Die Autorin Elke Heidenreich kann als Kölns streitbarste Lady bezeichnet werden. Mit ihren nunmehr 80 Jahren nimmt sie auch weiterhin kein Blatt vor den Mund.
Elke Heidenreich wird deutlich„Vieles vom kölschen Veedel-Gelaber hängt mir zum Hals raus“
80 Jahre alt – doch keine Spur von Altersgeduld oder -gelassenheit. Elke Heidenreich, seit vielen Jahrzehnten Kölns streitbarste Lady, ärgert sich immer noch laut und deutlich über vieles.
Aber sie kann auch zart und liebevoll: Gerade ist sie mit ihrem Kinderbuch „Frau Dr. Moormann & ich“ (20 Euro, Hanser Verlag) in den Erwachsenen-Bestseller-Listen gelandet, am 5. Oktober tritt sie mit Freund Marc-Aurel Floros (52) im Eltzhof in Wahn auf. Viele Gründe für den EXPRESS-Besuch und ein langes Gespräch bei Elke Heidenreich im Garten.
Elke Heidenreich: Kölns streitbarste Lady über ihr neues Buch
EXPRESS.de: In „Frau Dr. Moormann & ich“ haben zwei Nachbarinnen Probleme miteinander – auch weil da ein Hund eine Rolle spielt. Als die eine Frau sind Sie klar zu erkennen. Ist die andere, Frau Dr. Moormann, Ihre wahre Nachbarin?
Elke Heidenreich: Nein. Ich verstehe mich mit meiner Nachbarin sehr gut, und unsere Hunde tun das auch. Doch vor ihr wohnte nebenan eine sehr alte Frau. Die war zwar nicht böse mit mir, aber sehr eigen. Wie es so ist, wenn man alt ist: dann ist man oft ein bisschen einsam, ein bisschen kompliziert. Sie hat mich inspiriert, mal eine Nachbarsgeschichte zu schreiben. Aber das alles ist so nicht passiert.
Sind Sie eine gute Nachbarin?
Elke Heidenreich: Das bin ich, wie alle hier in der Siedlung. Wir sind nett miteinander, nehmen gegenseitig Pakete an, passen auf die Hunde auf, legen die Post rein. Und für Notfälle haben die Nachbarn meinen Schlüssel – also alles gut.
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Sie sind so erfolgreich mit Erwachsenenbüchern. Warum schreiben Sie hier für Kinder?
Elke Heidenreich: Alle meine Kinderbücher sind auch Erwachsenenbücher. Ich habe mal in Frankreich den „Preis der Großeltern“ bekommen, für das Buch, das Großeltern ihren Enkelinnen und Enkeln am liebsten vorlesen. Das will ich immer: Dass sich Erwachsene beim Vorlesen nicht langweilen. Heute sagen mir Erwachsene, die „Nero Corleone“ als Kind gelesen haben: „Jetzt verstehe ich das Buch erst richtig.“
Für sie ist es jetzt eine Liebesgeschichte – für sie als Kinder war es eine Katzengeschichte.
Elke Heidenreich: „Nero Corleone“ wurde in 36 Sprachen übersetzt und über vier Millionen Mal verkauft.
Es spielt eine besondere Rolle in Ihrem Leben …
Elke Heidenreich: Ja, damit habe ich mein Haus und mein sorgloses Leben finanziert. Der richtige Nero, der dafür gesorgt hatte, dass ich die Geschichte mit leichter Hand schreiben konnte, liegt im Garten hinter der Bank, auf der ich seine Geschichte geschrieben habe.
Sind alle Tiere hier begraben?
Elke Heidenreich: Ich möchte ja nicht auf einem Friedhof leben. Nur noch meinen Hund Vito, der im letzten Jahr gestorben ist.
Elke Heidenreich und ihr Musiker-Partner: So klappt das Zusammenleben
Die Frau Heidenreich im Buch nervt die Nachbarn, weil sie jeden Abend dasselbe Stück auf dem Klavier spielt. Sind Sie das?
