Der dunkelste NachkriegstagZehn Tote bei Attentat in Kölner Schule – und Kampf gegen das Vergessen

Ein verbranntes Klassenzimmer mit Tafel und Schulbänken.

Blick in ein Klassenzimmer nach dem Anschlag auf die Schule in Volkhoven-Weiler im Jahr 1964.

Das Attentat von Volkhoven jährt sich dieses Jahr zum 60. Mal. EXPRESS.de erinnert an die Opfer.

von Oliver Meyer  (mey)

Es ist wohl die schlimmste Tragödie der Kölner Nachkriegszeit. Am 11. Juni 1964 werden acht Schulkinder und zwei Lehrerinnen bei dem Attentat auf die Volksschule in Volkhoven tödlich verletzt und viele weitere schwer verletzt.

Es ist ein heißer Sommertag. Die Kinder in den Schulbaracken hoffen auf Hitzefrei. Alle Fenster sind geöffnet, auf dem Hof der Volksschule hat eine Klasse Sportunterricht.

Köln: Attentat mit Flammenwerfer auf Schulinder jährt sich zum 60. Mal

Kurz darauf betritt der Teufel das Gelände: Walter Seifert (42). Kriegsveteran, Witwer. Seine Frau und sein Kind waren Jahre zuvor im Kindbett gestorben.

Seifert hält einen selbst gebauten Flammenwerfer in der Hand – und schießt in die Klassen. Panik, Chaos, Schreie. Zwei Lehrerinnen ersticht Seifert mit einer Lanze. Er selbst begeht Selbstmord, trinkt das hochgiftige Pflanzenschutzmittel E 605 und stirbt abends im Krankenhaus.

Eine Frau hält ein eingerahmtes T-Shirt.

Bärbel Peter, hier im Jahr 2014, mit dem verbrannten T-Shirt, das sie am 11. Juni 1964 trug, als der Amokläufer Walter Seifert sie mit einem Flammenwerfer besprühte. Peter schrieb 2004 das Buch 'Das Herz der Stadt stand still'.

Die bittere Bilanz: In den folgenden Tagen sterben acht Schulkinder an ihren fürchterlichen Verbrennungen. 21 werden für ihr Leben gezeichnet.

Wie Bärbel Peter mit ihrem roten Hemdchen, das ihre Eltern aufbewahrten und sie später einrahmte. „Ich sehe die Bilder auch 50 Jahre danach noch vor mir. Diese Tat gehört zu meinem Leben. Noch heute werde ich auf die Narben an Rücken, Armen und Oberschenkel angesprochen. Dann erzähle ich, wie es war“, sagte sie in einem Interview mit EXPRESS.de 2014 zum 50. Jahrestag des Attentats.

Peter schrieb ein Buch über den Amoklauf. Titel: „Das Herz der Stadt stand still“. Und bis heute schmerzt diese Stelle im Kölner Herzen. Denn es gibt weitere Überlebende, die mit dem Wahnsinn leben müssen.

Eine Frau steht einer Reihe von Gräbern.

Hella Rauch wurde bei dem Amoklauf Volkhoven am schwersten verbrannt und überlebte trotzdem. Hier besuchte sie im Jahr 2014 die Gräber ihrer toten Klassenkameraden auf dem Friedhof Weiler.

Eine von ihnen ist Hella Rauch aus Chorweiler. Sie war 12 und wollte in Panik aus dem Fenster ihres Klassenzimmers fliehen, als Seifert vor ihr stand. „Er hielt den Flammenwerfer direkt auf mich. Schmerzen hatte ich keine, nur konnte ich wegen der Hitze der Flammen kaum atmen“, erinnerte sie sich. Die Nylon-Kleidung verschmolz mit der Haut. Niemand erkannte sie mehr.

Die kleine Hella sah furchtbar aus. Ihr Körper – entstellt. „Die Ärzte glaubten, dass ich nicht überlebe.“ Doch Hella kämpfte. Über ein Jahr lag sie im Krankenhaus. „Eine ganze Bundeswehr-Kompanie spendete Haut. Jeder Soldat ein kleines quadratisches Stück von seinem Hintern. Damit wurde ich gerettet“, erinnerte sie sich.

