KommentarDeutzer Freiheit in Köln: Lebensrealität? Wer sich hier an die eigene Nase fassen sollte

Die autofreie Deutzer Freiheit am 13. Juli 2022.

Die autofreie Deutzer Freiheit am 13. Juli. Autos dürfen hier auch in Ausnahmen nicht mehr fahren.

Einer Seniorin wird wegen Parkplatzmangels an der autofreien Deutzer Freiheit gekündigt. „Komplett an der Lebenswirklichkeit vorbei“, sagt unser Autor. Ein EXPRESS.de-Kommentar.

von Bastian Ebel  (bas)

Ist doch klar: Unsere Stadt soll schöner werden. Ohne Lärm. Ohne Müll. Die Gastronomie soll sich entfalten können, die Kölner Innenstadt soll für die Bürgerinnen und Bürger ein Lebensraum werden, in dem man sich wohl fühlt.

Am Beispiel der Deutzer Freiheit wird schnell klar: Es ist angenehm auf der Straße zu flanieren, ohne dass Autos die Straße kreuzen. Man wechselt von einer zur anderen Straßenseite. Es sei denn, Rad-Rambos fahren dich über den Haufen, was oft genug vorkommt. Schöne autofreie Welt.

Deutzer Freiheit: Pflegedienste müssen durchfahren dürfen

Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille – und die wurde im speziellen Fall der bemitleidenswerten Rentnerin Christa (88) nicht bedacht: Pflegebedürftige Seniorinnen und Senioren werden bei diesen „Autofrei-Projekten“ einfach im Stich gelassen.

Die Verwaltung sagt dazu sinngemäß: „Sollen die Pflegedienste doch 100 Meter laufen.“ Oder irgendwo ringsherum in Ladezonen parken. Falsch! Insbesondere im Pflegebereich (der Notstand dürfte überall bekannt sein) kommt es mittlerweile auf Minuten an.

Dass eine Pflegekraft noch Spaziergänge erledigen soll, bevor sie zu den Menschen kommt – komplett an der Lebenswirklichkeit vorbei. Wer die Parkplatzsituation in Deutz kennt, weiß, dass es eben nicht so einfach ist, „mal eben“ irgendwo zu parken. Deshalb ist dem Pflegedienst hier auch kein Vorwurf zu machen, im Gegenteil.

Rentnerin Christa T. wurde in Deutz der Pflegevertrag gekündigt. Grund ist die autofreie Zone der Deutzer Freiheit.

Seit 50 Jahren wohnt Rentnerin Christa in Köln an der Deutzer Freiheit. Jetzt kündigte ihr der Pflegedienst.

Was im Fall Deutzer Freiheit viel schlimmer wiegt: Die Problematik liegt seit 2020 bei der Bezirksvertretung. Bis auf die CDU haben alle Parteien die Beteiligung des Gewerbes, der Bewohnerinnen und Bewohner und der freien Berufe abgelehnt.

Da sollte man nicht immer auf die Verwaltung schimpfen, sondern sich an die eigene Nase fassen. Hier hat man die Menschen, die diese Gesellschaft übrigens aufgebaut haben, komplett ignoriert. Und diejenigen, die sie pflegen.

Deshalb muss die Verwaltung und die Politik jetzt dringend reagieren. Freie Fahrt für Menschen, die sich um andere Menschen kümmern! Hoffentlich kommt das nicht zu spät für Oma Christa in Deutz. Die muss sich ab August nämlich selbst waschen. Das ist ihre Realität. Während sich unten auf der Deutzer Freiheit das Leben abspielt.