Alle reden derzeit von Wasserstoff. Wir erklären, wie H2, der „Stoff der Zukunft“, unseren Energiehunger stillen kann. Und wie wir alle etwas davon haben.
Erneuerbare EnergienWas bringt mir eigentlich dieser Wasserstoff, von dem gerade alle reden?
Energiewende – ein Wort mit zwölf Buchstaben, aber auch mit mindestens einem Dutzend Fragen und Ängsten: Gasheizung noch schnell erneuern, aber was, wenn das Heizen mit fossilem Erdgas ab 2045 verboten ist?
Wärmepumpe rein – aber warum ist die so laut und teuer? Und wann kann ich daheim zum Heizen diesen Wasserstoff, von dem gerade alle reden, nutzen?
Wasserstoff lässt sich im Gegensatz zu Strom lange speichern
Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 in Deutschland soll Wasserstoff eine entscheidende Rolle spielen – nicht zuletzt, weil erneuerbarer Strom in Sachen Erzeugung, Transport und Speicherung schnell an seine Grenzen gerät.
Wasserstoff dagegen lässt sich weltweit in großen Mengen herstellen, transportieren, speichern und erzeugt im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen bei der Verbrennung keine schädlichen Emissionen. Wenn er dazu noch als „grüner Wasserstoff“ daherkommt, ist er zudem klimaneutral.
Dieser Wasserstoff soll mittelfristig Deutschlands gewaltigen Energiehunger stillen, soll in Stahlwerken die Kohle, in Gaskraftwerken das Erdgas ersetzen – und in Privathaushalten für eine warme Stube sorgen.
Die „Kraftwerksstrategie“, auf die sich die Bundesregierung Anfang Februar 2024 geeinigt hat, sieht zudem vor, dass zur Stromerzeugung neue Gaskraftwerke zwischen 2035 und 2040 vollständig mit grünem Wasserstoff betrieben werden sollen.
Unser Gasnetz kann auch Wasserstoff transportieren
Und das geht ohne Weiteres? Für den Transport des Wasserstoffs zum Endkunden kann eine bereits bestehende Infrastruktur genutzt werden: das Gasnetz mit rund 550.000 Kilometern Leitungslänge, vielen Importpunkten und insgesamt 47 angeschlossenen Erdgasspeichern.
Es transportiert schon heute in etwa doppelt so viel Energie wie das Stromnetz, und kann – anders als dieses – große Energiemengen, auch langfristig, speichern.
„Wir verfügen über ein gut gewartetes Netz, das hochverfügbar ist und eine extrem niedrige Ausfallzeit hat – 1,5 Minuten pro Jahr über alle Kunden“, sagt Energie- und Technologieexperte Frank Dietzsch vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) im Gespräch mit EXPRESS.de. Strom kommt aktuell auf 21 Minuten pro Kunde und Jahr.
Weiteres Argument fürs „Gas geben“ beim Wasserstoff auf dem Wärmemarkt: Viele Materialien, die im Zusammenspiel von Gasnetz, Hausanschlüssen und Endgeräten im Einsatz seien, „sind auch wasserstofftauglich“, sagt der Fachmann des DVGW, in dem knapp 3500 Unternehmen (entspricht 91 Prozent der Gasnetzbetreiber) Mitglied sind: „Es muss relativ wenig am Netz gemacht werden, hier und da müssen seitens der Netzbetreiber einige Bauteile oder Messeinrichtungen ausgetauscht werden.“
Wasserstoff: So können Privathaushalte ihre Gastherme anpassen
Und zu Hause? „Der überwiegende Teil der heute eingesetzten Gasgeräte, zumindest die ab Baujahr 1996, vertragen bis zu 20 Prozent Wasserstoff“, sagt Dietzsch, „wir wissen von einigen Herstellern, dass ‚H2-ready-Geräte‘ vermarktet werden, die mit einem Umrüstkitt auch mit bis zu 100 Prozent Wasserstoff laufen können.“ Für den Endkunden bedeute dies maximal: Gastherme anpassen oder tauschen. „Da stehen sich dann nach aktueller Lage Kosten von etwa 10.000 Euro für ein ‚H2-ready-Gerät‘ und bis zu 40.000 Euro für eine Wärmepumpe mit ihren energetischen Maßnahmen an der Gebäudehülle gegenüber.“
Dass Wasserstoff im Wärmemarkt auch in der Realität funktioniert, zeigt ein vom DVGW initiiertes Wasserstoff-Projekt in Schopsdorf (Sachsen-Anhalt) und ein weiteres H2-Projekt der Energie Südbayern (ESB) im bayerischen Hohenwart, in denen schon jetzt Privathaushalte mit bis zu 100 Prozent grünem Wasserstoff versorgt werden.
