlevel zu vorherigen Wellen unterscheide. „Naja, das ist ganz klar die absolute Vermeidbarkeit“, antwortete Dr. Çelik.
„Die Patienten werden immer jünger“, gab der Pneumologe seinen persönlichen Eindruck wieder. Dies seien gerade die Menschen, die sich besonders problemlos impfen lassen könnten. Wenn man sie nach ihren Gründen für die Ablehnung der Impfung befrage und „medizinisch nichts Nachvollziehbares dabei rumkommt, kommt der Frust natürlich hoch“. Er setze sich immer wieder mit der Problematik auseinander und suche das Gespräch. „Viele Patienten, die bei uns entlassen werden, die sagen schon, dass sie in Zukunft auch ein bisschen mehr bei der Aufklärung helfen werden.“
Eine Redakteurin aus Plasbergs Team war bei den Dreharbeiten dabei und berichtete dem Talkmaster von einer auffälligen Stille auf Station. Çeliks Erklärung: „Die meisten unserer Patienten brauchen ja auch Sauerstoff.“ Wenn diese Leuten sprächen, käme schon die Luftnot dazu. „Daher ist es doch etwas ruhiger bei uns“, bestätigte der Mediziner. „Die meisten haben Kopfhörer auf und gucken etwas apathisch in ihre Fernseher rein, aber viel gesprochen wird da nicht.“
Frank Plasberg zeigt kontroversen Tweet eines Mediziners: „Bergisch Gladbach statt Bergamo“
Im Anschluss konfrontierte Plasberg den Pneumologen mit dem anonym abgesetzten Tweet eines Kollegen, den der Gastgeber als erfahrenen Notfallmediziner und „besonnenen Mann“ vorstellte. Dies helfe bei der Einordnung, denn was dieser schreibt, ist harter Tobak: „Ich habe mich über mich selbst erschrocken, wie ich aus Frust gedacht habe – vielleicht muss es diesmal so richtig knallen.“ Vielleicht brauche es einmal „Bergisch Gladbach statt Bergamo“, heißt es in dem Beitrag. Und auch in Deutschland „richtig viele Tote. Damit es endlich alle verstehen.“
„Jeder hat eine unterschiedliche Frusttoleranz“, stellte Cihan Çelik mit den Aussagen konfrontiert fest. Für Charakterurteile - bezogen auf ungeimpfte Patientinnen und Patienten - sei jedoch „kein Platz auf Station“. Jedoch sei es so, dass mehr schwierige Diskussionen geführt werden müssten mit den Patienten im Vergleich zu den vorherigen Wellen. „Sowohl was die Therapie angeht, was die Erkrankung angeht, was unsere Fürsorge für die Patienten angeht“, erläuterte der Lungenarzt einem sichtlich fassungslosen Moderator.
Dabei gehe es auch um vermeintliche Selbstverständlichkeiten, die teils von den zu Behandelnden infrage gestellt werden: „Wir diskutieren über den Sinn von Sauerstoff, über den medizinischen Nutzen von Sauerstoff. Therapien werden abgelehnt.“
„Hart aber fair“: Hat die Politik „zu viel auf die Minderheit geschaut“?
Natürlich war auch die Politik in der Corona-Diskussion vertreten. Unter anderem Joachim Stamp von der FDP, Minister für Kinder, Familie und Integration in Nordrhein-Westfalen. „Wir haben ja auch jetzt während der Pandemie auch nochmal deutlich Personal auf den Stationen verloren“, sagte Stamp. „Da hilft es eben nicht, wenn man auf dem Balkon steht und klatscht, sondern da braucht es eine andere Wertschätzung“ - die neue Bundesregierung müsse das angehen.
Alles nichts Neues, doch es gab auch einen konkreten Vorschlag: „Und zwar bin ich der Meinung, dass wir jetzt akut in dieser Situation eine Rückkehrprämie anbieten sollten, eine hohe Netto-Rückkehrprämie für diejenigen, die ausgestiegen sind, um sie jetzt für die aktuelle Situation zu binden.“ Eine „Anerkennungsprämie“ für die verbliebenen Pflegekräfte solle es auch geben.
Auch das heiße Eisen Impfpflicht für alle war Teil der Debatte - und alle hatten eine Meinung. Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland EKD, zitierte eine Forsa-Studie aus der hervorgehe, dass ein großer Teil der Ungeimpften sich auf gar keinen Fall impfen lassen wolle. „Dann ist mir klar geworden: Das wird keinen Sinn haben, das können wir noch wochenlang so weitermachen.“ Man würde nur Zeit verlieren. „Wir haben jetzt eine Situation, da ist mir der Schutz der besonders Vulnerablen - das sind die Alten und vor allem die Kinder - wichtiger als dieses Zusammenführen aller unterschiedlicher Meinungen“ - das spräche für eine Impfpflicht.
Journalistin Kristina Dunz war der Meinung, die Politik habe zu viel auf „die Minderheit geschaut, sie hat sich ein bisschen gefürchtet vor diesem überraschenden Protest der Impfgegner“. CSU-Politiker Markus Blume erklärte daraufhin, es sei ganz natürlich, dass man in einer freiheitlichen Gesellschaft erst mal die niedrigschwelligsten Instrumente versuche zu bemühen. Für die jetzige Situation sei es zu spät, doch für die nahe Zukunft denkt Blume: „Wenn wir uns vor der fünften Welle schützen wollen, dann ist klar, dass es nur ein Instrument gibt, um diese Dauerschleife zu verlassen, und das ist tatsächlich die Impfpflicht für alle.“
„Hart aber fair“: FDP-Politiker spricht sich für Impfpflicht aus
Eine Partei, die sich bislang vehement gegen eine Impfpflicht aussprach, ist die FDP. Doch Frank Plasberg rang deren Vertreter Joachim Stamp nach mehrmaligem Nachboren – „Sie haben meine Frage noch im Kopf?“ - schließlich ein Bekenntnis ab. In der zurückliegenden Woche habe er sich noch skeptisch geäußert, die lange ausgeschlossene Impfpflicht sei auch eine „Frage von Glaubwürdigkeit in der Politik“.
Plasberg blieb dran, und letztlich erklärte Stamp: „Wenn Sie mich hätten ausführen lassen, dann wäre das danach als Satz gekommen, dass ich persönlich mir das gut vorstellen kann.“
In den Parteien werde dies aber kontrovers diskutiert. Es gäbe einen „großartigen Verfassungsrechtler“, so Stamp, der „mich auch ganz wesentlich am vergangenen Wochenende überzeugt hat, muss ich ganz ehrlich sagen“. Es sei schließlich „ein lernender Prozess von uns allen“. (tsch)