BundestagswahlMerz siegt, Scholz am Boden: Was das Wahlergebnis bedeutet

Union klarer Wahlsieger der Bundestagswahl.

Union klarer Wahlsieger der Bundestagswahl.

Deutschland hat gewählt und es gibt einen klaren Sieger. Die Regierungsbildung könnte trotzdem schwierig werden. Aber die Zeit drängt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist krachend gescheitert und seinem Herausforderer Friedrich Merz (CDU/CSU) deutlich unterlegen: Deutschland steht knapp vier Monate nach dem Bruch der Ampel-Koalition vor einem Regierungswechsel. Was die Ergebnisse der Bundestagswahl bedeuten:

Wer ist der große Sieger?

Die Union mit ihrem Kanzlerkandidaten Merz an der Spitze hat zwar deutlich schwächer abgeschnitten als erhofft. Mit 28,4 bis 28,6 Prozent (Hochrechnungen Stand 20.12 Uhr) sind CDU/CSU trotzdem die klaren Wahlsieger und haben den Auftrag zur Regierungsbildung. Merz hat nun beste Chancen, der zehnte Kanzler der Bundesrepublik Deutschland zu werden - wenn bei der Regierungsbildung nichts schiefgeht. „Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird“, sagte er nach den ersten Hochrechnungen. Das Land könne sich aber nun keine langatmige Regierungsbildung leisten: „Die Welt da draußen wartet nicht auf uns.“

Wer ist der klare Verlierer?

Kanzler Scholz hat das Wunder von 2021 nicht wiederholen können. Damals hat er im Wahlkampf etwa 15 Prozentpunkte Rückstand auf die Union aufgeholt und war mit einem knappen Vorsprung ins Ziel gekommen. Diesmal sind die Sozialdemokraten im Umfragetief stecken geblieben. Mit 16,3 bis 16,4 Prozent haben sie ihren historischen Tiefpunkt bei Bundestagswahlen erreicht (bisher 20,5 Prozent 2017) und sogar das schlechteste Ergebnis bei einer nationalen Parlamentswahl seit 138 Jahren.

Wer wird dafür geradestehen?

In erster Linie Olaf Scholz als Kanzlerkandidat. Seine Tage als Regierungschef sind gezählt. Der 66-Jährige räumte in einer ersten Reaktion im Willy-Brandt-Haus die Wahlniederlage ein und übernahm Verantwortung dafür. Sein Amt werde er „bis zum letzten Tag ausüben“, sagte er. Er machte aber auch deutlich, dass dann Schluss ist: „Jetzt ist es an anderen, den Weg zu suchen, wie eine Regierung gebildet werden kann.“ Er selbst werde bei Koalitionsgesprächen nicht als Verhandlungsführer der SPD auftreten, sagte er in der „Berliner Runde“. 

Gibt es noch weitere Konsequenzen in der SPD?

Das ist noch unklar. Parteichef Lars Klingbeil sprach sich am Sonntag für einen Generationswechsel in der SPD aus - an seinem 47. Geburtstag. „Dieses Ergebnis wird Umbrüche erfordern“, sagte er. Was das heißt, ist offen. Derzeit wird vor allem über einen Rückzug der 63-jährigen Co-Vorsitzenden Saskia Esken spekuliert.

Was ist mit den anderen Ampel-Parteien?

Die zerbrochene Ampel-Koalition hat vom Wähler die Quittung für drei Jahre Dauerstreit bekommen: 2021 kamen SPD, Grüne und FDP zusammen noch auf 52 Prozent, jetzt sind es nicht einmal 34 Prozent. Die FDP lag 2021 noch bei 11,4 Prozent und kämpft nun mit der Fünf-Prozent-Hürde. Vergleichsweise glimpflich kommen da noch die Grünen davon: Sie fallen von 14,7 auf 12,2 bis 12,3 Prozent.

Wer hat sonst noch gewonnen?

Die AfD hat ihr Ergebnis von 10,4 Prozent auf 20,4 Prozent etwa verdoppelt. Noch nie war eine vom Verfassungsschutz als in Teilen rechtsextremistisch eingeschätzte Partei so stark im Bundestag vertreten. Koalieren will aber weiter niemand mit ihr. Auch Wahlsieger Merz, der zuletzt mit Hilfe der AfD einen Migrationsbeschluss im Bundestag erreichte, ist um Eindeutigkeit bemüht. Seine Absage sei „endgültig“, bekräftigte er schon vor der Wahl. 