Hier mehr lesen: NSU-Anschlag in Köln - Erhöhte Sicherheit bei Gedenkfeier auf der Keupstraße

Wir trafen sie Jahre später sie an den acht Gräbern der Opfer des Attentats. „Hier würde ich eigentlich auch liegen. Aber das Schicksal wollte es anders.“ Hella Rauch – ihre Tapferkeit ist bewundernswert. Und ihre Art, mit dem entstellten Körper umzugehen. „Als ich mich das erste Mal im Spiegel sah, dachte ich nur: Okay, dann ist das halt jetzt so ...“

Die Kölnerin bekam drei Kinder, lebt von der Rente einer Unfallversicherung. „Ich habe keine Schmerzen mehr. Auch haben mich nie Alpträume gequält. Das Einzige, worunter ich wirklich litt: Ich durfte meine Mutter erst ein halbes Jahr nach der Tat in den Arm nehmen. Die ganze Zeit lag ich isoliert in meinem Krankenzimmer. Dabei habe ich meine Mutter so geliebt.“

Verbrechen an Kindern in Köln

Köln: Verbrechen an Kindern machen fassungslos

Derya (†24) und ihr Sohn Kian (†4) strecken dem Fotografen ihre Zungen raus.

Kian (†4) und seine Mutter Derya (†24) werden am Abend des 14. Novembers 2021 am Niehler Hafen erstochen, ihre Leichen in den Rhein geworfen. Der Doppelmörder ist Kians Vater. Er war mit einer anderen Frau verlobt und wollte verhindern, dass bekannt wird, dass er einen unehelichen Sohn hat. Auch wollte er keinen Unterhalt zahlen. Der Fall erschütterte die ganze Region. Im Herbst 2022 fiel das Urteil: lebenslänglich, zudem wurde zweifach die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Kerzen und Stofftiere stehen an der Fundstelle eines getöteten neugeborenen Babys.

Das kleine Mädchen darf nur fünf Wochen alt werden – weil sein Vater es am 13. Dezember 2022 tot schüttelt. Der damals 19-Jährige war mit dem Baby allein in der Wohnung in Köln-Nippes. Später räumte er im Prozess ein, seine neugeborene Tochter „aus Überforderung“ geschüttet zu haben, weil sie trotz Fläschchen immer weiter geschrien hätte. Er hatte selbst den Rettungsdienst alarmiert und zunächst von einem angeblichen Sturz des Neugeborenen berichtet. Wegen Körperverletzung mit Todesfolge wurde der Mann im Juli 2023 zu drei Jahren Haft verurteilt. Auf dem Symbolfoto stehen Kerzen an der Fundstelle eines getöteten Babys in Mönchengladbach.

Ein Mann trägt einen Kindersarg, mehrere Menschen folgn ihm.

Ein kleiner, weißer Sarg, so leicht, dass er auf Händen zu Grabe tragen kann... Die traurige Szene spielt sich am 22. Juli 2021 auf dem Nordfriedhof ab. Im Sarg: Elias, nur wenige Stunden alt. Seine Mutter hatte ihn zehn Tage zuvor heimlich zur Welt gebracht, in einem Schrank versteckt und schließlich in Köln-Bilderstöckchen vor einer Babyklappe auf die Fensterbank gelegt. Mitarbeitende des Hauses Adelheid fanden das tote Neugeborene und gaben ihm den Namen Elias. Die Polizei fahndete nach der zunächst unbekannten Mutter, konnte sie aber am 10. August aufgrund von Hinweisen festnehmen. Ende Februar 2022 wurde die damals 37-Jährige wegen Totschlags zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Ein Mann halt sich eine aufgeklappte Akte vors Gesicht, neben ihm eine Anwältin und ein Justizvollzugsbeamter.

Zahlreiche Kinder wurden von einem Kölner Babysitter (34) sexuell missbraucht. Er hatte als geringfügig-beschäftigter Betreuer in drei Kitas gearbeitet und sich außerdem auf Online-Plattformen als Babysitter angeboten, war so in Kontakt zu seinen späteren Opfern gekommen. Die Mutter einer Vierjährigen hatte schließlich die Polizei eingeschaltet und so den Stein ins Rollen gebracht. Denn es gingen immer mehr Hinweise auf weitere mutmaßliche Opfer ein. Im Juni 2022 wurde der Mann festgenommen und Ende August 2023 wegen schweren sexuellen Missbrauchs, Vergewaltigung und Herstellung kinderpornografischer Schriften zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Lea Sofie sitzt mit einem Teddy in Händen auf dem Boden und lächelt.

