Heute ist Iris Sayram eine hochangesehene Journalistin. Doch die neue ARD-Hauptstadt-Korrespondentin hat schwere Zeiten hinter sich – und zwar in Köln ...
Mutter ging auf den StrichARD-Korrespondentin packt aus: Meine Kindheit mit Junkies und Nutten in Köln
Es ist eine Kindheit und Jugend in Not und Armut mitten in Köln – und das in den 80er- und 90er-Jahren. Hier wächst die Kölnerin Iris Sayram (48) auf, zwischen Friesen- und Rudolfplatz, zwischen Puffs und Clubs, Bars und Bordellen.
Zocker, Junkies, Nutten gehen in ihrer Familie ein und aus. Der Vater ist spielsüchtig, die Mutter verdient ihren Lebensunterhalt als Klofrau und auf dem Strich, infiziert sich mit HIV, landet mehrere Male im Gefängnis.
ARD-Korrespondentin: Iris Sayram hat ein Buch über ihre Kindheit in Köln geschrieben
Es sind Erlebnisse, die viele Menschen liebend gern in eine Schublade legen und für immer abschließen würden.
Doch Iris, inzwischen preisgekrönte Journalistin mit Doktortitel in Jura und seit Januar 2023 ARD-Hauptstadt-Korrespondentin, hat die Schublade weit geöffnet und über diese Zeit ein großes Buch geschrieben, das zum heimlichen Bestseller in Köln geworden ist: „Für euch“ (Claasen Verlag, 23 Euro). Ein ehrlicher, ungeschminkter Blick in eine Welt, von der wir wissen, dass es sie gibt – aber über die viele gern hinwegsehen.
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„Das musste endlich raus aus mir. Ich kann diese Dinge nicht für immer wegschließen. Es hätte mich kaputt gemacht, nie mehr darüber sprechen zu können“, sagt sie Gespräch mit dem EXPRESS.
Dubiose Freundschaften, Leben auf dem Strich, Ladendiebstahl – auf dem ersten Blick kommt die Mutter in ihren Zeilen nicht so gut weg.
„Stimmt“, sagt Sayram, „ich gebe zu, dass ich mich in meiner Kindheit und Jugend lange für meine Mutter geschämt habe. Dabei habe ich nie bedacht, dass sie mit ihrer Art der Arbeit viel Geld verdient und uns davon im Überfluss gegeben hat. Das habe ich gern genommen, dafür habe ich mich damals nicht geschämt. Dafür schäme ich mich aber heute!“
Iris Sayram: „Meine war eine tolle Frau, trotz all ihrer Fehler“
Jetzt weiß sie: „Meine Mutter war eine tolle Frau, trotz all ihrer Fehler.“
Mutter Deutsche, Vater Türke: Wie war das Leben in Köln für junge Mädchen mit diesem Hintergrund in den 80ern? „Teilweise war es sehr schlimm. Da waren Sachen sagbar, die heute undenkbar sind – es gab die gemeinen Türkenwitze, mein Vater wurde als ‚Kümmeltürke‘ und ‚Kameltreiber‘ beschimpft”, erinnert sie sich.
„Als dann die Anschläge in Solingen und Mölln stattfanden, habe ich wirklich Angst gehabt. Erst ab Mitte der 90er wagte sich die altkölner Hausfrau, die bisher nur Himmel und Äd kannte, auch mal an einen Döner und fand ihn gut. Und dann wurde es besser!”
Was waren für Sie die schlimmsten Momente Ihrer Kindheit? „Die zwei Jahre, die meine Mutter in Ossendorf im Gefängnis war. Ich war zehn Jahre alt, als die Polizei sie abholte. Meine Eltern lebten da schon getrennt, ich zog in das kleine Appartement meines Vaters an der Aachener Straße, gegenüber dem Café Bauturm. Es war schwer, ohne sie durchzukommen, wir hatten kaum Geld und oft keinen Strom.“
Wo hat sie damals gespielt? „Einer meiner liebsten Orte war die U-Bahn-Haltestelle Appellhofplatz – wir nannten sie nur die ‚Fünf‘. Sie war total verdreckt, aber wir waren da alleine. Wir haben da unsere erste Zigarette geraucht und mal hier und da einen Böller knallen lassen, der Hall war mega dort. Und es gab eine lange Rolltreppe, die man schön runterrutschen konnte. Obwohl alles so schmutzig war und manchmal nach Pisse gerochen hat, war das unser Spielplatz.”