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Klingt zu schön, um wahr zu sein, aber zur Wahrheit gehört auch, dass für die Erzeugung von H2 über die „Power-to-Gas“-Technologie – der Anglizismus bedeutet, dass elektrische Energie (Strom) mittels Wasserelektrolyse zu chemischer Energie (Gas) umgewandelt wird – jede Menge Strom benötigt wird. Am besten aus erneuerbaren Energien.
Entsprechend muss neben dem Ausbau der Erneuerbaren auch der Ausbau des Stromnetzes vorangetrieben werden. „Letzterer kommt noch nicht so richtig in Fahrt“, so Dietzsch, „die Stromnetzbetreiber berichten, dass z. B. jede Wallbox, die für E-Mobilität angebracht wird, leistungsmäßig ein Thema ist. Wenn dann noch der komplette Wärmemarkt elektrifiziert werden soll, stoßen wir schnell an Kapazitätsgrenzen.“
Wasserstoff: Der kompakte H2-Steckbrief
Molekularer Wasserstoff (H2) ist ein geruch- und farbloses Gas. Kommt in der Natur in reiner Form nicht vor, muss also erzeugt/gewonnen werden. Hier eine Übersicht des Wasserstoffportals H2-news über die Klassifikation des Wasserstoffs nach Farben:
- Grüner Wasserstoff: Wird durch Elektrolyse von Wasser hergestellt. Grün ist er nur, wenn nur Strom aus erneuerbaren Energien zum Einsatz kommt.
- Türkiser Wasserstoff: Wird über die thermische Spaltung von Methan hergestellt. CO2-neutral, wenn die Wärmeversorgung des Reaktors aus erneuerbaren Energiequellen erfolgt und der Kohlenstoff dauerhaft gebunden wird.
- Blauer Wasserstoff: Das im Produktionsprozess entstehende CO2 wird gespeichert, gelangt nicht in die Atmosphäre. Produktion gilt als CO2-neutral.
- Grauer Wasserstoff: Wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen, das dabei entstehende CO2 wird in die Atmosphäre abgegeben. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen circa zehn Tonnen CO2.
- Rosa Wasserstoff: Entsteht, wenn bei der Elektrolyse Strom aus Kernkraft verwendet wird. Dieses Prozedere ist sehr selten.
Wasserstoff: Darum bleiben Importe wichtig
Der Bedarf an Wasserstoff kann durch heimische Produktion nicht vollständig abgedeckt werden, die Wasserstoffversorgung muss also breit aufgestellt werden. Einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Studie des Fraunhofer Instituts zufolge sollte Deutschland aus Fehlern der Vergangenheit beim Erdgas lernen und eine starke Fokussierung auf wenige Anbieter wie Russland vermeiden.
„Wir werden Importland bleiben“, sagt auch Frank Dietzsch, „wir beziehen den Wasserstoff, der sich wie Erdgas bei LNG verflüssigen lässt, durch große Pipelines z. B. aus Norwegen, Nordafrika oder auch per Schiff.“
In der vergangenen Woche hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine Absichtserklärung über künftige Wasserstofflieferungen aus Algerien nach Deutschland unterzeichnet. Man wolle „Algerien darin bestärken, verstärkt grünen Wasserstoff zu produzieren, dafür mehr in Solar- und Windenergie zu investieren, Deutschland und die EU stünden als potenzielle Abnehmerländer für grünen Wasserstoff bereit“, so Habeck.