Elke Heidenreich: Nein. Aber da mein Freund Marc-Aurel Pianist ist, weiß ich, wie es sein könnte, wenn er jeden Abend Klavier spielte.
Spielen Sie selbst Klavier?
Elke Heidenreich: Ja, mehr schlecht als recht.
Könnten Sie mit Marc-Aurel ein Stück vierhändig spielen?
Elke Heidenreich: Er ist viel zu gut dazu. Mein Gestümper hat da keine Chance.
Er lebt mit in Ihrem Haus. Wo spielt und komponiert er?
Elke Heidenreich: Er hat ein Atelier in der Südstadt. Für seinen Flügel war in meinem Haus kein Platz. Außerdem ist er, wie viele Künstlerinnen und Künstler, völlig chaotisch. Da ist es gut, wenn er für seine Arbeit außer Haus ist, sonst wäre das Eng-Miteinander-Leben zu schwierig.
Sie sind bald 20 Jahre zusammen, er ist 28 Jahre jünger als Sie. Eine gute Wahl?
Elke Heidenreich: Wir sind immer noch zusammen. Und das ist doch schön!
Sie haben bereits zwei Opern gemeinsam geschrieben. Wie funktioniert so etwas?
Elke Heidenreich: Erst schreibe ich den Text, auf den Text schreibt er die Musik. Umgekehrt ginge es nicht.
Darf er auch mal meckern? Oder muss er alles so übernehmen, wie Sie es wollen?
Elke Heidenreich: Natürlich darf er den Text ändern. Entweder fragt er mich, und ich ändere selbst, oder er macht es ohne mich. Das muss ich dann ertragen.
Geht das ohne Kräche über die Bühne?
Elke Heidenreich: Unter Künstlerinnen und Künstlern, die beide ihren dicken Kopf haben, gibt es gewaltige Kräche, deswegen zanken wir uns bei solchen Sachen schon mal ganz furchtbar. Dann knallen Türen, oder es wird mit Rausschmiss gedroht. Aber das sind die einzigen großen Kräche, die wir haben.
Elke Heidenreich über Musik und ihr Mutter: „In diesen Momenten waren wir uns am Allernächsten“
Wären Sie gern Musikerin geworden?
Elke Heidenreich: Ich denke oft, dass es schön gewesen wäre. Doch wenn ich das meinem Freund sage, antwortet er: „Wünsche dir das nicht! Du bist nicht der Typ, der zehn Stunden am Tag am Klavier sitzt und übt. Da braucht man Beharrlichkeit und muss vieles ausblenden.“ Ich glaube, dass er deswegen eine freudlose Jugend hatte. Ich war schon früh Fahrrad fahren, tanzen, hatte Freundinnen und Freunde, bin gereist. Er hat immer nur acht Stunden am Tag am Klavier gesessen.
Woher kommt Ihre Liebe zur Musik?
Elke Heidenreich: Meine Mutter kam aus einfachen Verhältnissen, hatte kein Geld, hat aber Musik unglaublich geliebt. Musik hat ihr Herz geöffnet. Wir haben sonntags gemeinsam Radio gehört, das Wunschkonzert und klassische Konzerte. Ich habe einen Kakao gekriegt, sie hat mir das, was wir hörten, erklärt. Sie hat gern mitgesungen, manchmal weinte sie dabei. In diesen Momenten waren wir uns am Allernächsten.
Waren Sie zusammen in Konzerten?
Elke Heidenreich: Später hat sie Karten für die Oper oder Konzerte in Essen gekauft, immer nur eine, und die war für mich. Sie selbst hat sich mit einem Gläschen Wasser in ein Restaurant gesetzt und gewartet, bis es vorbei war. Zu Hause musste ich ihr alles vorsingen und erzählen, wie es war.
Wie unterscheiden Sie gute von schlechter Musik?
