„Haben es einfach nicht kapiert“Expertin fällt hartes Urteil über Laura, Bibi & Co.
Rheinbach – Ihr Leben ist scheinbar immer kunterbunt und aufregend. Und stets perfekt ausgeleuchtet. 24 Stunden am Tag sind sie für ihre Fans da. Für die Millionen Menschen, die sie bei jedem Schritt in ihrem Alltag begleiten. Und der besteht aus unzähligen Kurzvideos, Schnappschüssen, Selfies, Clips und Fotos im Netz. Sie heißen „BibisBeautyPalace“, Lisa und Lena, Dagi oder Laura Müller.
Influencer sind schon seit langem die Stars im Netz. Über Instagram, TikTok, Facebook, Snapchat wurden sie zu Vorbildern einer ganzen Generation. Sie geben ihnen Schminktipps, eine Style-Beratung, stellen die neuesten Produkte vor – und sind längst ein eigener gigantischer Wirtschaftszweig geworden.
Große Unternehmen bezahlen Influencer dafür, dass ihre Produkte in den Fotos oder Videos auftauchen. Und die sehen perfekt aus: Keine Dellen am Oberschenkel, keine Pickel, makellos gebräunte, glatte Haut. Eine perfekt inszenierte Welt mit perfekt inszenierten Produkten. Je mehr Likes von den meist jungen Followern, je mehr Herzchen, desto mehr Geld wird ins Portemonnaie gespült.
Influencer: Wie groß ist ihr Einfluss, und wie groß ihre Verantwortung?
Doch welchen Einfluss haben Influencer auf unsere Jugend wirklich? Und sind sich die Influencer selbst darüber bewusst, wie viel Verantwortung sie tragen? Zehn Medienschüler der Glasfachschule Rheinbach sind diesen kritischen Fragen nachgegangen – und haben dafür nicht nur Influencer und ein Instagram-Model, sondern auch Medienexperten getroffen.
Entstanden ist ihre kritische Dokumentation „Unfiltered - Influencer. Digitaler Narzissmus?“, die am Dienstag (23.06.) um 20 Uhr im Autokino in Rheinbach Premiere feiert.
„Influencer werden mittlerweile immer jünger“, erklärt die frisch gebackene Absolventin Chiara Petersheim, die nicht nur Regie geführt hat, sondern auch für die Schnitte und Interviews verantwortlich war. „Es gibt Kinder, die sieben, acht Jahre alt sind und die schon so im Vordergrund stehen, mit Millionen von Abonnenten. Da fragt man sich schon: Wo führt das alles hin?“
Influencer: Für viele der Traumberuf schlechthin
Influencer, das sei für viele der Traumberuf schlechthin. Kostenlose Produkte, die zugeschickt werden. Einladungen zu Events und Urlauben. „Das wirkt wie das perfekte Leben. Und wir wollen zeigen, welche Risiken das haben kann“, erklärt Chiara Petersheim. Schließlich werde das Phänomen immer größer, gerade für Kinder und Jugendliche. „Als Filmteam wollen wir ein Blick hinter die Fassade werfen.“
Dafür fahren die Schüler unter anderem nach Berlin, um die Influencerin Frankie Miles (29) zu treffen, die auch als Instagram-Model arbeitet. Ihre Themen: Mode und Lifestyle. Sie erklärt in der Doku, wie viel Arbeit hinter dem vermeintlichen Traumjob steckt. Sie ist Sekretärin, Fotografin, Bildbearbeitung, Maskenbildnerin, Model in einer Person.
Anti-Influencerin Toyah Diebel: „Jeder Idiot denkt, er kann Influencer sein”
Auch die Anti-Influencerin Toyah Diebel haben die Schüler getroffen. Sie wurde 2019 bundesweit mit ihrer Kampagne #deinkindauchnicht bekannt. Ihr Ziel: Die Persönlichkeitsrechte von Kindern schützen. Dazu holte sie sich Wilson Gonzalez Ochsenknecht als Fotomodel ins Boot.
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In der Doku will Toyah Diebel (29) auf die trügerische Seite des Influencer-Lebens aufmerksam machen. „Der Begriff Influencer löst in mir persönlich einen Brechreiz aus“, erklärt sie. „Denn er ist total negativ behaftet. Jeder Idiot denkt, dass er ein Influencer sein kann.“
Dabei solle man sich vielmehr fragen, was „Influencer“ bedeutet. „Eine Person, die Einfluss hat. Eigentlich ist es ein Beruf, der sehr viel Verantwortung mit sich bringt. Ich bin der Meinung, dass 90 Prozent der selbst ernannten Influencer gar nicht mit dieser Verantwortung zurechtkommen, die sie da haben. Oder sich dessen bewusst sind.“
Toyah Diebel sieht auch die Frauen in der Verantwortung, „zu zeigen, dass sie mehr können, als sich zu schminken oder anzuziehen“.
