Nach Eklat im BundestagWüst fordert demokratische Allianz - SPD: „Tabubruch“

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ruft dazu auf, den Aufstieg der AfD zu verhindern. (Archivbild)

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ruft dazu auf, den Aufstieg der AfD zu verhindern. (Archivbild)

Erstmals war die AfD Mehrheitsbeschafferin im Bundestag für einen Unions-Antrag. Das schlägt Wellen bis in den NRW-Landtag. Dort warnt Ministerpräsident Wüst nun vor dem Aufstieg der AfD.

Nach der Durchsetzung eines Unions-Antrags zur Verschärfung der Migrationspolitik im Bundestag hat NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) an die demokratischen Parteien appelliert, die drängenden Probleme zusammen zu lösen. Der Aufstieg der AfD müsse verhindert werden, sagte Wüst zu Beginn des Plenums im nordrhein-westfälischen Landtag. „Diese Partei dort ist menschenfeindlich, sie ist in Teilen rassistisch, sie ist europafeindlich.“ Er sei der festen Überzeugung, „dass die großen Probleme in dieser Zeit aus der demokratischen Mitte heraus gelöst werden müssen“.

Die Union hatte am Mittwoch ihren Fünf-Punkte-Plan für eine schärfere Migrationspolitik knapp mit Stimmen von AfD, FDP und Fraktionslosen durch den Bundestag gebracht. Erstmals beschaffte die AfD dabei im Plenum eine Mehrheit. Der Antrag ist nicht bindend. Am Freitag steht die Abstimmung über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der Union im Bundestag an. Auch da hat die AfD Zustimmung signalisiert. Das Gesetz muss auch den Bundesrat passieren. 

Wüst schweigt zu Merz, Neubaur nicht

Wüst erwähnte die Abstimmung im Bundestag nicht wörtlich und positionierte sich auch nicht direkt zu Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Sein Appell zur Zusammenarbeit der demokratischen Parteien und die Warnung vor dem Aufstieg der AfD könnte aber auch als indirekte Kritik am Handeln der Union verstanden werden.

Als erstes Mitglied der schwarz-grünen NRW-Landesregierung übte die stellvertretende Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) offen Kritik an Merz. „Es liegt jetzt in der Verantwortung von Friedrich Merz, seinen schweren Fehler von gestern zu korrigieren. Die Zeit dafür ist da“, sagte Neubaur. Grundsätzlich gelte für die NRW-Landesregierung: „Mit Rechtsextremen macht man keine gemeinsame Sache und man unterstützt auch keine Initiativen, die nur durch ihre Zustimmung zustande gekommen sind. Darin sind wir innerhalb der Landesregierung klar.“ 

Neubaur ließ damit erkennen, dass sie sich im Konsens auch mit dem Koalitionspartner CDU befindet. Sie hoffe auf „Einsicht, Kompromissbereitschaft und Einigungswillen, damit die demokratische Mitte in unserem Land nicht weiter beschädigt wird“, sagte Neubaur mit Blick auf die geplante Bundestagsabstimmung am Freitag.

Wüst äußert sich auf Aufforderung der SPD

Wüst äußerte sich erstmals, nachdem der SPD-Oppositionsführer Jochen Ott am Morgen außerhalb der Tagesordnung eine persönliche Erklärung abgab und eine Reaktion des Regierungschefs einforderte. „Viele Menschen machen sich Sorgen“, sagte Wüst. Die Politik müsse darauf Antworten finden - „sachlich und ohne Hetze, aber konsequent“, betonte er. „Es darf nicht passieren, dass nur der rechte Rand die schnellen Antworten gibt.“ 

Auch die Unions-Bundestagsfraktion habe klargemacht, dass sie für Gespräche über das Asylrecht bereitstehe. „Zeigen wir gemeinsam Handlungsfähigkeit aus der demokratischen Mitte“, sagte Wüst mit Blick auf Freitag. 

Wüst nannte als Beispiel die Reaktion der schwarz-grünen Koalition in NRW auf die Messerattacke von Solingen mit drei Toten im August. CDU und Grüne hätten das größte Paket für Sicherheit und Begrenzung der irregulären Migration verabschiedet. NRW habe damit ein Signal für eine starke „Allianz der Mitte“ gegeben. 

SPD: „Ungeheuerlicher Tabubruch“

Jochen Ott, SPD-Oppositionsführer im NRW-Landtag, wirft Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz vor, mit den Stimmen der AfD zu kalkulieren und so den Konsens der Demokraten zu zerstören. (Archivbild)

Jochen Ott, SPD-Oppositionsführer im NRW-Landtag, wirft Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz vor, mit den Stimmen der AfD zu kalkulieren und so den Konsens der Demokraten zu zerstören. (Archivbild)

Ott warf der CDU im Bundestag einen „ungeheuerlichen Tabubruch“ vor. „CDU und FDP haben die Stimmen von Rechtsextremisten und Faschisten benutzt, um eine demokratische Regierung der Mitte unter Druck zu setzen“, sagte Ott. In Berlin werde der Konsens der Demokraten zerstört. „Friedrich Merz hat mit den Stimmen der Rechtsextremisten kalkuliert.“ Dabei habe er zuvor sein Ehrenwort gegeben, das niemals zu tun. 