Elke Heidenreich: Was runtergerumst, klebrig, kitschig, dilettantisch gemacht ist, gefällt mir nicht. Bei Sängern fällt es mir das besonders auf: Bei Klaus Florian Vogt, dem wunderbaren Wagner-Tenor, geht mir das Herz auf, bei Jonas Kaufmann habe ich inzwischen das Gefühl, ich höre Kartoffelknödel singen.
Elke Heidenreich: Renovierung von Opernhaus in Köln „entsetzlich“
Sie sind große Opern-Liebhaberin. Sind Sie mit dem aktuellen Opern-Angebot in Köln einverstanden?
Elke Heidenreich: Ich verfolge es kaum noch. Während der Zeit der vorherigen Opern-Intendantin, die ich für völlig unfähig hielt, habe ich die Kölner Oper für mich abgeschaltet. Ich bin dafür sehr viel in die Bonner Oper und ins Kölner Theater gegangen, in dem Stefan Bachmann einen guten Job gemacht hat. Wenn jemand Neues kommt, werde ich mich wieder mehr interessieren.
Was halten Sie vom renovierten Haus, das 2024 wiedereröffnet werden soll?
Elke Heidenreich: Es ist entsetzlich, was sie da machen, dass sie dieses schreckliche Gebäude für fast eine Milliarde renovieren. Für das Geld hätte man was völlig Neues bauen können, etwas, was heutigen Ansprüchen genügt. Bei aller Renoviererei wird das bestimmt wieder eine Bruchbude! Das ist eben ein Riphahn-Bau – alles, was der gebaut hat, finde ich entsetzlich.
Mögen Sie kölsche Musik?
Elke Heidenreich: Vieles vom kölschen Veedel-Gelaber hängt mir zum Hals raus, Karnevals-Gedudel ist nicht mein Ding. Aber was die richtigen kölschen Bands machen, hat mir immer gefallen. Das war einer der Gründe, warum ich nach Köln gezogen bin. Damals war es die Band Can, heute sind es Brings, Tommy Engel, Gerd Köster & Frank Hocker oder Arno Steffen mit LSE.
Wie schätzen Sie die Kölnerinnen und Kölner so ein – als was Besonderes, so wie es in den Liedern zu hören ist?
Elke Heidenreich: Kölnerinnen und Kölner sind wie alle Menschen auf der Welt. Es gibt Doofe und Gute, Kluge und Dumme. Aber der Kölner an sich ist etwas leichter als der schwerblütige Norddeutsche. Das hat mir immer gut gefallen.
Und die Stadt?
Elke Heidenreich: Köln ist keine schöne Stadt, nicht so viel Marmor, nicht geschniegelt, nicht so gepflegt wie München oder Düsseldorf. Köln ist ein bisschen ruppiger. Das passt ja ganz gut zu mir.
Da wir gerade dabei sind: Was stört Sie noch an Köln?
Elke Heidenreich: Die Stadt hat sich leider zum Nachteil verändert. Aus den einst so schönen Einkaufsstraßen sind die guten Geschäfte wie 2001 oder Heubel verschwunden. Dafür gibt es immer mehr Ketten und Billigläden. Außerdem wird die Stadt immer schmuddeliger. Und man sollte langsam drauf achten, dass da, wo Kinder spielen, auch Klos installiert werden. Ich erlebe das immer, wenn ich mit dem Hund im Forstbotanischen Garten oder im Südpark bei den Spielplätzen bin. Da gibt es kein WC, die Kinder erledigen ihre Geschäfte im Wald, und alles bleibt liegen.
Sie haben sechs Jahre im Belgischen Viertel gewohnt. Im Gegensatz zur Idylle hier pulsiert da das Leben. Haben Sie das nie vermisst?
Elke Heidenreich: Manchmal schon. Aber wenn man jedes Mal drei Stunden lang einen Parkplatz sucht, macht das auch keinen Spaß. Hier lebe ich wie in einem Paradies mitten in Köln. Es ist so grün und so still, es ist das Ende einer Sackgasse, ich genieße das sehr.
