„Habe meinen Job verloren“Kita-Notstand im Rheinland macht Eltern mürbe

Violetta Berkelmeier (39), Solmaz Richrath (42), Natalia Tapia (39), Mara (4) und Anastasia Kirfel (30).

Demo zum Kitanotstand in Leverkusen am 21.02.2024.

Violetta Berkelmeier, Solmaz Richrath (42), Natalia Tapia (39) und Anastasia Kirfel (30) bei der Demo zum Kita-Notstand in Leverkusen am 21. Februar 2024.

Kitas in der Krise: Zu wenige Plätze, stark reduzierte Betreuungszeiten – das treibt Eltern (und auch Kinder!) in die Verzweiflung. Hier kommen Betroffene zu Wort.

von Marie Schäfers  (mjs)

Was viele Eltern im Rheinland, in NRW, ja in vielen Teilen der Republik, gerade mitmachen, ist eine Tortur. Die einen warten seit Jahren auf einen Kitaplatz. Bundesweit fehlen nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung 400.000 davon.

Die anderen, die einen haben, schlagen sich mit verkürzten Betreuungszeiten herum. Da verlieren Menschen ihren Job, weil sie regelmäßig spontan ihre Kinder betreuen müssen, statt zur Arbeit zu fahren.

Kita-Notstand: So dramatisch ist die Lage im Rheinland

Bislang ertrugen das die Eltern. Oma und Opa springen ein, wo es geht. Der Rest schaut in die Röhre. Vor allem die Kinder. Einige Kommunen im Rheinland kriegen die Betreuung gut hin. Andere weniger. Wie Köln. Oder Leverkusen. Dort brodelte es Ende Februar 2024. Demo vor dem Rathaus. Eltern warten Jahre auf einen Kitaplatz. Betreuungszeiten werden gekürzt. Ohne Ausnahme, ohne Notbetreuung.

„Das stellt Eltern vor unlösbare Aufgaben“, sagt Irina Prüm, Sprecherin der Bundeselternvertretung für Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. „Besonders, wenn über die Köpfe aller Eltern hinweg entschieden wird, es keine Einzelfalllösungen gibt. Das gilt für berufstätige Eltern, aber auch für alle, die eine Ausbildung machen, Angehörige pflegen müssen, für Eltern, die unter Erkrankungen leiden, vielleicht Therapien wahrnehmen müssen oder allgemein in einer schwierigen Familiensituation leben.“

Zu wenig Plätze, zu wenig Betreuung

„Habe meinen Job verloren“: Was Kita-Notstand für Eltern bedeutet

Isabella Marten

mit Tochter Anne (1)

Demo zum Kitanotstand in Leverkusen am 21. Februar 2024 vor dem Leverkusener Rathaus.

Die dreifache Mutter Isabella Marten hatte gerade erst eine neue Stelle angetreten, da fiel die Betreuung für Jonas (3), Kilian (4) und Anne (1) immer wieder aus. Die Kauffrau war noch in Probezeit. Ihr Mann ist in Vollzeit berufstätig. Ihr Chef machte das nicht mit. „Wer soll mir in so einer Situation einen Job geben? Finanziell ist es mit nur einem Verdiener in der Familie eng“, sagt sie uns.

Violetta Berkelmeier (39), Solmaz Richrath (42), Natalia Tapia (39), Mara (4) und Anastasia Kirfel (30).

Demo zum Kitanotstand in Leverkusen am 21. Februar 2024

Machten auf der Demo in Leverkusen ihrem Unmut Luft (v. r. n. l.): Chemielaborantin Anastasia Kirfel (30) wartete drei Jahre (!) auf einen Kita-Platz für ihr Kind, bekam immer wieder Absagen, jetzt hat sie einen Platz. „Die Großeltern sind eingesprungen, haben jeden Tag aufgepasst, da auch mein Mann in Vollzeit arbeitet.“ Natalia Tapia (39) hat drei Kinder, zwei sind noch in der Kita. „Wir wissen nie, was morgens ist, erfahren das erst vor der Kita-Tür. Mir ist es wichtig, dass meine Kinder in die Kita gehen. Mein Mann und ich kommen aus Spanien, Deutsch ist nicht unsere Muttersprache. Die Kinder sollen aber unter Muttersprachlern sein, sonst heißt es bei der Einschulung: Das Kind spricht nicht gut Deutsch.“ Der Sohn von Solmaz Richrath (42) darf auch nur „rollierend“ in die Kita. An welchen Tagen, das ist jede Woche anders, steht oft erst von Tag zu Tag fest. „Planen kann man so nicht.“ Violetta Berkelmeier (39) ist aus dem Bergischen nach Leverkusen gekommen, um zu unterstützen. Bei ihrer Tochter Mara (4) funktioniert die Betreuung. „Ich kann nicht fassen, was die Familien hier durchmachen.“ Das Foto wurde am 21. Februar 2024 aufgenommen

Magdalena De Gregorio (35 mit Tochter Emilia (4) bei der Demo zum Kitanotstand in Leverkusen am 21. Februar 2024 vor dem Leverkusener Rathaus.

