Pflegenotstand„Stück TV-Geschichte“: Konkurrenz reagiert auf Joko & Klaas
Köln – Sie haben es mal wieder getan: Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf haben am Dienstag (30. März 2021) den Sender ProSieben besiegt und damit 15 Live-Minuten zur besten Sendezeit gewonnen. Am Mittwoch (31. März 2021) um 20.15 Uhr strahlte ProSieben deshalb vor dem regulären Abendprogramm „Joko und Klaas LIVE“ aus. Und dabei sollte es zu einem echten Novum kommen.
- Joko und Klaas: Fast sieben Stunden Sendezeit
- Joko und Klaas bitten ProSieben um Hilfe
- Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf nutzen Sendezeit, um auf Pflege-Notstand aufmerksam zu machen
Zu Beginn ihrer Sendung betont Klaas Heufer-Umlauf, dass es um ein Thema gehe, „das es verdient hat, auch über diese Sendung hinaus gesehen zu werden“. Was die Zuschauer nun sehen werden, widerspreche „jeder Regel des Fernsehens“. Auch Joko Winterscheidt sagt, dass es ein Thema sei, „das uns alle betrifft“.
Dann beginnt ein Filmbeitrag. Der den Rahmen von 15 Minuten deutlich sprengen sollte. Und damit tatsächlich die Gesetze der Show außer Kraft gesetzt hat – genau wie die Aufmachung.
Joko und Klaas: Arbeitstag einer Mitarbeiterin in einer Klinik
Ungeschnitten sieht man den Arbeitstag einer Mitarbeiterin des Knochenmarktransplantationszentrums Münster. Man sieht, wie sie um kurz vor 6 Uhr ihren Dienst antritt. Vom Parken im Parkhaus, über den Gang durchs leere Treppenhaus, das Umziehen, der Übergabe durch die Nachtschicht bis hin zu den ersten Handgriffen am Arbeitstag, den Visiten bei den Patienten. Alles, ungeschnitten, ohne Werbung.
Zwischendurch kommen immer wieder Krankenschwestern, Kranken- und Altenpfleger zu Wort. Sie machen auf den dramatischen Pflegenotstand aufmerksam, schildern eindringlich die Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, machen deutlich, dass sie an ihren Grenzen und schon längst darüber hinaus arbeiten. Schon vor Corona, aber seit der Pandemie noch umso mehr.
Joko und Klaas: Es geht um den Pflegenotstand
Das Motto der Sendung: Nicht selbstverständlich. Die Message der Pfleger: „Wir sind einfach 'selbstverständlich'. Aber das sind wir nicht.“
Und die Aussagen der Pfleger sind tatsächlich schockierend. Intensivpfleger Ralf Berning aus Bielefeld etwa, der auch schon im Krisenherd Afghanistan war, meint: „Ich würde lieber wieder nach Afghanistan fliegen, als noch mal diese Zeit (Corona, d. Red.) mitmachen zu müssen.“
Jemand anderes erzählt: „Schon vor Corona waren viele Kliniken am Rande der Belastung.“ Jetzt sei es nur noch schlimmer.
Pflegekräfte – die Liste der Mängel
Personalmangel, schlechte Bezahlung, wenig Anerkennung. Die Liste der Mängel, die aufgezählt werden, ist lang. Hier einige Beispiele der Missstände, die von Mitarbeitern aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Pflege geschildert werden:
- „Pflegekräfte gehen tagtäglich mit dem Gefühl nach Hause, ihre Arbeit nicht geschafft zu haben. Mit der Angst, Fehler gemacht zu haben, die Konsequenzen haben.“
- „Es wird nicht mehr eingeplant, dass Leute ausfallen […] Jeder Ausfall muss irgendwie aus dem Team kompensiert werden. Das bedeutet immer Mehrarbeit.“ Einige Kollegen hätten 200, 300 Überstunden – „damit brennt man die Pflegekräfte aus.“
- „Ich wünsche mir, dass die Pflege mehr Anerkennung bekommt und die Anerkennung, die sie verdient.“
Altenpflegerin berichtet bei Joko und Klaas: Mit 35 Bewohnern alleine
Eine Altenpflegerin berichtet, dass morgens manchmal zwei Pfleger mit 35 Bewohnern alleine seien: „Da fällt die Pflege sehr, sehr schlecht aus.“
Doch die Protagonisten machen auch klar, dass sie ihren Beruf lieben. Man bekomme so viel zurück – und wenn es nur ein Lächeln sei. Sie sprechen von einem „einzigartigen“ Beruf. „Ich helfe Menschen, ich rette Menschenleben, aber man begleitet auch Menschen, wo es vielleicht klar ist, dass sie sterben, wo aber vielleicht kein anderer da ist“, erzählt ein Pfleger.
Krankenpfleger aus Köln fordert Politik zum Handeln auf
Sie alle fordern die Politik, die Gesellschaft, die Kliniken zum Handeln auf. „Ohne Pflegepersonal kann man keinen Patienten auf einer Intensivstation behandeln“, sagt Krankenpfleger Dominik Stark aus Köln. „Wenn sich nichts ändert, werden wir eine Situation erleben, die wirklich, wirklich dramatisch wird“, meint Alexander Jorde.
Sogar die Konkurrenz meldete sich zu Wort:
So twitterte RTL: „Starke Aktion! Ein beeindruckendes Zeichen für die Pflege!“ Und auch der Sender Arte schreibt: „Was da gerade bei @ProSieben passiert, dürfte ein Stück deutsche TV-Geschichte sein. Chapeau!“
Auch arte war beeindruckt und twitterte: „Was da gerade bei ProSieben passiert, dürfte ein Stück deutsche TV-Geschichte sein. Chapeau.“
Es müsse etwas an der Bezahlung, an der Arbeitssituation geändert werden. Es werde immer viel erzählt, am Anfang von Corona wurde geklatscht – doch nichts ist passiert. „Die Würde des Menschen fängt nicht beim Patienten an und härt beim Patienten auf. Die geht auch beim Personal weiter“, meint jemand.
Die Message ist klar: „Wir brauchen eine Lobby.“ Denn: „Wir können nicht einfach streiken.“ Man könne nicht einfach, die Intensivstation einen Tag zumachen, dann würden Menschen sterben.
Es ist ein flammender Appell an die Politik. Und ein tatsächlich einzigartiger Beitrag auf einem deutschen Privatsender. Auch Politiker wie Olaf Scholz und Saskia Esken reagieren auf Twitter mit Lob.
Wieso haben Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf Live-Sendezeit am Abend?
Die Live-Minuten haben Joko und Klaas in der Show „Joko und Klaas gegen ProSieben“ gewonnen. In dieser treten sie in Herausforderungen gegen ihren Sender an. Gewinnen sie, erhalten sie 15 Minuten Sendezeit, mit denen sie machen können, was sie wollen. Verlieren sie, müssen sie sich uneingeschränkt in den Dienst ihres Arbeitgebers stellen.
Bereits achtmal hatten Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf zuvor Sendezeit auf ProSieben gewonnen.
Für viel Aufsehen hatte etwa ihre heftige Aktion „Männerwelten“ gesorgt, in der sie sexuelle Gewalt gegenüber Frauen thematisiert haben. In anderen Ausgaben hatten sie 10.000 Euro an Zuschauer verschenkt, live das Programm des Konkurrenten RTL kommentiert oder der verheerenden Situation an den EU-Außengrenzen Aufmerksamkeit geschenkt. (so)