Dafür braucht man von hier gefühlt drei Stunden bis zur nächsten Kneipe …
Elke Heidenreich: Ich bin gut zu Fuß und mit dem Fahrrad, und in der Südstadt sind immer noch genügend Kneipen. Außerdem sind die wilden Jahre mit ihren wilden Geschichten vorbei. Das lässt nach, wenn man älter ist. Früher habe ich im „Backes“ die Nächte durchgemacht und mit Freundinnen und Freunden diskutiert. Dazu habe ich heute keinen Nerv mehr.
Elke Heidenreich mit 80 Jahren noch im TV: „Ein Wunder“
Lesen Sie immer noch gern?
Elke Heidenreich: Ja. Aber meine Augen sind nicht mehr so, dass ich – wie früher – 600 Seiten hintereinander weglesen kann, sie werden schlechter. Ich bekomme alle vier Wochen Spritzen, damit ich weiter sehen kann.
Sie haben mal gesagt, dass Karl May für Sie eine wichtige Rolle spielte. Heute ist der Autor jedoch in die Diskussion geraten, wird manchmal sogar als Rassist bezeichnet. Wie finden Sie das?
Elke Heidenreich: Wir machen auch nicht an Goethe und Schiller rum. Also warum an Karl May? Das ist zu seiner Zeit geschrieben, und in seine Zeit gehört es. In alten Literaturen herumpfuschen und sie ändern, wie es uns passt, mit unserem Gegendere, dieser woken Haltung, finde ich fatal.
„Klingt, als würden Sie was gegen das Gendern haben …“
Elke Heidenreich: Ein Buch, in dem gegendert wird, lege ich sofort weg. Und wenn ich eingeladen werde, und in der Einladung gegendert wird, antworte ich: „Wenn Sie mir einen richtigen Brief in anständigem Deutsch schreiben – gern. Sonst nicht!“ Ich bin selbst betroffen: Ich wollte endlich „Autor“ und „Schriftsteller“ sein, bin wieder „Autorin“ und „Schriftstellerin“ und fühle mich auf Mädchen reduziert.
Was wird Thema Ihres nächsten Buchs?
Elke Heidenreich: Das weiß ich noch nicht. Ich schreibe, wenn mir was einfällt, ich setze mich nicht unter Druck. Ich bin allerdings gebeten worden, ein Buch über „Altern“ zu schreiben. Wer, wenn nicht ich, oder?
Schon 80, aber bestens drauf. Woran liegt das?
Elke Heidenreich: Vielleicht daran, dass ich mich bemühe, im Kopf wach zu bleiben. Ich muss immer gefordert werden, habe immer 1000 Sachen zu tun. Ich bin in der Schweiz sogar noch regelmäßig im Fernsehen – mit 80 ist das ein Wunder! So etwas macht mich glücklich.
Wie ist Ihre Bilanz mit 80?
Elke Heidenreich: Ich blicke mit großer Dankbarkeit zurück. Ich bin im Grunde rundum glücklich. Ich habe das Gefühl, dass ich ein wahnsinnig gutes Leben hatte: Mein ganzes Leben war in einem Land ohne Krieg, in dem ich meine Meinung sagen darf, mich nicht verschleiern muss, nicht ins Gefängnis komme oder gefoltert werde, wenn ich was Falsches sage. Ich hatte wunderbare Ehemänner, habe sie verlassen können und konnte alleine weiterleben. Das alles macht mich wahnsinnig dankbar. Ich denke: „Wie schön war das alles!“ Deswegen habe ich keine Angst vorm Altwerden und Sterben. Das ist okay so. Das gehört dazu.
Würden Sie gern noch 20 Jahre drauflegen?
Elke Heidenreich: So lange habe ich keine Lust mehr. Ich denke sowieso nicht über meine Vergangenheit, noch über die Zukunft nach. Ich lebe im Jetzt. Aber wenn ich mir da was wünschen dürfte: Ich habe wieder einen Hund, Toni, der ist jetzt acht Monate alt. Den möchte ich natürlich noch sehr gern heranwachsen sehen ...