Vor zwei Jahren schrieb Mischa via EXPRESS einen Brief an den Weihnachtsmann. Ein Wunsch hat sich erfüllt, er feiert mit seinem Papa in der Ukraine. Aber der Preis ist hoch.
Schicksal aus Köln rührt zu TränenMischas größter Weihnachtswunsch ist erfüllt – der Preis ist hoch
Vor zwei Jahren rührte der Wunschzettel eines kleinen Ukrainers viele EXPRESS-Leser zu Tränen. Mischa (damals 5) war nach Kriegsausbruch mit seiner Mutter Natascha nach Köln geflohen, lebte sich hier schnell ein, lernte im Kindergarten Deutsch, fand neue Freunde. Doch im Gegensatz zu den Kindern hierzulande wünschte er sich 2022 nicht etwa Playmobil oder eine Ritterburg zu Weihnachten, sondern etwas ganz anderes von Herzen ...
„Dorohyj Did Moros, lieber Weihnachtsmann, ich heiße Mischa und komme aus Dnipro, doch ich wohne jetzt in Köln – hier ist es auch sehr schön, aber ich vermisse meinen Papa ganz doll. Ich habe nur einen einzigen, ganz, ganz großen Wunsch: Dass ich Weihnachten mit Mama, Papa, Babuschka und Djeduschka, also falls du das nicht verstehst, das sind Opa und Oma, in der Ukraine feiern kann.“
Kleiner Mischa: Sein Lieblingslied ist „Poka, Polka, Polka“ von Brings
Nach gut zwei Jahren geht sein Wunsch schließlich in Erfüllung. Im Sommer packte seine Mutter Natascha schweren Herzens die Koffer: „Wir lieben Köln, es ist unsere zweite Heimat geworden“, verabschiedete sie sich von ihrer Gastfamilie, „aber noch länger von der Familie getrennt zu sein, halten wir nicht mehr aus“.
Als sie mit Mischa geflüchtet sei, habe sie ja – wie so viele – gedacht, es sei für zwei, drei Monate: Und sie habe nur den Wunsch gehabt, ihren Sohn in Sicherheit zu bringen. Sie lässt die Zeit gerne Revue passieren, all die Feiern im Kindergarten und in der Grundschule. Sie zeigt Tausende von Fotos. Im Zoo, im Museum, Fahnen schwenkend auf Ukraine-Demos, laut mitsingend im Karneval. Mischa hält auf jedem Foto den Daumen hoch.
„‚Polka, Polka, Polka‘ ist mein Lieblingslied“, lacht der kleine Junge und zeigt seine breite Zahnlücke. Ja, in den gut zwei Jahren ist viel passiert. Sein Vater Oleksandr hat der „Zahnfee“ kein Geschenk für Mischa zustecken können. Auch Radfahren oder Schwimmen konnte er seinem Sohn nicht selbst beibringen, weil er fast zweieinhalbtausend Kilometer entfernt lebt.
Mischa ist ein fröhliches, aufgewecktes Kind, doch im Laufe der Monate wurden seine Fragen immer drängender. „Wann fahren wir zurück? Wann kann ich Papa wiedersehen?“ Stundenlange Telefonate abends konnten die Umarmung nicht ersetzen. Als der Opa schließlich schwer erkrankte, stand für Natascha fest: „Ich möchte meinem schwer kranken Vater zur Seite stehen. Auch mein Mann wartet jetzt schon so lange auf uns in Dnipro. Wir müssen in die Ukraine. Aber ich habe große Angst. Wir kehren schließlich in ein Kriegsgebiet zurück.“
Mischas Alltag in der Ukraine: Lernen im Luftschutzbunker
Natascha und Mischa sind nicht die Einzigen, die das Risiko auf sich nehmen, weil die Sehnsucht nach der Heimat groß ist. Gut 300.000 Geflüchtete, die nach dem Krieg nach Deutschland gekommen sind, lebten laut Ausländerzentralregister zwei Jahre später nicht mehr hier.
Kurz vor der Abreise machte Natascha mit Mischa noch einen Ausflug nach Straßburg, um ihm die „Hauptstadt Europas“ zu zeigen. „Er ist zwar noch klein, aber Mischa soll wissen, wie wichtig für uns Europa ist“, sagte sie. „Ohne die Hilfe Europas wäre Dnipro bestimmt schon in russischer Hand.“ Die Millionenstadt gilt als Einfallstor zur Ostukraine. Erst vor einem Monat ließ Wladimir Putin die Stadt mit einer Monster-Rakete vom Typ RS-26 bombardieren. Die 50 Kilogramm schwere Interkontinentalrakete, die auch nuklearen Mehrfachsprengköpfen transportieren kann, richtete großen Schaden in der Millionenstadt an.
Zu dem Zeitpunkt waren die beiden Geflüchteten schon wieder zurück in der alten Heimat. „Diese Bombardierung war nachts. Glücklicherweise hat Mischa davon nichts mitbekommen und schon geschlafen“, sagt Natascha. „Aber auch die normalen Angriffe bestimmen den Alltag schon sehr.“
Mischa wiederholt jetzt das erste Schuljahr, das er in Köln erfolgreich gemeistert hat und lernt das ukrainische Alphabet, eine Variante der kyrillischen Schrift. Er geht gern zur Schule, aber es vergehe kaum ein Tag, an dem die Kinder nicht in den Luftschutzbunker müssen, bedauert seine Mutter. „Und auch in unserer Wohnung bauen wir jetzt einen Bunker im Keller. Jeden Tag sterben Zivilisten, das beschäftigt einen schon sehr.“
Kleiner Mischa vermisst Köln – und trauert um seinen Opa
Die Lichter würden täglich sechs bis acht Stunden ausgeschaltet. Wenn es kein Licht und keinen Strom gibt, sei es „schlimm“, sagt Natascha. Glücklicherweise schalte die Heizung sich noch nicht komplett ab, doch mit Angst blickt sie dem bitterkalten Winter in der Ukraine entgegen. Mischa habe sich trotz all der widrigen Umstände wieder gut eingelebt, freuen sich die Eltern: „Er geht jetzt in den Fußballverein, hat viele neue Freunde gefunden und ist glücklich, seinen Cousin und die Cousinen in der Nähe zu haben. Aber er vermisst seine Freunde, seine Gastfamilie und vor allem deren Hund, mit dem er so gern am Rhein spazieren gegangen ist, schon sehr.“
Die Familie ist wieder vereint, dennoch wird es ein trauriges Weihnachtsfest. Mischas Opa ist im November nach schwerer Krankheit gestorben. „Ich bin froh, dass ich bis zum letzten Moment bei meinem Vater sein konnte“, sagt Natascha. „Und dass ich jetzt meine Mutter unterstützen kann“. Sie versucht, so viel Normalität wie möglich in den Alltag einzubauen. „Es gibt Lebensmittel in allen Läden, das Sortiment ist natürlich klein, aber wir müssen nicht hungern.“
Sie hat Mischa schon Anfang Dezember einen Weihnachtsbaum aufgestellt, um früh Adventsstimmung aufkommen zu lassen in einem Land, das ums Überleben kämpft. Mischas größter Wunsch dieses Jahr? Da muss er nicht lange überlegen: „Dass der Krieg endlich vorbei ist.“