Depeche Mode haben im Rahmen ihrer „Memento Mori“-Tournee Station in Düsseldorf gemacht. Im ausverkauften Stadion gab es neue Songs, aber auch zahlreiche Klassiker der Band.
Depeche ModeMelancholie und Ekstase in Düsseldorf – Kult-Band sorgt für Fan-Debatten
Zum großen Finale ist es wieder da: das Meer aus Zehntausenden von wedelnden Armen. „See the stars, they're shining bright. Everything's alright tonight“, singt Martin Gore (61) immer noch leidenschaftlich, während sich Dave Gahan (61) die schweißnassen Haare nach hinten drückt und glücklich ins Stadion blickt.
Dann noch „Reach out, touch faith“ und die erste von zwei gewaltigen Depeche-Mode-Messen in Düsseldorf ist am Sonntagabend (4. Juni 2023) nach 130 Minuten vorbei. Insgesamt 90.000 Menschen werden bei den beiden Konzerten am Rhein dabei sein. Dank des geschlossenen Dachs der Merkur-Spiel-Arena kommt fast eine Atmosphäre wie beim Hallenkonzert auf.
Depeche Mode: Merkur Spiel-Arena zweimal ausverkauft
Kaum eine Musik-Band hat derart treue Fans wie Depeche Mode. Auch 43 Jahre nach der Gründung ist die Leidenschaft der „Devotees“ ungebrochen. Am Dienstag werden die Massen wieder nach Stockum pilgern, um den Moment zu feiern.
Vor einem Jahr, nach dem überraschenden Tod von Keyboarder Andrew Fletcher im Alter von 60 Jahren, befürchteten viele das Aus für die Kult-Band. Doch Sänger Gahan und Mastermind Gore präsentierten mit dem 15. Werk „Memento Mori“ ein neues, düsteres, aber auch fesselndes Album.
Die dazugehörige Welttournee ist mit aktuell 80 geplanten Shows schon jetzt wieder ein gigantischer kommerzieller Erfolg. Und genau an diesem Punkt setzt die Kritik ein, die aktuell einen tiefen Riss durch den „Black Swarm“ treibt. Die einen sind einfach nur glücklich, dass ihre Lieblinge weiterhin aktiv sind, die anderen sehen inzwischen zu viel Routine.
Depeche Mode entwickeln ihre größte Magie vor allem durch die Live-Konzerte. Doch da wird die Band – vielleicht auch durch ihr Management? – an Innovationen gehindert. Als es am Sonntag mit den beiden neuen Songs „My Cosmos Is Mine“ und „Wagging Tongue“ losgeht, fällt als Erstes die 0815-Bühnenkonstruktion ins Auge.
Depeche Mode: Stadionbühne bietet von manchen Plätzen keine Sicht
Während viele Bands ähnlichen Kalibers mittlerweile höchst aufwändige Produktionen mit gigantischen Videowänden, diversen Ebenen und Bühnenvarianten ankarren, sah die seitlich geschlossene Bühne mit den beiden Leinwänden im Stadion schon sehr nach Wald- und Wiesen-Festival aus. Zudem ermöglichte die Konstruktion dem Publikum an den Seiten keinen Blick in die Bühne.
Ein großes M leuchtet im Hintergrund, dazu flimmern Videos von Haus- und Hof-Fotograf Anton Corbijn (68). Dessen „Kunst“ erschließt sich längst nicht allen Fans. Ob jetzt Aufnahmen von Eseln („It’s no Good“) oder Totenschädeln („Enjoy the Silence“) zu den Songs passen, sei mal dahingestellt.
Aber viel wichtiger ist eh, dass das noch verbliebende DM-Duo trotz des Schicksalsschlags und des fortgeschrittenen Alters noch so viel Spielfreude an den Tag legt. Die Zeiten, in denen Gahan blankzieht, sind allerdings vorbei. Der Frontmann trägt Hemd und Weste, dazu viel Kajal und Lidschatten. Der Griff in den Schritt, das laszive Reiben des Mikroständers, die Drehungen und teils eigenwilligen Tanz-Performances sitzen noch wie eh und je.
Gore, der sich früher eher schüchtern hinter den Keyboards verschanzte, zeigt mehr Präsenz. Mit schwarz lackierten Fingernägeln, Glitzerstaub auf der Haut und strahlend weißen Zähnen entwickelt er sich immer mehr zum klaren zweiten Fixpunkt. Tour-Keyboarder Peter Gordeno (59) hält sich zurück, am Schlagzeug-Stil von Christian Eigner (52) scheiden sich ohnehin die Geister.
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Große Worte fallen ebenfalls nicht. Das obligatorische „Good Evening Düsseldorf“, später im Konzert fragt er einige Fans gar auf Deutsch: „Alles gut?“, das war's. Die treue DM-Gemeinde weiß genau, an welcher Stelle das entsprechende „Yeah, that’s right“ oder „Thank you“ folgt.
Und leider, das ist der zweite ganz große Streitpunkt innerhalb der Fan-Szene, gibt es keinerlei Variationen auf der Tour. Die Setlist ist Abend für Abend identisch. Die gebotenen Songs und deren Arrangements ähneln doch sehr denen auf früheren Touren.
Vielen sind nur fünf „Memento Mori“-Songs zu wenig, noch viel mehr hätten sich ein paar länger nicht gehörte Schätze gewünscht. Doch Depeche Mode müssen den großen Massengeschmack bedienen. Daher ist an Klassikern wie „Everything Counts“, „Just Can’t Get Enough“, „Never Let Me Down Again“ oder „Personal Jesus“ kein Vorbeikommen.
Depeche Mode mit emotionalem Gedenken an Andrew Fletcher
Und die Stimmung in Düsseldorf – gerade bei den großen Hits – belegt, dass bei diesen Mega-Touren nicht nur die absoluten DM-Freaks erscheinen, die sich an seltenen Perlen erfreut hätten. Und, was hätten sie weglassen sollen? Vielleicht Songs wie „I Feel You“ oder „Wrong“? Bei diesem umfassenden Song-Katalog vermisst immer jemand einen Titel.
Die Mehrheit im Stadion ist deshalb trotz der Debatten in der Fan-Szene happy. Die Stimmung pendelt zwischen anfangs schwermütig-melancholisch hin zu emotional-aufbrausend. Einige Fans halten zudem zu den passenden Songs etliche Schilder mit den Textzeilen „That keep us together“ und „Save us all“ in die Höhe. Im Gegenzug singt Dave sogar für Fan Stefan ein Geburtstagsständchen.
Zwei schöne Momente dürften außerdem vom Düsseldorf-Gastspiel hängen bleiben. „World In My Eyes“ wird zur Hommage an den verstorbenen „Fletch“ samt Zeitraffer-Video des Keyboarders.
Und die Nähe und Vertrautheit, die Dave und Martin bei „Waiting For The Night“ im Handy-Lichtermeer ausstrahlen, verdeutlicht, wie gut die Chemie zwischen beiden derzeit ist. Denn die schönste Erkenntnis bleibt, dass die beiden letzten Verbliebenen Depeche Mode überhaupt noch existieren lassen.