Emilia (4), Tochter von Magdalena De Gregorio (35), ist gerade auch im „rollierenden System“, an verschiedenen Tagen kann sie nicht in die Kita. Papa arbeitet im Einzelhandel, Mama in der Pflege. „Wenn Oma und Opa nicht einspringen würden, wüssten wir nicht, was wir tun sollten“, so Magdalena. „Und immer wieder ein Anruf, man müsse das Kind um 12.30 Uhr abholen. Wie soll man das machen?“

Verena Gessing (31)

Kinder Lea (5) und Max (1,5)

Demo zum Kitanotstand in Leverkusen am 21. Februar 2024 vor dem Leverkusener Rathaus.

Verena Gessing (31), Mutter von Lea (5) und Max (1), nervt vor allem die komplette Unberechenbarkeit in der Betreuung. Sie hat einen 45-Stunden-Platz, derzeit werden aber nur 35 Stunden erfüllt. „Da kommt heute der Anruf, das morgen die Kita geschlossen ist.“ Ihr Mann ist Polizist, sie beginnt bald einen neuen Job als Bürokauffrau. „Was soll ich meinem Chef sagen?“

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Vor allem greift es zu kurz im Sinne der Kinder. „Eine Kita ist keine Verwahrstelle, es geht dort um frühkindliche Bildung, Betreuung, um Erziehung durch pädagogische Fachkräfte. Wenn man die Kinder früher bzw. tageweise nach Hause schickt, müsste die Förderung zu Hause stattfinden. Ist leider nicht immer der Fall. Damit werden für einige Kinder Zukunftschancen verbaut und auch Existenzen von Eltern gefährdet.“

Fachkräftemangel ist das Problem. Aber Bedarfe werden auch falsch geplant. Und: „Man könnte vieles machen, um den Mangel nicht ausarten zu lassen“, so Prüm. „Diese Optionen werden oft nicht vollständig ausgeschöpft.“

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An Effizienz hapert es oft zudem, das hat auch René Richrath (52), Organisator der Leverkusener Demo, festgestellt. „Da sitzt morgens eine Erzieherin, führt die Listen, welche Kinder ankommen. Das kann eine andere Kraft machen, die die Stadt stellt.“

Zur Wahrheit gehört: Zu viele Eltern finden sich mit den Gegebenheiten ab. Dabei kann man handeln. Was kann ich tun, wenn ich keinen Kita-Platz bekomme? Der Eintrag in den digitalen Vormerksystemen wie Little Bird oder Kitaplaner reicht nicht immer.

Kita-Notstand: So können Eltern jetzt handeln

  1. In Leverkusen beispielsweise sollte man einen Antrag zur Erfüllung des Rechtsanspruchs beim Jugendamt stellen. Das geht nur in einem persönlichen Termin. Wissen aber nicht alle Eltern.
  2. Wer keine Zusage über den Kitaplaner erhält, sollte allerspätestens ein halbes Jahr vor Betreuungsbeginn dem Jugendamt den Bedarf melden. „Das hat dann maximal sechs Monate Zeit, einen Platz zu finden.“ Wird kein Platz angeboten, Rechtsweg beschreiten.
  3. Und wenn Betreuungsstunden gekürzt werden? Muss man nicht hinnehmen. Eltern haben privatrechtliche Verträge geschlossen, die werden aber massenweise gebrochen. Als Erstes den Träger offiziell auffordern, den Vertrag zu erfüllen. Irina Prüm sagt: „Viele Eltern scheuen diesen Weg, aus Angst, dass ihre Kinder einen Nachteil hätten oder man mit dem Kita-Team Probleme bekommt, das ja auch sehr unter der Situation leidet. So traurig ich das finde, aber mittlerweile bin ich persönlich überzeugt, wenn Eltern und auch Fachkräfte in den Kitas nicht ihre Rechte einfordern, wird sich die Situation noch einige Jahre verschlimmern“

Generell gilt dieser Tipp: Sich an Jugendamtselternbeiräte (oder „Stadtelternräte“) wenden. Die können Probleme dann auf höherer Ebene klären.