Frankie Miles: „Es ist gefährlich, perfektes Leben zu suggerieren”
Schöne Bilder, hübsches Äußeres – auch Frankie Miles hat so angefangen. „Ich hatte anfangs keine tiefe Botschaft“, erklärt sie. Mittlerweile sei sie aber ihrer Verantwortung bewusst. „Was als Hobby begonnen hat, ist nun eine verantwortungsvolle Aufgabe.“ Sie wisse, wie gefährlich es sein kann, ein perfektes Leben zu suggerieren.
„Das ist vor allem für Menschen die in einer Ausbildung stecken, gefährlich: Es scheint so, als sei der Job als Influencer super einfach. Du brauchst nur eine Kamera, eine Freundin, dann geht es los. Das ist ein Trugschluss.“ Einer, der fatal enden kann, schließt Frankie Miles. „Für Menschen, die sich auf den Karrierezweig stürzen, ohne zu wissen, was dahintersteckt.“
Toyah Diebel: Wenige Menschen kommen mit dem Hass im Netz klar
Dazu komme auch die Kritik und der Hass im Netz, erklärt Toyah Diebel. Viele der Menschen, die anfangs nur in der Öffentlichkeit stehen wollten, kommen später mit den negativen Kommentaren schlecht klar. „Und da kann eine Depression oder depressive Züge leicht entstehen, definitiv.“
Auch Medienexperten sehen in der Doku Influencer kritisch.
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Prof. Dr. Caja Thimm ist Medienwissenschaftlerin an der Uni Bonn, selbst Mutter von zwei Töchtern: „Gerade auf Instagram machen mir einige Sachen Bauchschmerzen“, erklärt die Expertin. „Das Frauenbild auf Instagram ist teilweise unterirdisch.“
Bonner Medienwissenschaftlerin: „Frauenbild ist ausgesprochen problematisch”
Vor allen Dingen den Hashtag #ootd, der „Outfit of the Day“ bedeutet, sieht sie kritisch. Dort laden auch viele junge Schülerinnen ihr Outfit hoch. „Dort haben wir sehr viele soziale Vergleichsprozesse, es geht nur darum, schön und dünn zu sein. Und das finde ich ausgesprochen problematisch.“ Instagram habe da nicht nur einen großen, sondern sehr schlechten Einfluss.
Deshalb haben Influencer durchaus eine große Verantwortung, meint auch die Medienexpertin. „Es gibt ja teilweise symbiotische Beziehungen zwischen Followern und Influencern.”
Bonner Medienexpertin über Influencer: „Sie sind Vorbilder für Mädchen im fragilen Alter”
Wenn Bibi schwanger ist oder wenn sich jemand trennt, dann herrsche viel Anteilnahme. „Sie haben große Verantwortung, aber sie haben es häufig noch nicht kapiert.” Gerade gegenüber jungen Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren sei die Verantwortung groß, für sie sind Influencer echte Vorbilder. „Das ist ein fragiles Alter, da sucht man häufig noch nach sich selber.”
Da sei es sehr problematisch, was viele Influencer in Deutschland posten. „Insbesondere, wie Mädchen sich verhalten sollen gegenüber ihren männlichen Freunden. Ein Frauenbild, das ich nicht besonders positiv finde.”
Das sieht Influencerin Frankie Miles ähnlich: „Junge Leute sind viel beeinflussbarer. Denen kann man viel mehr erzählen, ohne dass sie es hinterfragen“, meint das Instagram-Model. „Das kann super gefährlich werden.“
Einige Influencer werden zu „Sinnfluencern”
Seit einiger Zeit tummeln sich in den sozialen Netzwerken, Influencer, die ihre Reichweite für etwas Positives nutzen wollen. Auf YouTube und Instagram tauchen immer mehr sogenannte „Sinnfluencer“ auf. Oft junge Frauen, die positive Botschaften vermitteln wollen. Sie halten nicht mehr jedes Produkt in die Kamera, sondern setzen vermehrt auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz.
Und das ist wichtig: Mehr als jeder fünfte Deutsche hat schon einmal ein Produkt gekauft, weil er es zuvor bei einem Influencer gesehen hat. Dies hat eine aktuelle Befragung des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) ergeben. 52,6 Prozent der 16 bis 24-Jährigen geben an, dass sie bereits ein durch Influencer beworbenes Produkt gekauft haben. Der Einfluss von Influencern ist gewaltig.
„Für unsere Generation gehören soziale Medien dazu – deshalb sind wir verantwortlich”
Am Ende der Dokumentation ziehen die Schüler ein Fazit. Hat sich ihre eigene Meinung geändert? Gerade in der Welt von Corona würden soziale Medien eine noch größere Rolle spielen, erläutert Chiara Petersheim. „Ich merke, dass die Menschen auch total dankbar dafür sind, dass sie vom Alltag abgelenkt werden.“
Deshalb sei es umso wichtiger, dass man Influencer und das System dahinter kritisch betrachte. „Jugendliche sollten nicht zu viel Zeit bei denen verbringen, weil sie sonst das Wichtige aus den Augen verlieren. Und sich selbst abkapseln.“
Ihr Resümee: „Wir sollten uns auf der einen Seite bewusst sein, dass soziale Medien dazugehören. Wir sind die Generation, die damit arbeiten wird. Aber wir sind auch dafür verantwortlich, wie wir mit diesen Medien umgehen.“