Nach der ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“ bekommen die Katholiken, die sich geoutet haben, viel Zuspruch von außen. Unsere EXPRESS-Redakteurin entdeckte unter den Mutigen ihre ehemalige Klassenlehrerin. Die freut sich über viele emotionale Botschaften.
Es gibt Blumen, aber auch Böses40 Jahre waren sie heimlich ein Paar – erst jetzt dürfen es alle wissen
125 Katholiken riskieren alles. Sagen offen, dass sie homosexuell, nonbinär, transsexuell, asexuell sind. Aber deshalb nicht weniger gläubig. Sie haben keine Lust mehr, sich zu verstecken, von ihrer Kirche als „krank“ gebrandmarkt zu werden, als „Sünder“.
Das größte Massen-Outing in der Geschichte der katholischen Kirche schlägt Wellen, berührte viele tief. Auch unsere Redakteurin. Die sitzt vor dem TV – und erkennt plötzlich in der mutigen Doku ihre einstige Lehrerin.
Outing-Doku: „Gute Freundin“ fuhr mit auf Klassenfahrt
Das Gesicht, die Mimik, die Gestik. Sie ist es. Meine Klassenlehrerin aus der Mittelstufe, katholisches Gymnasium, nördliches Ruhrgebiet. Deutsch und Reli. Marie Kortenbusch. Top-Unterricht, speziell war sie, bisschen „verpeilt“ witzelten wir. Aber herzensgut, engagiert. „Korti“ nannten wir sie.
Einmal wurde uns die Klassenfahrt gestrichen – Personalengpass. „Korti“ fuhr mit uns an die holländische Grenze in einen Bungalowpark. In ihrer Freizeit. Damals kam eine „gute Freundin“ mit, weil kein Lehrer bereit war, Freizeit zu opfern. Monika Schmelter. Wir hatten Spaß. Seit Montag weiß ich, was Marie und Monika damals für uns riskierten ... Was sie jeden Tag riskierten. Und was sie opferten.
Queer im Dienst der katholischen Kirche – ein Versteckspiel über Jahrzehnte
Marie Kortenbusch (62) und Monika Schmelter (65) sind ein Paar. Und 40 Jahre lang durfte es keiner wissen. Ein halbes Leben lang. Beide standen im Dienste der katholischen Kirche, Marie als Lehrerin, Monika (anfangs selbst Ordensschwester) bei der Caritas. Die Ordensschwestern an meiner Schule konnte man als „Freigeister“ bezeichnen.
Egal, was die Kirchenoberen so sagten: Sie beschäftigten geschiedene Lehrkräfte, Wiederverheiratete, auch jene, bei denen die Gerüchteküche brodelte, sie seien homosexuell. Nur offiziell sagen durfte es eben keiner. Denn weiter oben war man nicht so liberal ...
Wenn keiner drüber spricht, kommt man ja irgendwie durch. Denkt man naiv und ignorant als Heterosexuelle/r. Wir haben keine Ahnung, was das heißt. Das ist mir nach der Doku klar.
Ein Wohnort weit entfernt von den jeweiligen Arbeitsplätzen. Bis zu 130 Kilometer Pendelei täglich, damit bloß keiner was merkt. Betriebsfeiern, Abibälle, überall nur alleine hin. Urlaube, ein gigantischer Akt. Niemand versteht, warum Monika unbedingt in den Ferien fahren will – als ledige Frau ohne Kinder. Aber Lehrerin Marie kann eben nur in den Ferien.
Queere Katholiken leben in Angst
Dann stirbt Monikas Vater. Ihr Chef, der nur etwas Mitfühlendes tun will, taucht bei der Beerdigung auf. Marie steht also am Grab in der fünften Reihe, wie eine entfernte Bekannte. „Es war entwürdigend“, sagt sie. Immer die Angst, dass sie jemand denunziert. Immer auf Wohlwollen und Diskretion anderer bauen müssen.
Man sagte Marie, dass eine Loyalitätsverletzung – so nennt es sich in den kirchlichen Arbeitsverträgen, wenn jemand z. B. eine homosexuelle Partnerschaft eingeht – nicht nur die Entlassung im aktiven Dienst bedeute, sondern auch nach der Dienstzeit die Pensionsansprüche verwirke. Nachdem beide Frauen im Ruhestand sind, heiraten sie 2020. Heimlich. Ohne einen einzigen Gast. „Mittlerweile weiß ich, dass eine Sanktionierung nach der aktiven Dienstzeit zum Glück nicht möglich ist“, sagt Marie.
Queere Katholiken bekommen viel Zuspruch
Seit einigen Tagen wissen alle, dass Marie und Monika verheiratet sind. Wie sind die Reaktionen? „Ich habe hunderte Mails bekommen mit anrührenden Botschaften. So viele von ehemaligen Schülerinnen und Schülern. Hier geben Menschen, die wir nicht näher kennen, Blumen ab“, sagt Marie bewegt. „Der Zuspruch ist überwältigend.“
Aber: „Im Netz gibt es auch von reaktionär-katholischen Gruppierungen Böses.“ Die „Washington Post“ hat über die beiden berichtet, täglich Interviewanfragen – aus den Niederlanden, Schweden, Polen, Italien. Sie sind jetzt so was wie das Gesicht der Initiative #Outinchurch geworden.
Zuspruch für queere Menschen auch aus den Bistümern
Einige Bistümer haben inzwischen verlauten lassen, dass es für die queeren Menschen, die sich in der Doku geoutet haben, keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen geben werde. Die Bischofskonferenz äußerte sich positiv. Marie Kortenbusch sagt: „Die Worte tun gut, ihnen müssen aber Taten folgen. Freundliche Worte sind was anderes als Rechtssicherheit.“
Aus anderen Bistümern, vor allem im Süden der Republik, hört man: nichts. Auch Priester haben sich geoutet. Wenn die Aufmerksamkeit abebbt, kann der Mut sie sicher etwas kosten. Marie und Monika zum Glück nicht mehr. Sie sind frei. Und kämpfen dafür, dass anderen so ein Leidensweg erspart bleibt. Dass Kirche kein Ort der Angst mehr ist. Die Gelegenheit ist günstig: „Die Kirche kann sich nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens eigentlich keinen weiteren Skandal leisten“, sagt Marie. Ihr Wort in Gottes Ohr.
Queere Katholiken: Online-Petition für mehr Rechtssicherheit
In der Initiative #OutInChurch haben sich queere Mitarbeiter von Einrichtungen der katholischen Kirche zusammengeschlossen. Sie haben zusammengefasst drei Grundforderungen:
1. Den diskriminierungsfreien Zugang zu Berufsfeldern in der Kirche und eine entsprechende Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts.
2. Diffamierende Aussagen der kirchlichen Lehre in Bezug auf Geschlechtlichkeit und Sexualität auf Grundlage heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse zu revidieren.
3. Kirche soll queeren Menschen den Segen Gottes sowie den Zugang zu den Sakramenten ermöglichen. Die Initiative hat eine Petition gestartet, 70000 Menschen haben schon unterzeichnet (outinchurch.de). Die Doku „Wie Gott uns schuf“ sowie weitere sehenswerte Kurzinterviews gibt’s in der ARD-Mediathek.