Der kurioseste Fall 2023„Geisterprozess“ an Kölner Gericht – Richter führt Verhandlung alleine

Prozesse sind oft turbulent. Es werden Fragen gestellt, Anträge verlesen, geschluchzt oder gewütet, nicht selten wird es laut. Umso kurioser war ein Prozess vor dem Kölner Amtsgericht. 

von Iris Klingelhöfer  (iri)

Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz sind inzwischen nichts Besonderes. Eigentlich. Denn das, was im Mai 2023 bei einem Prozess am Kölner Arbeitsgericht passierte, war mehr als mysteriös.

Dort fand eine „Geisterverhandlung“ statt. Wie es dazu kommen konnte, bleibt vermutlich ein Rätsel. „Ein präzises Bild ergibt sich nicht“, erklärte Nadja Abou Lebdi, Sprecherin des Kölner Landesarbeitsgerichts, am Mittwoch (8. November 2023) gegenüber EXPRESS.

Geisterprozess vor Kölner Arbeitsgericht: Anwältin erinnert sich

Was war passiert? Am 11. Mai wollte ein Kläger vor dem Kölner Arbeitsgericht knapp 70.000 Euro Lohnfortzahlung während einer längeren Krankheit von seinem Arbeitgeber erstreiten. Aus Eschborn wählte sich seine Anwältin in die Videoverhandlung ein, der Anwalt der Gegenseite aus Frankfurt am Main. Dann passierte nichts. 

Zwar konnten Anwältin und Anwalt sich sehen und auch miteinander sprechen. Doch bei der Schalte nach Köln: von Richter und seinen ehrenamtlichen Kollegen nichts zu sehen und zu hören. 45 Minuten verstrichen. „Meine Güte, haben wir gedacht, das Gericht lässt sich aber Zeit“, erinnerte sich Anwältin Asma Hussain-Hämäläinen gegenüber Legal Tribune Online (LTO).

Anwältin und Anwalt baff: Urteil in Kölner „Geisterverhandlung“ gefallen

In der Geschäftsstelle des Kölner Arbeitsgerichts erfuhren sie schließlich, dass die Verhandlung stattgefunden habe. Auch ein Urteil sei gefallen. Anwältin und Anwalt waren baff. Schließlich hatten sie den Richter weder gesehen noch gehört, keine Anträge gestellt oder Fragen beantwortet. 

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Für den Vorsitzenden Richter hingegen verlief der Prozess offenbar zufriedenstellend. Anders als die Anwälte zeigten seine Bildschirme was an. Später notierte er allerdings laut LTO, dass er auf mehrere Fragen keine Reaktion bekommen hätte. Unter anderem, als er den Kläger nach seiner Version des Sachverhalts fragte. 

Kölner Gericht nimmt Fall unter die Lupe, auch Herstellerfirma einbezogen

Der „Geisterprozess“ beschäftigte schließlich das Landesarbeitsgericht als nächst höhere Instanz. „Der ungewöhnliche Ablauf der Verhandlung am 11. Mai 2023 hat hier Veranlassung gegeben, die Umstände näher aufzuklären. Leider ist festzustellen, dass sich die Einzelheiten mangels Aufzeichnung der Verhandlung nicht mehr genau aufklären lassen“, so Sprecherin Nadja Abou Lebdi gegenüber EXPRESS.de.

Laut Abou Lebdi sei die Herstellerfirma der Videokonferenzsoftware um Aufklärung gebeten worden. „Sie hat es für technisch möglich gehalten, dass zwar das Gericht sich selbst und sämtliche anderen Teilnehmenden sehen konnte, die zugeschalteten Parteivertretenden und der Käger indes das Gericht nicht wahrnehmen, aber untereinander kommunizieren konnten“, berichtete die Gerichtssprecherin. 

„Geisterverhandlung“ in Köln: Auch an anderem Arbeitsgericht passiert

Die Richterschaft sei entprechend sensibilisiert und gebeten worden, Anzeichen für Störfälle nachzugehen und umgehend zu berichten. An einem anderen Arbeitsgericht sei es zu einem ähnlichen Vorfall gekommen. Aktuell, so Nadja Abou Lebdi, würden Bund und Länder an einer neuen, bundeseinheitlichen Softwarelösung für gerichtliche Videokonferenzen arbeiten. 

Gegen das Urteil des Kölner „Geisterprozesses“ legte die Klägerseite Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln ein. Das Verfahren wurde Ende Oktober durch einen Vergleich beendet.