Was ändert sich durch das Ergebnis der AfD?

Die AfD ist bei der Wahl zur zweitstärksten Partei geworden und wird damit wie 2017 bis 2021 wieder stärkste Oppositionskraft im Bundestag. Das hat nicht nur symbolische Bedeutung. Die AfD wird künftig zuerst auf Regierungserklärungen antworten und die Generaldebatten zum Haushalt eröffnen. Eine wichtige Marke hat sie nicht erreicht: Sie wird weniger als ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag stellen und kann damit weder Untersuchungsausschüsse im Alleingang einsetzen noch Grundgesetzänderungen blockieren.

Wer ist die große Überraschung?

Die Linke hatten viele schon abgeschrieben. Nach den Erfolgen des BSW von Sahra Wagenknecht auf Landesebene wurden ihrer Ex-Partei nur noch geringe Chancen bei der Bundestagswahl eingeräumt. Die Diskussion um die „Brandmauer“ zur AfD und eine clevere Kampagne hat der Linken aber ein Comeback ermöglicht. Mit 8,5 bis 8,9 Prozent steht sie nun auf Platz fünf. Das BSW muss dagegen um den Einzug ins Parlament bangen. Eine Regierungsbeteiligung der beiden Parteien gilt aber ohnehin als ausgeschlossen: Für ein Bündnis von SPD, Grünen, der Linken und dem BSW reicht es nicht.

Welche Regierungskoalitionen sind denn möglich?

Die große Frage ist zunächst: Kommt die Union bei der Regierungsbildung mit nur einem Koalitionspartner aus oder braucht sie zwei, um auf eine Mehrheit zu kommen? Nach den Hochrechnungen ist das zunächst unklar - vor allem weil am Wahlabend lange offen bleibt, ob FDP und BSW in den Bundestag kommen. 

Mit wem würde Merz am liebsten regieren?

Die erste Wahl für die Union und Merz wäre ein Zweierbündnis mit der SPD. Eine Koalition mit den Grünen will die CSU vermeiden, ihr Chef Markus Söder schließt dies aber nicht aus. Er wolle Merz nichts vorgeben, aus Sicht der CSU sei aber ganz eindeutig: „Eine Regierung ohne die Grünen ist eine bessere Regierung“. Rechnerisch wäre sie wohl auch nicht möglich, selbst wenn FDP und BSW draußen bleiben. 

Passen Union und SPD zusammen? 

Ein Selbstläufer würde das nicht. Die SPD stellt Merz seit seinem umstrittenen AfD-Manöver im Bundestag als einen Mann dar, dem man nicht trauen kann. Allerdings will man ihn auch nicht in die Arme der AfD treiben. In den Kernfragen Wirtschaftspolitik und Migration stünden sehr harte Verhandlungen an. Merz will in beiden Feldern einen echten Politikwechsel. Die massiv geschwächte SPD hat aber ein Druckmittel: Die Basis wird dem Verhandlungsergebnis auf einem Parteitag oder einem Mitgliedervotum zustimmen müssen. Parteichef Klingbeil betont bereits, Verantwortung übernehmen könne die SPD auch aus der Opposition. 

Was ist, wenn es keine Mehrheit für ein Zweierbündnis gibt?

Dann wird es kompliziert. Es gibt zwei Optionen: Eine sogenannte Deutschlandkoalition (benannt nach den Landesfarben) von Union, SPD und FDP wäre Merz dann wohl am liebsten. Die Sozialdemokraten wären eher für eine Kenia-Koalition von Union, SPD und Grünen. Dass Union, Grüne und FDP zusammengehen ist nicht vorstellbar. Die FDP hat ein Bündnis mit den Grünen sogar per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.

Wie lange wird die Regierungsbildung dauern?

Merz wünscht sich, dass die Regierung bis Ostern steht. Bis Gründonnerstag sind es 54 Tage. Machbar ist das, aber auch ambitioniert. Sollte es bei der SPD zu einem Mitgliedervotum kommen, ist es ziemlich unrealistisch. 

