Die Südstadt, 1972. Jochen Skala ist im ersten Dienstjahr in der Achterstraße, um Knöllchen zu verteilen. Gerade hat der Polizist das Motorrad abgestellt, als ein schwarzer „Chevy“ in die Einbahnstraße biegt – und die Luft in der Südstadt droht dünn zu werden: „Ich halte den an und wer steigt aus? Schäfers Nas“, erinnert sich Skala.
Doch der berüchtigte Zuhälterkönig des Miljös ist gut gelaunt. „Wat häste?“ beginnt der Straßendialog. „So wie ich das sehe, bist du kein Taxi oder KVB-Bus, oder?“ – „Hast recht, wie viel kostet das? 10 Mark? Hier sind 100. Bezahl die in der Schlange hinter mir gleich mit.“ Aber natürlich kriegt die „Nas“ die Quittung und 90 Mark zurück.
Eine Begegnung, typisch für die Beziehung zwischen Polizei und Unterwelt in dieser Zeit. Denn man kannte und tolerierte sich. Beamte wie Skala und sein Kollege Jürgen Kritz von der Fahndung waren vor allem eines: draußen auf der Straße. „Wenn man ständig nachts die Leute dienstlich sieht und mit denen quatscht, dann baut sich da ein Vertrauen auf“, erklärt Skala.
Wie Kritz hat er die berüchtigten Miljö-Größen von einst nicht nur gekannt, er hat sie auch festgenommen. Dabei den schmalen Grat zwischen Distanz und Respekt zu finden, war die Kunst. „Das waren Straftäter“, beschönigen die beiden heutigen Rentner nichts. Doch die Geschichten von damals, die sie erzählen, belegen jenen gewissen Respekt, den die Kriminellen vor der „Schmier“ im damaligen „Chicago am Rhein“ noch hatten.
„Die Kölner Größen waren immer in Ordnung, wenn es um Festnahmen ging“, sagt Jürgen Kritz, der in der seiner 32-jährigen Dienstzeit mehr als 5.000 Haftbefehle vollstreckte. „Die vermeintlich unbescholtenen Familienväter machen die meiste Randale. Aber jemand, der Knast hinter sich hat, sagt: »Ok, hab verloren. Wenn ich Randale mache, gibt es noch mehr«.“
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Einbrüche, Überfalle, Schlägereien
Der Alltag im Kölner Miljö hatte es in sich. Einbrüche, Überfalle, Schlägereien. Tagsüber glüht das Rotlicht im „EWG-Viertel“ (Abkürzung für: Eigelstein-Weidengasse-Gereonswall), ab 23 Uhr dann auf den Ringen. Kritz’ Job ist es auch, Läden wie „Happy Day“, „Saphir“, „Scotchmans Club“ präventiv auszuspionieren. Das nennt man „Erkennende Fahndung“.
Für den Fall, dass es in einem Club knallt, hilft es zu wissen, wer wo arbeitet, wer welche Mädchen laufen hat, wer mit wem gut kann – oder nicht. „Früher war es so: wenn du den Türsteher im Griff hattest, hattest du den Laden im Griff“, erklärt er. „Man musste sich arrangieren. Die Portiers haben uns durch die Bank geholfen.“
Doch nicht immer mit Erfolg: Viele Auseinandersetzungen werden im Miljö untereinander geklärt. Manche Straftaten werden nie aufgedeckt. Zum Beispiel der Mord am beliebten „Hamburger Günter“. Kritz erinnert sich: „Er hatte Narrenfreiheit im Miljö. Er war ganz leicht, hatte ganz schweren Rücken. Und den haben sie am Klapperhof fertig gemacht. Das ganze Miljö hätte Geld auf den Tisch gelegt, um die Mörder zu kriegen. Die Belohnung war richtig hoch. Es müssen Leute von außerhalb gewesen sein. Sie wurden nie gefunden.“
Wir treffen einen weiteren „kölschen Schutzmann“ aus der alten Zeit. 1.200 Mark verdient Schutzmann Kaspar Reuter (88) in den 60er Jahren. „Die Prostituierten haben an Weihnachten für uns als Dankeschön gestrickt“, erinnert sich der frühere Gewichtheber, der auch mal einen „Hausbesuch“ bei Boxer Peter „De Aap“ Müller machte: „Er hatte Theater mit seiner Frau. Ich nahm ihn in den Schwitzkasten, da wurde er zahm.“
Wie erträgt eine Familie so einen Job? „Ohne Vertrauen geht es nicht. Wenn du nachts mit Nutten unterwegs warst und nach 1.000 Parfums riechst, war das halt so. Man durfte sich nur nie mit ihnen einlassen“, erzählt Jürgen Kritz. Ein verliebter Kollege warnte einmal vor einer Razzia – und flog auf.
Skala erklärt auch, dass es durchaus Sinn machte, mit den Verbrechern am Ring auch mal dienstlich Kaffee zu trinken. Oder privat im Miljö-Treffpunkt „Brückeck“ ein Feierabend-Kölsch zu zischen: „Man durfte nur nie was annehmen. So erhielt man Respekt“. Beide berichten, wie diese Nähe zu Straftätern manchen SEK-Einsatz in letzter Sekunde verhinderte.
„Dieser gewisse Respekt, den hatte damals der sogenannte Miljö-Typ. Ich erinnere mich, wenn Schäfers Nas sah, dass wir bei einem Einsatz in Unterzahl waren, sagte der: «Das kriegt ihr nicht geregelt, das machen wir mal.« Das ist zwei, dreimal wirklich passiert. Da gab es eine Ohrlasche für die Täter und es war Ruhe: Ich kann nur für mich sprechen, aber bei mir ist es nie zu Widerständen gekommen.“
Beide Pensionäre sitzen beim Kaffee in der City und sind mit sich im Reinen. Angst, Drohungen? Diese Worte fallen nicht, wenn sie von früher sprechen. Eines wollen wir noch wissen: Wer hat damals das Kreuz aus dem Dom geklaut, das „Schäfers Nas“ wieder beschaffen konnte?
„Den Dom beklaut man nicht, sagte die Nas. Das Kreuz war wieder da und das war es dann. Ende, Aus, fertig. Ein Täter ist nicht ermittelt worden“, so Kritz. Und Skala ergänzt: „Das ist ja typisch. Wenn einer sowas besorgt, weiß er auch, wer es geklaut hat. Das war die damalige Ganovenehre, das muss man einfach akzeptieren.“