Unsere künftigen Arbeitsbedingungen: Damit beschäftigt sich Zukunftsforscher Tristan Horx. Er spricht über Stechuhren, „Work-Life-Balance“ – und einen krisenfesten Job.
Stechuhr? 40-Stunden-Woche?Forscher über die Arbeit der Zukunft – und den krisensichersten Job
Wird die Generation Alpha (Geburtsjahrgänge zwischen 2010 und 2025) in Zukunft mit Stechuhr arbeiten? Acht Stunden im Büro sitzen? Als Halbtagskraft fluchen über kleines Gehalt und miese Rentenaussichten? Müssen Pflegekräfte weiter früh den Dienst quittieren, weil sie es im Rücken haben?
„Nein“, sagt Zukunftsforscher Tristan Horx (29). „Denn wir sind keine Fließbandmaschinen mehr, sondern sehnen uns nach einem gesunden Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit. Die werden sich miteinander vermischen.“ „Work-Life-Blending“ löse künftig „Work-Life-Balance“ ab.
Darum ist „Work-Life-Balance“ für den Zukunftsforscher ein tragisches Wort
Das Schlagwort „Work-Life-Balance“, übrigens nicht etwa von Jüngeren, sondern von den Älteren erfunden, findet Horx geradezu „tragisch“. Denn es impliziere, dass die Arbeit (negativ) und das Leben (positiv) ausbalanciert werden müssten.
Er glaubt, dass die Zukunft in der Sinnmaximierung liege. Wer mehr Sinn in dem sehe, was er tue, sei auch produktiver. Und das zähle. Großangelegte Studien aus England hätten gezeigt, dass Mitarbeiter nur drei bis vier Stunden pro Tag wirklich produktiv seien. Der Rest der Zeit werde in Büros (aber auch im Handwerk) oft schlicht und einfach abgesessen.
Der Mitarbeiter, der seinen Kater pflegt, indem er stundenlang Katzenbilder durchscrollt und sich wegen der Überstunden als Arbeitstier feiern lässt, sei ein Auslaufmodell. In der Zukunft sei nach wie vor Leistung gefragt – aber die messe sich dann nicht mehr an der Stechuhr, glaubt der Experte. „Weil es nicht mehr zeitgemäß ist, dem Vorgesetzten einfach Zeit zu geben.“
Leider hat es vor kurzem ein rückwärtsgewandtes Urteil gegeben: Der Europäische Gerichtshof und der Bundesgerichtshof in Deutschland haben die Vertrauensarbeitszeit gekippt, Stechuhr ist wohl wieder angesagt. Aber wie lange noch ...?
Was Horx auch stört: Es fehle in Deutschland im mittleren Management derzeit an Werkzeugen, um die Produktivität von Chefs zu messen. Horx fügt provokant hinzu: „Ob die Chefs wirklich Leistung bringen, fällt oft weniger auf als bei den Mitarbeitern. Das muss sich ändern.“
Die skandinavischen Länder, die das Zeitalter der Digitalisierung nicht so verschlafen hätten wie Deutschland, seien da um einiges weiter, sagt er. „Aber wir holen auf.“
Zukunft der Arbeit: Maschinen stehen uns zur Seite
Was heißt das für die Zukunft? Welche Arbeitsbedingungen werden unsere Kinder im Jahr 2040 vorfinden? Horx ist davon überzeugt: Maschinen werden viele mühsame Arbeiten erledigen. Der Beruf der Kassiererin werde wohl ebenso wegfallen wie der des Fließbandarbeiters. Aber auch der Radiologe habe keine sichere Zukunftsperspektive, denn zwei Drittel der Bilder könnten künftig von Maschinen ausgelesen werden. Der menschliche Experte werde nur in schwierigen Fällen zurate gezogen.
Die Pflege beruht auf Empathie, eine Pflegerin oder einen Pfleger kann also eine Maschine nicht einfach ersetzen. Doch Assistenzroboter werden mühsame Dinge wie Waschen, Tragen oder auch das Medikamente-Austeilen übernehmen.Nehmen Sie hier an unserer Umfrage teil:
Große Umwälzungen wird es auf dem Speditions-Sektor geben. Speditionsmanager dirigieren selbstfahrende Lkw auf den Autobahnen bis zu Verteilungszentren in den Vorstädten – und setzen dort erst Fahrer ein, die sie in die Städte hineinlenken.
Der Staat wird autonomer und digitaler, die Ineffizienz in Ämtern wird gestoppt, was die Beantragung von Pässen, Kfz-Zulassungen und Co. schneller macht. Halbtagsjobs werden (im Büro) die Ausnahme sein, es wird wieder mehr Ganztagsjobs geben, die aber weniger Stunden umfassen.
Arbeiten in der Zukunft: Migranten und Ältere werden umworben
Produktivität statt reiner Stunden am Rechner – Horx nennt ein Beispiel aus der Jetztzeit: Eine Firma, die mit dem Slogan „30 Stunden sind genug“ warb (und voll zahlte), konnte sich vor Bewerbern nicht retten. Pendelweg raubt Produktivität. Ein gut eingerichtetes Homeoffice, das zu Beginn der Pandemie noch „erbettelt“ werden musste, sei künftig der Normalfall (wo es halt geht). Für den Arbeitgeber hat das finanzielle Vorteile, er muss nicht mehr so viele teure Büroräume anmieten.
Nicht nur Co-Working nimmt zu, auch (Co)-Workation. Voll ausgestattete Arbeitsplätze und Büros an Urlaubsorten sind für Selbstständige und sehr flexibel Arbeitende dann selbstverständlich. Ältere und Migranten werden aufgrund des demografischen Wandels künftig viel mehr umworben als heute. Der krisensicherste Job: Kindergärtner/in. Lassen sich durch keine Maschine ersetzen. Und sein eigener Job? Horx lacht: „Die künstliche Intelligenz hat dann längst eine Software, die mich abgeschafft hat.“