Wie war es denn bei früheren Wahlen?

Die Rekordzeit von der Wahl bis zur Vereidigung des Kabinetts liegt bei 23 Tagen: Sowohl Willy Brandt (SPD) 1969 als auch Helmut Kohl (CDU) 1983 einigten sich in dieser kurzen Zeit mit der FDP. 2017 brauchte Angela Merkel (CDU) dagegen 171 Tage, also fast ein halbes Jahr, bis sie mit einer schwarz-roten Regierung in ihre vierte und letzte Amtszeit als Kanzlerin starten konnte. Der Grund war das zwischenzeitliche Scheitern der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition von CDU/CSU, Grünen und FDP. 

Warum ist der Zeitdruck diesmal besonders groß?

Weil die Welt gerade in dramatischer Weise neu geordnet wird. Während Deutschland sich sortiert, wird US-Präsident Donald Trump demnächst mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin über die Zukunft der Ukraine verhandeln. Die EU steht hilflos und zerstritten daneben. Und Deutschland hat einen Kanzler auf Abruf. Auch wichtige innenpolitische Entscheidungen etwa zur Ankurbelung der Wirtschaft bleiben mindestens bis April oder Mai liegen. Vielleicht sogar noch länger.

Wie funktioniert das Regieren in der Übergangszeit? 

Scholz bleibt zwar bis zur Vereidigung einer neuen Regierung im Amt. Wenn der neue Bundestag erstmals zusammenkommt, ist er aber nur noch geschäftsführender Kanzler - ohne Macht. Scholz wird weiter internationale Termine wahrnehmen, zu Gipfeln fliegen. Aber wichtige Entscheidungen kann er nicht mehr ohne Absprache mit Merz treffen. 

Was wird aus Olaf Scholz nach seiner Kanzlerschaft?

Scholz hat schon vor der Wahl klar gesagt, dass er einer Regierung eines Kanzlers Merz nicht angehören wird. Seine politische Karriere ist wahrscheinlich trotzdem nicht ganz beendet. Wenn er seinen Wahlkreis in Potsdam gewinnt, will er bis zur nächsten Wahl im Bundestag bleiben. „Das höchste Amt, in das man in Deutschland direkt gewählt werden kann, ist das des Abgeordneten im Deutschen Bundestag“, sagt er. 

Was wird aus Robert Habeck?

Eine Beteiligung der Grünen an der Bundesregierung ist nach den Hochrechnungen wohl nur in einer Dreierkoalition möglich. Käme es zu solchen Gesprächen, wird der Grünen-Kanzlerkandidat mitverhandeln. Ein Ministeramt wäre ihm im Erfolgsfall praktisch sicher. Gehen die Grünen in die Opposition, ist völlig unklar, was aus Habeck wird. Zu den wenigen attraktiven Ämtern, die noch zu vergeben sind, gehört der Fraktionsvorsitz. Hier hat Annalena Baerbock aber die deutlich besseren Karten und einen zweiten Realo an der Spitze werden die Parteilinken nicht akzeptieren. Auch ein Rückzug Habecks ins Private gilt als möglich. 

Was wird aus Christian Lindner?

Sollte die FDP einer neuen Regierung angehören, wird Lindner es sich wohl nicht nehmen lassen, wieder Minister zu werden. Doch das ist am Wahlabend zunächst völlig offen. Für den anderen Fall ist Lindner bereits sortiert: „Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist das völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide“, sagte der FDP-Chef in der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF. Gut möglich, dass er sich dann erstmal der Familie widmet - schließlich ist sein erstes Kind unterwegs - und dann einen Job in der Wirtschaft anstrebt. 

Was wird aus Sahra Wagenknecht?

Die BSW-Gründerin hat mehrfach erklärt: „Die Wahl ist natürlich auch die Entscheidung über meine politische Zukunft.“ Wer nicht im Bundestag sitze sei „in der deutschen Politik kein relevanter Faktor mehr“. Sollte sie sich bei einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zurückziehen, wird es auch für das erst 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht schwierig - obwohl das BSW im Europaparlament und in drei Landesparlamenten sitzt und in Thüringen und Brandenburg auch in der Regierung. (dpa)