„Weder Adenauer, Kohl oder Merkel hätte dem jemals zugestimmt“, rief der SPD-Fraktionschef. Tatsächlich kritisierte die Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Vorgehen der Union als falsch, ihren Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik mit Stimmen der AfD durchzusetzen. „Für einen Tagessieg hat er den Rechtsextremismus in die parlamentarische Mitte geholt“, sagte Ott. „Ein Glückstag für die Faschisten. Ein schwarzer Tag für Demokraten.“ 

Demokratisches Bollwerk im Bundesrat?

Ott warf Regierungschef Wüst vor, sich nicht eindeutig vom Unions-Vorgehen im Bundestag distanziert zu haben. Wüst sei nicht über die Lippen gekommen, dass es seine Zustimmung zu einem Gesetz, das mit den Stimmen der AfD zustande komme, von ihm nicht geben werde. 

Der SPD-Fraktionschef spielte damit auf die Abstimmung über den Gesetzentwurf der Union am Freitag an, der auch den Bundesrat passieren muss. Wüst müsse im Bundesrat unmissverständlich klarstellen, dass NRW ein Bollwerk gegen rechts bleiben werde, forderte Ott in seiner Rede.

NRW-Grüne warnen vor Belastungen nach Bundestagswahl

Das Vorgehen der Union im Bundestag schlug auch Wellen in den anderen Landesparteien. Die Landesvorsitzenden der Grünen, Yazgülü Zeybek und Tim Achtermeyer, warfen Merz vor, Schaden an der politischen Kultur angerichtet zu haben. Indirekt warnten sie auch vor Belastungen für mögliche Koalitionsgespräche nach der Bundestagswahl: „Demokraten müssen gemeinsam Lösungen für Probleme finden und auch nach einer Wahl miteinander regieren können“, schrieben die NRW-Grünen.

Zeybek und Achtermeyer distanzierten sich von der Bundes-CDU und betonten die Zusammenarbeit mit den NRW-Christdemokraten, mit denen sie seit 2022 die erste schwarz-grüne Koalition im bevölkerungsreichsten Bundesland bilden. „Das ist nicht die CDU, die wir kennen und mit der wir hier zusammenarbeiten.“ Wo Konservative sich den Rechtsextremen annäherten, hätten am Ende immer die Rechtsextremen gewonnen – „in keinem einzigen europäischen Land hat das die Konservativen gestärkt“.

SPD warnt vor informeller Koalition mit AfD 

Der SPD-Landesvorsitzende Achim Post forderte die Union im Bundestag auf, den „fatalen Irrweg“ einer informellen Koalition mit FDP, AfD und dem BSW zu verlassen und eine Abstimmung am Freitag zu verhindern. Zusammen mit der Co-Landesvorsitzenden Sarah Philipp appellierte der SPD-Bundestagsfraktionsvize an Wüst und den mächtigen CDU-Landesverband, „jetzt endlich aufzustehen und die gemeinsame Sache mit der AfD unverzüglich zu beenden“. Post betonte: „Gewinner einer erneuten schwarz-blauen Mehrheit am Freitag wäre nicht die Union – sondern die AfD. Verlierer wäre unsere Demokratie“.

AfD sieht überbordende Hysterie

Die umstrittene Abstimmung im Bundestag mit der AfD als Mehrheitsbeschafferin prägte zahlreiche Reden im Landtag, auch wenn es um ganz andere Themen ging. AfD-Fraktionschef Martin Vincentz sprach von einem „theatralischen Auftritt“, den Wüst und Ott vor dem Plenum am Morgen abgegeben hätten. Dabei habe die Demokratie im Bundestag doch „hervorragend funktioniert“ und gezeigt, „dass man auch jenseits der eingetrampelten Pfade tatsächlich den Mehrheitswillen in der Bevölkerung umsetzen kann“, sagte Vincentz. Es sei zudem überbordend hysterisch und gefährlich, wenn die anderen Parteien jeden und alles ständig als Nazi, als Faschisten bezeichneten. Damit werde die Gesellschaft für „echte Faschisten“ desensibilisiert. Auch ein Verbot der AfD bringe nichts.

Landesweit Demos gegen rechts

In zahlreichen Städten in NRW waren Demonstrationen gegen rechts und für eine Aufrechterhaltung der sogenannten Brandmauer zwischen CDU und AfD angekündigt. Schon direkt am Mittwoch gab es erste Demos, zum Beispiel in Bonn mit 600 Teilnehmenden, wie die Polizei mitteilte. Auch in Köln, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Münster sollen am Donnerstag und in den nächsten Tagen Demonstrationen stattfinden, die sich gegen die AfD und eine Zusammenarbeit der CDU mit ihr richten. (dpa)