Schock-Diagnose in KölnCarina verliert Kind nach Geburt – dann wird es rührend
Köln – Für Außenstehende mag es zunächst befremdlich wirken, aber für Carina (31) und ihre kleine Familie war es der richtige Weg, um angemessen Abschied zu nehmen.
Die Kölnerin verliert nur sechs Tage nach der Geburt ihre kleine Tochter Ruby. Diagnose: Fetale Akinesie. Ihren Verlust teilt sie öffentlich auf Instagram, zeigt sogar Fotos ihrer verstorbenen Tochter und verarbeitet dadurch ihren eigenen Schmerz.
Zusammen mit ihrer Freundin Carina spricht sie in dem gemeinsamen Podcast Regenbogensahne ganz offen über ihre Gefühle. Die beiden Frauen teilen das gleiche Schicksal und wollen so auch anderen Familien Mut machen.
Mutter spürt Veränderungen in der Schwangerschaft
Dass etwas nicht stimmt, merkt Carina schon in der 30. Schwangerschaftswoche. Sie leidet unter starker Übelkeit und hat das Gefühl, ihre Tochter sei zu ruhig in ihrem Bauch. Als sie die Bedenken bei ihrer Frauenärztin äußert, wird sie laut ihrer Aussage als „hysterische Schwangere” abgetan.
Erst ein Arztwechsel sorgt dafür, dass sie ernst genommen wird. Die Ärztin stellt fest, dass sie zu viel Fruchtwasser hat und überweist sie an einen Feindiagnostiker. Der macht eine Fruchtwasseruntersuchung und bestätigt Carina, was sie insgeheim schon längst wusste, die verminderte Kindsbewegung. Ein Alarmsignal, wenn es um fetale Akinesie geht.
„Mir wurde zur Fruchtwasser-Dränage geraten, denn körperlich war ich mittlerweile wie in der 40. Woche”, erzählt die Kölnerin. Langsam wird klar, die Geburt wird nicht so ablaufen wie geplant...
Fetale Akinesie: Das sind die Symptome
Bei einem Vorgespräch in der Uniklinik Köln hören Carina und ihr Freund Willem (34) zum ersten Mal den Begriff Fetale Akinesie. Doch was bedeutet das? Das Baby kann sich im Bauch der Mutter nicht genug bewegen und leidet unter Symptomen wie
- versteifte Gelenke, Missbildungen
- zu weiter Abstand zwischen den Augen
- abgespreizte Finger (Ulnardeviation der Hände)
- Anomalien/Verformungen im Gesicht
- verzögerte Entwicklung
- Atem- und Herzprobleme
- Gaumenspalte
- Hodenhochstand bei Jungs
Das Grundproblem ist, dass sich das Ungeborene im Mutterleib nicht (ausreichend) bewegt. Das hat am Ende in der Regel tödliche Folgen: Viele Kinder sterben nach der Geburt oder überleben nur mit starken körperlichen Einschränkungen. Eine hohe Lebenserwartung gibt es nicht. Die Krankheit ist sehr selten – vermutlich, weil sie rezessiv vererbt wird.
Fetale Akinesie setzt sich aus den Begriffen „fetale" (beim Fötus/Ungeborenen) und „Akinesie" (Bewegunslosigkeit/hochgradige Bewegungsarmut) zusammen.
„Kein Arzt hat uns erklärt, was das genau bedeutet. Auf dem Weg zurück zur Haltestelle habe ich den Begriff dann gegoogelt und es hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Diese Diagnose würde in jedem Fall den Tod unseres Kindes bedeuten.”
Bereits in der Schwangerschaft müssen Carina und ihr Freund sich jetzt zum ersten Mal mit dem Tod ihrer Tochter auseinander setzen. Die schmerzhaften Gedanken sollen ihr später noch dabei helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, denn für sie steht fest: Sie möchte ihre Tochter nach ihrem Tod noch einmal dorthin bringen, wo sie aufgewachsen wäre. Ihr Zuhause.
In der Uniklinik Köln verliert Carina fünf Liter Fruchtwasser bei der Geburt
Dann geht auf einmal alles ganz schnell. In der 36. Schwangerschaftswoche kommt sie in die Klinik, die Geburt soll eingeleitet werden. Am Donnerstagabend (19. März 2020) werden die Wehen stärker und sie wird in den Kreißsaal gebracht.
Bei der Untersuchung des Muttermunds platzt die Fruchtblase und rund fünf Liter Fruchtwasser laufen auf den Boden. Normalerweise sind es etwa 800 Milliliter, die eine Frau bei einer Geburt an Fruchtwasser verliert. Der Kreißsaal füllt sich mit Ärzten und die Herztöne des Kindes verschlechtern sich.
Dann kommt der Punkt, an dem eine natürliche Geburt nicht mehr möglich ist – Ruby wird mit Hilfe eines Not-Kaiserschnitts auf die Welt gebracht. Während Carina langsam aus der Narkose erwacht, wird Ruby auf die Intensivstation verlegt. Die Kleine kann nicht alleine atmen und muss künstlich versorgt werden.
