Seine Ärzte glaubten nicht, dass Johannes „Johnny“ Grasser den Rollstuhl jemals verlassen würde. Aber der 33-Jährige zeigte es allen.
Ärzte glaubten nicht an ihnJohnny aus Köln mit unglaublicher Leistung: Vom Rollstuhl auf den Zuckerhut
Johnny Grasser (33) kam drei Monate zu früh auf die Welt. Müßig, darüber zu streiten, ob damals ärztliche Kunstfehler gemacht wurden. Fakt ist: Der Zeitpunkt für einen Kaiserschnitt wurde verpasst, er kam zudem zu früh aus dem Brutkasten. Der Sauerstoffmangel sorgte dafür, dass Johnny an der schwersten Form von Spastik leidet.
Die Ärzte sagten seinen Eltern, dass ihr Sohn wohl nie in der Lage sein würde, eigenständig zu sitzen, zu stehen oder zu gehen. Von wegen! Vor wenigen Wochen erklomm der Kölner den Zuckerhut in Brasilien.
Kölner Tausendsassa Johnny: Drei Jahre Training für Mission seines Lebens
Sein Händedruck ist kräftig, sein Lächeln charmant. Der Mann, der sich zum Interview mit EXPRESS.de auf seinen kräftigen Armen aus dem Rollstuhl hievt, verströmt Adrenalin pur.
Gerade ist er aus Rio de Janeiro zurückgekommen. Drei Jahre hat er für die Mission seines Lebens trainiert, zum Schluss sechs bis sieben Stunden am Tag. Und er hat dann wirklich zusammen mit seinem Team – Spoho-Dozentin Mirjam Limmer, Physiotherapeut Jenek Rahtz, Helfer und Kletterer Paul Lübke – die letzte Teilstrecke vom Zuckerhut erklommen.
Die letzte Etappe – 220 Meter am Stück. Das klingt erst mal nicht viel, ist aber für einen Menschen, dessen Arme, Beine und Hände sich durch die Spastik (und die damit verbundene Muskelspannung) zum Körper hin ständig verkrampfen, eine unglaubliche Leistung.
Der Glaube versetzt Berge, heißt es. Wenn es dafür eines Beweises bedarf, ist Johnny das beste Beispiel. Angespornt durch seine Eltern, die „mich immer so normal behandelt haben wie meine Geschwister“, wollte Johnny sich mit der Rolle des hilflosen Schwerstbehinderten nie abfinden. Dass er auf Helfer angewiesen ist, die sich zwischen 6 und 22 Uhr abwechseln, hat er akzeptiert. Aber sich hängen lassen? Niemals.
„Schon als Kind habe ich schwarze Skipisten gemeistert.“ Und als Sportstudent robbte er sich sogar 16 Kilometer bei den „Mud Masters“ durch den Schlamm. Wie, Sportstudent?
Er grinst: „Ich habe – mit vielen Hürden – mein Abitur gemacht, dann den Bachelor in Sportwissenschaften in München und Australien, schließlich den Master in Exercise Science und Coaching an der Sporthochschule in Köln, parallel dazu ein Studium als Spiel- und Videoanalyst.“
Hunderte von Bewerbungen hat Powerpaket Johnny auf den Weg gebracht, nur Absagen bekommen. „Manche haben sich zurückgemeldet und mir gesagt, dass ich eigentlich hundertprozentig geeignet für den Job sei, aber sie lieber eine Strafgebühr zahlen, als dass sie bei dem Aufwand die Behindertenquote erfüllen würden“, sagt er leise. „Ich habe damals ernsthaft darüber nachgedacht, mein Leben zu beenden.“
Der eiserne Wille gewann die Oberhand. „Jetzt setzte ich noch einen Bachelor in Sport und Gesundheit, Schwerpunkt Prävention und Therapie drauf. Da fehlt mir nur noch der Rettungsschwimmer.“ Wie? Er lacht: „Schwimmen, Radfahren, Skaten, Klettern – das geht alles, man muss es nur wollen und an geeigneten Geräten tüfteln, die mir dabei helfen.“
Mit seinem spektakulären Experiment, einem Sprung vom 7,5 Meter-Turm im Rollstuhl (der nach gut vier Metern ohne ihn am Seil baumelte), fand Johnny viel Aufmerksamkeit. Sportartikelhersteller Adidas kam auf ihn zu, setzt den jungen Mann als Markenbotschafter in Szene.
Mittlerweile ist er auch als Motivationstrainer aktiv. „Viele Menschen glauben, weil wir etwas anders aussehen, dass wir Spastiker auch geistig völlige Volltrottel seien“, ärgert sich der frisch gebackene Buchautor. Was steht als Nächstes auf seinem Wunschzettel?
Er grinst: „Sportliche Herausforderungen brauche ich gerade nicht. Ich möchte mich jetzt vor allem auf meine Vorträge konzentrieren. Und ja, es gab schon mal die ein oder andere Frau, aber mal eine langfristige Beziehung zu führen, das wäre toll. Doch mit so einem Handicap ist das leider nicht einfach, jemanden zu finden.“
Kölner Johnny ist Tetraspastiker – das verbirgt sich dahinter
Als Tetraspastik wird eine Art der Lähmung aller vier Extremitäten – also der Arme und Beine – bezeichnet. Diese ist durch eine starke Anspannung der Muskulatur ausgeprägt, was oft dafür sorgt, dass sich der Körper in unnatürlichen Haltungen verkrampft, mit unkontrollierten Muskelzuckungen.
Die Körperhaltung ist zudem meist asymmetrisch. Erschwert sind für gewöhnlich auch die Kopf– und Augenkontrolle sowie die Sprachmotorik. Oft sind die Betroffenen nicht in der Lage, jemals laufen zu können.