Nach einer Vergewaltigung lebt Ann-Kristin Waitschekauski (30) aus Düren seit acht Jahren mit ihrem Trauma. Eine Opferrente bekommt sie nicht, doch mittlerweile geht es ihr um mehr als das.
„Kein Opfer“Frau aus NRW überlebt Vergewaltigung – jetzt geht sie mutigen Weg
Ann-Kristin Waitschekauski (30) aus Düren erlebte als 21-Jährige auf ihrem eigenen Grillfest wohl das Schrecklichste, was einer jungen Frau passieren kann. Sie wurde vergewaltigt. Die furchtbare Tat hat Spuren zurückgelassen. Auch neun Jahre später leidet die 30-Jährige an Flashbacks und einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).
Trotzdem hat der Staat ihr nur für ein Jahr eine Opferrente gezahlt. Jetzt kommt Bewegung in den Fall und ein Gericht will ihr Buch: „Ich bin kein Opfer“ als mögliches Beweismittel hinzuziehen und die Entscheidung überprüfen. Doch mittlerweile geht es Ann-Kristin um viel mehr als das.
Düren: Frau (30) kämpft sich nach Vergewaltigung zurück ins Leben
Ann-Kristin Waitschekauski ist eine starke und mutige Frau. Die 30-Jährige aus Düren hat einen guten Job in der PR-Branche, ist verheiratet und Mutter von zwei kleinen Kindern. Sie steht mitten im Leben. Doch wenn sie über die Geschehnisse vom 30. März 2013 spricht, stockt ihre Stimme. Denn vor neun Jahren hat sich das Leben der jungen Frau von heute auf morgen radikal verändert.
Sie wollte sich mit drei Freunden zum letzten Mal zu einem gemütlichen Beisammensein in ihrer alten und bereits leer geräumten Wohnung treffen. Es war ein schöner Abend. Es wurde gegrillt, Musik gehört und sich gut unterhalten. Doch dann bat der Täter sie plötzlich, mit ihm ins Nebenzimmer zu gehen. Sie waren Freunde, kannten sich seit Jahren. Er kannte ihre Eltern. Was sollte schon dabei sein? Wahrscheinlich wolle er unter vier Augen mit ihr sprechen, dachte Ann-Kristin. Doch stattdessen versuchte er plötzlich, sie zu küssen.
NRW: Frau überlebt Vergewaltigung – „Mein altes Leben war beendet“
„Ich wusste gar nicht, was gerade passiert“, sagt sie. „Ich habe ihn von mir weggestoßen und gesagt: Sag mal, spinnst du? Du bist ein Freund von mir. Dann hat er mir auch schon mit der Faust ins Gesicht geschlagen.“
Sie stürzte, war kurz bewusstlos. Der Täter riss ihr Shirt kaputt, ging nicht mehr auf ihre Worte ein, vergewaltigte sie. Niemand hörte ihre Schreie. Die Musik im Nebenzimmer war zu laut. Ann-Kristin trug Verletzungen davon. Doch nach der Tat ließ der Täter sie achtlos zurück. Nach der gynäkologischen Untersuchung und der Befragung auf der Polizeiwache merkte sie schnell. „Mein altes Leben war beendet.“
NRW: Vergewaltigungsopfer (30) erhält 2015 für ein Jahr Opferrente
Bei der Polizei glaubte man ihr. Zu eindeutig war die Beweislage. 2013 kam es in Aachen zum Gerichtsprozess. „Als ich vor Gericht ausgesagt habe, hat der Täter mich ausgelacht“, sagt Ann-Kristin. Niemand im Saal habe ihn daran gehindert. Die schreckliche Farce, die sie dort erlebte, führte zumindest zu einer Verurteilung: Drei Jahre und drei Monate Haft.
Doch der Täter setzte sich ins Ausland ab und trat seine Haft nie an, bis heute nicht. Ann-Kristin bekam keine psychologische Beratung, kein Schmerzensgeld. Um einen Therapieplatz in NRW musste sie sich selbst kümmern. Bis heute befindet sie sich in Behandlung, nimmt Antidepressiva ein. Die Opferrente hat sie 2015 bloß für ein Jahr erhalten. Gutachter entschieden dann, dass sie diese nicht mehr bräuchte.
NRW: Frau (30) durchlebt jedes Jahr im März „Katastrophenzustand“
„Nach außen hin geht es mir immer gut. Ich lache viel. Niemand würde merken, dass mir etwas Schlimmes passiert ist. Ich habe mir über neun Jahre ein Schutzschild aufgebaut, das mich keine Schwäche mehr zeigen lässt“, schildert Ann-Kristin Waitschekauski gegenüber EXPRESS.de. Dabei kämpft sie täglich mit den Dämonen aus der Tatnacht. Vor allem im März, wenn sich die traumatische Erfahrung jährt, werden die Albträume schlimmer. „Der Monat ist für mich ein Katastrophenzustand. Ich durchlebe die Tatnacht immer wieder. Es sind Filme, die vor meinen Augen ablaufen.“
Auch tagsüber holt sie die schlimme Erinnerung wieder ein. „Es reicht schon, wenn ich auf der Straße einen Mann mit Bart sehe – weil der Täter auch einen Bart hatte. Dann bin ich wie erstarrt. Wenn ich daran nicht weiterhin arbeite, komme ich da niemals raus“, sagt Waitschekauski. Was ihr damals passiert ist, hat sie in ihrem Buch: „Ich bin kein Opfer“ aufgeschrieben, um ihr Trauma zu verarbeiten. Bewusst wendet sie sich an die Öffentlichkeit und die Medien, um sich und anderen Opfern von sexueller Gewalt eine Stimme zu geben. Seitdem bekommt sie viele Zuschriften und tauscht sich mit anderen Opfern aus.
Essener Landgericht wird auf Buch: „Ich bin kein Opfer“ aufmerksam
Letzte Woche hat Ann-Kristin Waitschekauski plötzlich wieder Post bekommen. Auf ihr Buch ist nun wohl auch die Justiz aufmerksam geworden. „Das Gericht in Essen will meinen Fall erneut prüfen und als mögliches Beweismittel hinzuziehen“, sagt sie. „Doch mir geht es nicht primär um die 130 Euro Opferrente. Ich möchte für alle Betroffenen kämpfen. Ich möchte jedem zeigen, dass sich ein Trauma nicht zeitlich befristen lässt.“