Das Attentat von Volkhoven jährt sich dieses Jahr zum 60. Mal. EXPRESS.de erinnert an die Opfer.
Der dunkelste NachkriegstagZehn Tote bei Attentat in Kölner Schule – und Kampf gegen das Vergessen
Es ist wohl die schlimmste Tragödie der Kölner Nachkriegszeit. Am 11. Juni 1964 werden acht Schulkinder und zwei Lehrerinnen bei dem Attentat auf die Volksschule in Volkhoven tödlich verletzt und viele weitere schwer verletzt.
Es ist ein heißer Sommertag. Die Kinder in den Schulbaracken hoffen auf Hitzefrei. Alle Fenster sind geöffnet, auf dem Hof der Volksschule hat eine Klasse Sportunterricht.
Köln: Attentat mit Flammenwerfer auf Schulinder jährt sich zum 60. Mal
Kurz darauf betritt der Teufel das Gelände: Walter Seifert (42). Kriegsveteran, Witwer. Seine Frau und sein Kind waren Jahre zuvor im Kindbett gestorben.
Seifert hält einen selbst gebauten Flammenwerfer in der Hand – und schießt in die Klassen. Panik, Chaos, Schreie. Zwei Lehrerinnen ersticht Seifert mit einer Lanze. Er selbst begeht Selbstmord, trinkt das hochgiftige Pflanzenschutzmittel E 605 und stirbt abends im Krankenhaus.
Die bittere Bilanz: In den folgenden Tagen sterben acht Schulkinder an ihren fürchterlichen Verbrennungen. 21 werden für ihr Leben gezeichnet.
Wie Bärbel Peter mit ihrem roten Hemdchen, das ihre Eltern aufbewahrten und sie später einrahmte. „Ich sehe die Bilder auch 50 Jahre danach noch vor mir. Diese Tat gehört zu meinem Leben. Noch heute werde ich auf die Narben an Rücken, Armen und Oberschenkel angesprochen. Dann erzähle ich, wie es war“, sagte sie in einem Interview mit EXPRESS.de 2014 zum 50. Jahrestag des Attentats.
Peter schrieb ein Buch über den Amoklauf. Titel: „Das Herz der Stadt stand still“. Und bis heute schmerzt diese Stelle im Kölner Herzen. Denn es gibt weitere Überlebende, die mit dem Wahnsinn leben müssen.
Eine von ihnen ist Hella Rauch aus Chorweiler. Sie war 12 und wollte in Panik aus dem Fenster ihres Klassenzimmers fliehen, als Seifert vor ihr stand. „Er hielt den Flammenwerfer direkt auf mich. Schmerzen hatte ich keine, nur konnte ich wegen der Hitze der Flammen kaum atmen“, erinnerte sie sich. Die Nylon-Kleidung verschmolz mit der Haut. Niemand erkannte sie mehr.
Die kleine Hella sah furchtbar aus. Ihr Körper – entstellt. „Die Ärzte glaubten, dass ich nicht überlebe.“ Doch Hella kämpfte. Über ein Jahr lag sie im Krankenhaus. „Eine ganze Bundeswehr-Kompanie spendete Haut. Jeder Soldat ein kleines quadratisches Stück von seinem Hintern. Damit wurde ich gerettet“, erinnerte sie sich.
Hier mehr lesen: NSU-Anschlag in Köln - Erhöhte Sicherheit bei Gedenkfeier auf der Keupstraße
Wir trafen sie Jahre später sie an den acht Gräbern der Opfer des Attentats. „Hier würde ich eigentlich auch liegen. Aber das Schicksal wollte es anders.“ Hella Rauch – ihre Tapferkeit ist bewundernswert. Und ihre Art, mit dem entstellten Körper umzugehen. „Als ich mich das erste Mal im Spiegel sah, dachte ich nur: Okay, dann ist das halt jetzt so ...“
Die Kölnerin bekam drei Kinder, lebt von der Rente einer Unfallversicherung. „Ich habe keine Schmerzen mehr. Auch haben mich nie Alpträume gequält. Das Einzige, worunter ich wirklich litt: Ich durfte meine Mutter erst ein halbes Jahr nach der Tat in den Arm nehmen. Die ganze Zeit lag ich isoliert in meinem Krankenzimmer. Dabei habe ich meine Mutter so geliebt.“
Am 11. Juni jährt sich das Schul-Attentat zum 60. Mal. Die Ursula-Kuhr-Schule, benannt nach der damals im Alter von 24 Jahren getöteten Lehrerin, lädt zu einer Gedenkfeier ein. Der Bürgerverein Volkhoven-Weiler e. V. plant am 9. Juni einen ökumenischen Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Cosmas und Damian.
Bis heute versuchen Angehörige, die Stadt davon zu überzeugen, dass in der alten Schule am Volkhovener Weg 207 ein Museum entsteht. Heute befindet sich in dem Gebäude eine Simultanhalle. Eine Gedenktafel erinnert an das Attentat. Darauf steht: „Wir werden euch nicht vergessen“.
Unfassbar: Ein Professor für Geschichte sah das Drama als nicht geschichtsträchtig genug an, damit das Gebäude in ein Museum umgewidmet werden konnte. Wohl aber der EXPRESS: „Vergesst Volkhoven nicht“, titelten wir bereits 1969 ...