Lea-Sofie (†2) aus Köln-Chorweiler stirbt 2012, kurz vor Weihnachten. Der Freund der Mutter hatte das kleine Mädchen brutalst misshandelt, ihr den Kiefer mit Faustschlägen zertrümmert, sie immer wieder an den Haaren hochgerissen, bis sich die Kopfschwarte vom Schädel löste. Die Zweijährige ist schwerst verletzt, hätte aber gerettet werden können. Doch weder ihre Mutter noch ihr Ziehvater rufen einen Notarzt. Als Lea-Sofie nach einem mehrtägigen Todeskampf stirbt, stopfen beide die Leiche in einen Einkaufstrolley und werfen sie in ein Gebüsch am Fühlinger See.

Eine Frau sitzt neben ihrem Anwalt.

Ein Mädchen (viereinhalb Monate) wird im August 2022 von seiner Mutter in einem Frauenhaus in Kerpen mit einem Kissen erstickt. Den Leichnam des Säuglings findet die Polizei später in einem Kinderwagen am Boisdorfer See. Im März 2023 wurde die damals 31-jährige Mutter in Köln (auf dem Foto mit ihrem Verteidiger) wegen Totschlags in einem minder schweren Fall zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der Kindsvater. In der Urteilsbegründung hieß es, dieser sei „bizarr, eine Art Reichsbürger“, der sie ständig unter Druck gesetzt habe, ein Kind zu kriegen, um aus „germanischem Gedankengut“ heraus „die Ahnenlinie“ fortzusetzen. Den Anforderungen konnte die in ihrer Reife verzögerten Frau nichts entgegensetzen.

Dichter Rauch quillt aus einem Dach, ein Feuerwehrmann steht im Korb einer Drehleiter und hält von oben mit dem Schlauch drauf.

Im Müngersdorfer Villenviertel kommt es im April 2015 zu einem Familiendrama. Ein 53-jähriger Unternehmer erschießt seinen Sohn (13) im Bett, legt dann in der Wohnung Feuer und richtet schließlich die Waffe gegen sich selbst. Der 13-Jährige und seine Schwester lebten bei der Mutter, die Eltern waren geschieden. Dennoch besuchten die Kinder ihren Vater häufiger. „In den letzten Wochen kam aber nur noch der Junge“, sagte damals eine Nachbarin. Das Symbolfoto zeigt einen Dachstuhlbrand im Februar 2023 in Heimersdorf.

Die Entführung von Johannes Erlemann aus Köln wird verfilmt.

Johannes Erlemann ist elf Jahre alt (Foto), als er entführt wird. Am 6. März 1981 zerren drei Männer den Kölner Unternehmersohn im Forstbotanischen Garten vom Fahrrad, betäuben ihn und sperren ihn in einen Verschlag. Die Entführer forderten drei Millionen Mark Lösegeld. Am 12. März wurde dann eine Anzeige im EXPRESS geschaltet und damit signalisiert, dass das Lösegeld bereitstünde. Weil Johannes' Vater zu der Zeit wegen Betrugsverdachts in U-Haft saß, deponierte seine Mutter das Geld im Dünnwalder Tierpark. Johannes kam daraufhin frei. Rund zwei Monate später wurden seine Entführer, drei Brüder und ein Helfer, verhaftet und später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

1/8

Am 11. Juni jährt sich das Schul-Attentat zum 60. Mal. Die Ursula-Kuhr-Schule, benannt nach der damals im Alter von 24 Jahren getöteten Lehrerin, lädt zu einer Gedenkfeier ein. Der Bürgerverein Volkhoven-Weiler e. V. plant am 9. Juni einen ökumenischen Gottesdienst in der Pfarrkirche St. Cosmas und Damian.

Bis heute versuchen Angehörige, die Stadt davon zu überzeugen, dass in der alten Schule am Volkhovener Weg 207 ein Museum entsteht. Heute befindet sich in dem Gebäude eine Simultanhalle. Eine Gedenktafel erinnert an das Attentat. Darauf steht: „Wir werden euch nicht vergessen“.

Unfassbar: Ein Professor für Geschichte sah das Drama als nicht geschichtsträchtig genug an, damit das Gebäude in ein Museum umgewidmet werden konnte. Wohl aber der EXPRESS: „Vergesst Volkhoven nicht“, titelten wir bereits 1969 ...