KommentarSessions-Bilanz in Köln: Deutschland darf sich Karneval als Vorbild nehmen

6000 Jecken feiern im Tanzbrunnen.

6000 Jecken feierten am Sonntag (27. Februar 2022) im Tanzbrunnen, sorgten aufgrund des Krieges in der Ukraine jedoch auch für einige bewegende Momente.

Die Kölner Karnevalssession 2021/22 ist Geschichte. Was kann Köln daraus lernen? Getreu dem Motto „Alles hät sing Zick“ meint unser Autor: „Es war trotzdem eine gute Zeit.“ Der EXPRESS.de-Kommentar.

von Bastian Ebel  (bas)

Hat sie Ihnen auch so weh getan, diese Session? Dieses dreckelije Corona, diese Einschränkung, zuletzt dieser Krieg? Immer dieses flaue Gefühl im Magen: „Ich will, aber ich darf nicht.“ Mir jedenfalls ging das sehr nahe.

Dann hält man dennoch für einen Moment inne – und schaut zurück. Auf die vielen kleinen Dinge, die sich zwischen 11.11. und Aschermittwoch abgespielt haben. Da stellt man fest: Köln, das war im Rahmen der Möglichkeiten grandios!

Warum grandios? Weil Vereine, Kneipen und Privatwirtschaft trotzdem ein Signal gesetzt haben. Weil sie ihrer Verantwortung nachgekommen sind und besonders im Rahmen des Ehrenamts für so viele schöne Momente gesorgt haben.

Feiernde am 11.11. um 11.11 Uhr auf dem Kölner Heumarkt

Sicherer Start: Feiernde am 11.11. 2021 um 11.11 Uhr auf dem Kölner Heumarkt

Eben die kleinen Momente, die sonst im ultrahocherhitzten Business Kölner Karneval keine Rolle spielen. Die deftige Rede in der Kneipe, die sonst wegen der Lautstärke abgebrochen werden musste. Der Besuch älterer Vereinsmitglieder, der normal vielleicht geschlabbert worden wäre.

Oder ein „Herrengedeck“ (Weininger, Schopps, Weber) mit wunderbaren Krätzchen. Eine Fackelveranstaltung in der Altstadt, wo man sonst nicht draufgekommen wäre. Das Kölsch im „Stadttreff“ auf dem Bürgersteig und längere Gespräche, weil sonst alles aufgeregt von A nach B muss. Zuletzt die unfassbar schöne Friedensdemo.

Merken Sie etwas? Ja, das ist auch Kölner Karneval. Und er ist genau so schön wie das „große Rad“ – manchmal vielleicht sogar viel schöner.

Vielleicht halten die Karnevalistinnen und Karnevalisten auch für einen Moment inne. Dann dürfen sie sich auf ihre Schulter klopfen und sich selbst sagen: „Häste jot jemaat.“

Köln: Karneval in Berlin geächtet, aber ein Vorbild für Deutschland

In Berlin geächtet, in den sozialen Netzwerken als Pandemietreiber und oberflächlich angefeindet – und dennoch ist der organisierte Kölner Karneval in Pandemie-Zeiten vorausgegangen mit Attributen, an denen sich der Rest der Republik ein Beispiel nehmen kann: Respekt. Zusammenhalt. Verantwortung. Hoffnung. Liebe.

Klar ist auch: Alles geht immer besser. Es muss dringend das Wollknäuel der Konflikte zwischen Vereine, Festkomitee, Künstlern und Privatwirtschaft gelöst werden. Das geht deutlich besser – insbesondere am Maarweg müssen jetzt alle an einen Tisch. Auch das wird man stemmen, selbst wenn manche Aussprache weh tun wird.

Köln: Aschermittwoch hinterlässt Karneval ein warmes Lächeln

Ach, und übrigens: Unangenehme Bilder von stinkbesoffenen Pänz gibt es auch an jedem Party-Wochenende von Flensburg bis Kiefersfelden – und ist deshalb kein „Kölner Karneval“. Das hat auch Ministerpräsident Hendrik Wüst mittlerweile verstanden und nahm einigermaßen opportunistisch an der Friedensdemo teil. Endlich lieferte der Karneval dann wohl auch die Bilder, die der MP sehen will.

Sehen Sie? Auch wenn die Ereignisse auf dem Planeten einem das Herz schwer machen: Der Kölner Karneval darf mit einem warmen Lächeln diesen Aschermittwoch begehen. Was er vermittelt hat, dürfen sich sämtliche Kriegstreiber und Hetzer gerne auf ihre Fahnen schreiben. Die Welt wäre ein Stückchen besser.