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Sprachroh der Schüler klagt an„Wir sind die Generation der Vernachlässigten“

Stühle stehen auf den Tischen in einem Klassenzimmer vom Max-Planck-Gymnasium.

In den letzten Jahren gab es viel Chaos in den Schulen. Die Digitalisierung ist auch noch nicht überall angekommen.

Dario Schramm war bis 2021 Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Er macht Verantwortlichen in der Politik heftige Vorwürfe.

von Andrea Kahlmeier  (ak)

Er war zu Beginn der Pandemie DAS Sprachrohr der Schüler: Dario Schramm aus Bergisch-Gladbach, bis 2021 Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz.

Mittlerweile belässt er es nicht beim Reden: In seinem Buch „Die Vernachlässigten“ skizziert er, wie Schule und Politik versagt haben – mit zum Teil persönlichen Erlebnissen aus dem Schulbetrieb „Absurdistan“.

Schüler klagt an: Digitalisierung? – Von wegen!

Er wolle kein Lehrer-Bashing betreiben, betont er. Die Jungen seien in puncto Digitalisierung oft auch nicht besser gewesen als die Alten – weil sie nicht geschult waren. „Es gab Lehrer, die vergessen hatten, das Laptop zu laden oder ihre Hand gescannt und das versehentlich als Aufgabe hochgeladen hätten.“

Dario Schramm steht vor einer Wiese und verschränkt die Arme.

Dario Schramm schrieb das Buch: „Die Vernachlässigten“ (Droemer-Verlag, 14 Euro).

Darüber kann man schmunzeln, aber dass ein Schüler ein halbes Jahr versuchte, die Aufgaben auf dem Handy zu lösen, ist nicht lustig. Oder dass ein Lehrer ihm ein „Ungenügend“ verpassen wollte, weil er die Hausaufgaben nicht ausgedruckt, sondern digital vorgelegt hatte.

Schule digital: Wie es geht sah er in den USA

Schramm: „In meinem Auslandsjahr in den USA habe ich gesehen, wie anders das laufen kann. Da bekommst du am ersten Tag einen Zugangscode, Stundenplan, Noten, Entschuldigungen, Schulablauf – alles kann man digital einsehen. Großartig! Die fanden es spannend, das wir an Kreidetafeln schreiben.“

Langsam nimmt der Digitalzug Fahrt auf: NRW liegt bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule in der Spitzengruppe der Bundesländer. Die Sofortausstattungsprogramme für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte z. B. wurden bereits zu 98,5 Prozent ausgeschöpft.

Viele Schulen sind marode

„Solange es nicht brennt, passiert wenig“, resümiert Dario Schramm und erinnert sich daran, wie es in der Gesamtschule Paffrath in der Sporthalle durch die Decke regnete. „Da wurde der Bereich abgesperrt und drumherum Sport gemacht.“

Das marode Treppenhaus einer Berliner Schule.

Krasses Beispiel einer Grundschule in Berlin. Ein Treppenhaus, das einer Ruine gleicht. Kein Einzelfall.

Jahrelang habe man die großen Schultüren aufmachen müssen, weil die Lüftung in den Toiletten nicht funktionierte. Besonders bizarr: „Drei Jahren flackerte das Deckenlicht in einer Klasse, bis herauskam, dass die Kaffeemaschine im Lehrerzimmer, das darüber lag, der Auslöser war. Doch auch die Beseitigung dieses Mangels zog sich hin.“

Kein Rechtsanspruch auf Luftfilter in Schulen

Die Mühlen der Bürokratie… Schüler in NRW haben keinen Anspruch auf Luftfilter im Klassenraum. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) diese Woche in zwei Eilverfahren entschieden. Und in Köln werden in den Schulen 7500 Luftfilter erst mal nicht eingebaut, weil zwei unterlegene Bieter Einspruch erhoben haben.

Schramm: „Wir stecken viel zu viel Geld in die Bürokratie, statt kurze Wege zu finden, um direkt ins Bildungssystem zu investieren.“ Er plädiert dafür, dass alle drei Monate Treffen von Lehrern, Schülern und bildungspolitischen Verantwortlichen stattfinden, um schneller praxisorientiert handeln zu können.

Unterrichtsausfall und Homeschooling

Lange sei im ersten Jahr der Pandemie unklar gewesen, ob die Prüfungen überhaupt stattfinden und wie. Schramm: „Das hat uns Abiturienten enorm belastet – die Angst vor schlechten Abschlüssen, Nachteilen auf de Arbeitsmarkt. Wir sind die Generation der Vernachlässigten.“

Die GEW-Vorsitzende in NRW, Ayla Çelik, appelliert deshalb an Unternehmer: „Diese herausfordernde Zeit gemeistert und einen Schulabschluss erreicht zu haben, zeigt enormes Durchhaltevermögen. Ich kann nur appellieren, dass die Qualität auch von Unternehmen erkannt wird. Eine Abschlussnote sagt nichts über die Qualitäten eines Menschen aus.“

Lehrermangel: NC schnell abschaffen!

Dario Schramms Mitschülerin wollte schon immer Grundschullehrerin werden. Die Handballtrainerin und Nachhilfelehrerin sei dafür prädestiniert, sagt er. Doch mit einem NC von 2,2 wurde sie bei den Unis ihrer Wahl abgelehnt. Sie hing den Berufswunsch an den Nagel. So etwas soll künftig nicht mehr passieren.

Ayla Celik lehnt an einem Treppengeländer und lächelt in die Kamera.

Ayla Celik, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ist für die Abschaffung des Numerus clausus für Lehramtsstudierende.

Kein Wunder: Anfang Dezember fehlten gut 5000 Lehrkräfte an den Schulen in NRW. Schulministerin Yvonne Gebauer plädiert deshalb dafür, Zulassungsbeschränkungen für Lehramtsstudiengänge zu entfernen. Ein Vorstoß, den die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW nur begrüßt.

Vorsitzende Ayla Çelik zum EXPRESS: „Der Ansatz von Frau Gebauer ist richtig. Ein Numerus clausus als Zugangsbeschränkung sagt nichts darüber aus, ob eine Person pädagogisch geeignet ist. Studierende, die den erforderlichen hohen Notenschnitt nicht überspringen, können genauso gute Lehrkräften sein. Es genügt allerdings nicht, nur den NC abzuschaffen. Hier gilt es analog zu der Ausweitung der Studienkapazitäten, die Arbeitsbedingungen der Lehrpersonen zu verbessern.“ Sie fordert u. a. Dauerstellen statt befristeter Lehraufträge.