Carinas Tochter leidet unter extrem seltenem Gendefekt: Fetale Akinesie
Als die junge Mutter am Freitagnachmittag zu ihrer Tochter auf die Station kommt, liegt schon ein kleiner gehäkelter Krake im Kinderbett. Das Stofftier ist ein beliebtes Spielzeug für Frühchen. Es gibt ihnen nicht nur etwas zum Spielen, die Tentakel sollen sie auch an die Nabelschnur im Bauch der Mutter erinnern. „Von da an war der Krake Rubys Symbol”, erzählt Carina.
Äußerlich sieht das Neugeborene gesund aus und zeigt keins der typischen Symptome, doch die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung stehen noch aus. Am Montag dann der Anruf aus der Feindiagnostik und die bestürzende Gewissheit: Ruby leidet an einem seltenen Gendefekt, vererbt von ihren Eltern.
Bis zu diesem Moment wusste keiner, dass die beiden Träger eines kranken Gens sind, denn Rubys zweieinhalb Jahre alter Bruder Finley ist kerngesund. „Es ist der beschissenste Lottogewinn aller Zeiten“, sagt Carina über die Diagnose.
Carina muss sich in der Uniklinik Köln von ihrer Tochter verabschieden
Ein Experte setzt keine Hoffnung darauf, dass Ruby jemals alleine atmen wird. „Er hat uns gesagt, dass er bisher noch keinen Krankheitsfall in diesem Ausmaß gesehen hat. Zu dem Zeitpunkt hatten wir schon den Gedanken die Geräte abzustellen.”
Alle Überlegungen werden am Dienstag hinfällig – der Lungenflügel des kleinen Mädchens kollabiert und die auf Mittwoch angesetzte Nottaufe wird vorgezogen. „Ich glaube ganz fest daran, dass sie gespürt hat, dass es keine Hoffnung mehr gibt und sie nicht länger für uns kämpfen muss”, sagt Carina heute.
Dann verabschiedet sich die Familie ein letztes Mal von ihrer Ruby, bevor der Tubus zur künstlichen Beatmung gezogen wird und das kleine Mädchen friedlich auf der Brust ihrer Mutter einschlafen darf.
Kölner Mutter möchte ihre verstorbene Tochter nach Hause bringen
Am nächsten Morgen soll ein Organisations-Marathon beginnen – denn Carina ist sich sicherer denn je, sie will ihre Tochter noch einmal nach Hause bringen. Dabei befindet sie sich in einem Wettlauf mit der Zeit, denn laut Gesetz müssen Verstorbene spätestens 36 Stunden nach ihrem Tod in eine Leichenhalle überführt werden.
„Ich war den kompletten Vormittag damit beschäftigt rumzutelefonieren, was zu tun ist”, erzählt sie. Die Ärzte können ihr nicht weiterhelfen, viele wissen selbst nicht, dass es erlaubt ist, ein verstorbenes Kind vor der Beerdigung mit nach Hause zu nehmen.
Mittwochnachmittag darf die kleine Familie dann endlich das Krankenhaus verlassen und bringt Ruby in einem kleinen Weidenkörbchen nach Hause. Hier soll eine Gedenkfeier für Freunde und Familie stattfinden. „Wir wollten, dass sie unsere Tochter kennenlernen können. Wem das zu viel war, der ist einfach bei uns im Wohnzimmer geblieben.”
Für Carina sind diese Momente wertvolle Erinnerung, über die sie heute sagt: „Mein Kopf hatte verstanden, dass mein Kind tot war. Mein Herz aber noch nicht.”
Carina klärt Instagram Eltern über Fetale Akinesie auf
Die Zeit, in der Ruby zu Hause ist, hilft der Familie zu verstehen: „Es war unfassbar traurig, denn man weiß, man muss loslassen. Aber dann kommt man an den einen Punkt, an dem man merkt: Jetzt ist es okay, jetzt kann ich sie gehen lassen.“
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Ihre letzten Stunden mit Ruby hält Carina in emotionalen Bildern fest, die sie bei Instagram öffentlich mit anderen teilt. „Ich glaube, dass man manche Dinge sehen muss, um zu begreifen. Wenn wir dem Tod in unserer Mitte Platz machen, verlieren wir vielleicht ein wenig die Angst davor und helfen Betroffenen, sich nicht mehr ausgeschlossen zu fühlen und tabuisiert zu werden.”
Kölner Mutter macht Sternen-Eltern Mut und verarbeitet ihren Verlust
Nachdem sie die Bilder veröffentlicht, melden sich andere Betroffene bei ihr und teilen ihre ganz persönlichen Geschichten und Fotos mit der Kölnerin. „Viele haben mir gesagt: Hätten wir gewusst, dass man sein Kind mit nach Hause nehmen darf, hätten wir anders gehandelt”, erzählt Carina.
Auch wenn der Verlust ihrer Tochter erst wenige Monate zurück liegt, geht sie offen mit der schmerzhaften Erfahrung um. „Ich glaube, ich kann jetzt so damit umgehen, weil wir auf diese Art und Weise Abschied genommen haben. Wir sind in unserer Trauer ein ganzes Stück weiter, denn unsere Tochter hat für unsere Familie ein Gesicht bekommen und ist nach ihrem Tod nicht einfach aus dem Krankenhaus verschwunden.”