Kriegs-Trauma wieder daKölner Politik-Urgestein wird 90: „Einmischen werde ich mich weiter“

Gerhart Baum sitzt auf einem Stuhl und spricht. Der Ex-Innenminister wird 90 Jahre alt.

Ex-Innenminister Gerhart Baum wird am Freitag (28. Oktober) 90 Jahre alt. Das Foto entstand vor wenigen Tagen in seiner Wohnung in Köln.

Ex-Innenminister Gerhart Baum wird 90 Jahre alt. Doch an Altersruhe denkt der Jubilar noch lange nicht.

Stillstand ist nicht das Richtige für Gerhart Baum. Noch immer ist das Kölner Politik-Urgestein, das am Freitag (28. Oktober 2022) 90 Jahre alt wird, täglich aktiv. Er arbeitet in seiner Anwaltskanzlei in Düsseldorf oder bringt sich in aktuelle politische Themen ein.

Vor wenigen Wochen brachte er eine Einigung zwischen den israelischen Opferfamilien des Olympia-Attentats von 1972 und der Bundesregierung (ca. 28 Mio. Euro Anerkennungsleistung) zustande. 2020 setzte er sich, damals unter anderem mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel (63), für die Freilassung von Enthüllungs-Journalist Julian Assange ein.

Gerhart Baum wird 90 Jahre alt: Kölner Politik-Urgestein will weiter arbeiten

Doch von Rückzug ist auch heute noch keine Spur. Und das, obwohl Baum, der in der Kölner Südstadt wohnt, in seinen 90 Jahren genug für zwei Leben mitgemacht hat.

Geboren 1932 in Dresden, wird er in der Bombennacht von Dresden (13. Februar 1945) aus seiner wohlbehüteten Kindheit gerissen. Seine Mutter ist gebürtige Russin, war 1917 vor der Oktober-Revolution nach Deutschland geflohen.

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Der Krieg in der Ukraine lässt für Baum viele verstörende Erinnerungen an den Faschingsdienstag 1945 wieder aufleben. „Ich lege meine Schulsachen für den nächsten Tag zurecht, die Hefte mit Hausaufgaben, ich verstaue mein Faschingskostüm. Dann gehe ich ins Bett. Und am nächsten Tag ist alles weg. Die Schulsachen, das Kostüm, das Haus, die Freunde, die Schule. Stattdessen Berge von Leichen“, sagt Baum im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

Gerhart Baum, Günter Wallraff, Sigmar Gabriel und Sevim Dagdelen halten eine Zeitungsseite in die Kamera.

2020 forderte Gerhart Baum (l.) mit Günter Wallraff, Sigmar Gabriel und Sevim Dagdelen (Die Linke) die Freilassung von Julian Assange.

1950 zieht die Familie nach Köln, Baums Vater stirbt in sowjetischer Gefangenschaft. Baum selbst wird Rechtsanwalt, tritt 1954 in die FDP ein. Von 1969 bis 1973 sitzt er im Kölner Stadtrat, ist Fraktionsvorsitzender. Von 1966 bis 1998 ist er Mitglied im FDP-Bundesvorstand, sitzt mehr als 20 Jahre im Bundestag.

Von 1978 bis 1982 ist er Bundesinnenminister. Baum steht für Dialog, auch mit den Terroristen der RAF. Später arbeitet er unter anderem für die UNO, gilt als Anwalt für Menschenrechte. Ob Opfer des Ramstein-Unglücks (1988), die Angehörigen des Concorde-Unglücks (2000) oder die Betroffenen der Loveparade-Katastrophe (2010) – sie alle vertrauen auf Baum als ihren Anwalt.

Gerhart Baum ist Befürworter der Waffenlieferungen an die Ukraine

Heute lebt Baum mit seiner zweiten Frau Renate in Köln. Er hat drei Kinder aus erster Ehe. Noch immer ist er regelmäßig in TV-Shows zu sehen.

Gerade der Krieg in der Ukraine treibt ihn um. Baum ist Befürworter von Waffenlieferungen. „Viele, die Frieden fordern, machen sich Illusionen über den Preis“, schreibt er in seinem Buch „Menschenrechte“. „Selbst wenn irgendeine Lösung in der Ukraine gefunden wird: Der Kampf ist nicht entschieden, bis Putin-Russland Geschichte ist.“

Zu seinem 90. Geburtstag will Baum mit Freundinnen und Freunden in einer Südstadt-Kneipe Kölsch trinken. Danach geht es weiter mit der Arbeit. „Es gibt ja wirklich viel zu tun. Ein bisschen einmischen werde ich mich schon noch.“ (tw, mit dpa)