Schmierereien vor AuftrittAnfeindungen gegen Kölner Travestie-Star – „es rumort schon“

Moderatorin Julie Voyage und der Loop & Hecker Saalkapelle in der Stadthalle Mülheim in Köln.

Ken Reise tritt seit 17 Jahren als Julie Voyage (hier am 11. Februar 2022) auf, inzwischen auch im Kölner Karneval.

Vor einem Auftritt von Travestie-Star Julie Voyage bei einer Karnevalsgesellschaft wurden Schmierereien am Gebäude angebracht. Der Künstler war beeindruckt von der erlebten Solidarität.

von Marcel Schwamborn  (msw)

Er arbeitete als Landschaftsgärtner im Kölner Zoo, sang im Jugendchor St. Stephan und kümmerte sich im Festkomitee um die Zugleitung. Inzwischen sitzt er in einer Eventagentur. Doch vor allem zieht Ken Reise (37) seit 17 Jahren als Travestie-Star Julie Voyage durch die Säle. Mit dem Make-up taucht er dann in eine andere Welt.

Neben vielen Auftritten ist Julie auch für ihre Kneipen- und Altstadttouren mit „kölscher Schnüss“ und als „Rummelnutte“ bekannt. Doch jüngst ist dem selbst ernannten „verrückten Huhn“ kurzzeitig das Lachen vergangen.

Ken Reise veranstaltet Stadttouren in Köln als Julie Voyage

Am Abend vor dem Sommerfest-Auftritt beim Verein „Die Geringelten“ in Pulheim-Brauweiler wurde das Schützenhaus und die Toreinfahrt mit schlimmen Anfeindungen beschmiert. „Kinder schützen“ und „Transen raus“ war da unter anderem in roter Farbe zu lesen.

„Wir als Brauweiler Verein verurteilen diese feige Tat. Wir als Rheinländer stehen zu 100 Prozent hinter ALLEN Menschen“, schrieb der Karnevalsverein bei Facebook und erstattete Anzeige. Reise reagierte ebenfalls in den sozialen Netzwerken. „Sowas ist mir noch nie passiert. Jetzt erst recht“, schrieb er und erntete sehr viel Zuspruch von Gesellschaften und Bands.

Sehen Sie hier den Instagram-Post zum Vorfall:

„Ich bin schon mit ein wenig Bauchgrummeln zum Auftritt gefahren“, sagt er EXPRESS.de. „Man weiß ja nie, was dann noch passieren kann. Aber letztlich war es eine tolle Show, ein echter Abriss.“ Auch wenn der Kölner auf dieses Erlebnis gerne verzichtet hätte, sieht er nun rückblickend sogar etwas Gutes darin.

„Die große Menge hat den Mund aufgemacht. Ich habe Nachrichten von Plattenfirmen, Künstlerkolleginnen und -kollegen sowie aus der Politik erhalten. Alle haben mich bestärkt, nicht einzuknicken. Angesichts der Verrohung der Sitten und der Wahlprognosen war das ein schönes Signal“, sagt Reise.

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Beim Auftritt nahm er kurz Bezug auf die Pöbel-Attacke. „Es ist doch schon mal viel wert, dass die Verursacher die Sätze fehlerfrei hinbekommen haben“, sagte er. Zudem klärte er noch einmal auf, dass er als Schauspieler eine Rolle spiele, die im Karneval inzwischen angekommen sei und dass es einen Unterschied zwischen Travestiekünstlern und transsexuellen Personen gibt.

Ken Reise alias Julie Voyage: „Ich möchte einfach Spaß verbreiten“

Gleichwohl gesteht der Moderator, dass er nach Auftritten nur ungern geschminkt als Julie Voyage zurück zu seiner Wohnung in der Altstadt geht. „Es rumort da schon ein wenig. Klar will man den Idioten die Stirn bieten. Gleichzeitig frage ich mich auch, wo das noch hinführt. 17 Jahre spiele ich die Rolle schon, aber ein Wandel in der Akzeptanz ist schon festzustellen.“

Dabei will er nur die Menschen unterhalten – mit kölschen Elementen und einer großen Portion Selbstironie. „Mir geht es nicht in erster Linie um die queere Szene. Ich möchte einfach Spaß verbreiten und natürlich auch für Toleranz werben“.