Vor 30 Jahren erging HaftbefehlErich Honeckers Flucht vor der deutschen Justiz
Berlin – Er war einst der mächtigste Mann der DDR. Selbst kurz vor dem Zusammenbruch des „Arbeiter-und Bauernstaates“ war Staats-und Parteichef Erich Honecker felsenfest davon überzeugt, dass die Mauer noch in hundert Jahren stehen würde.
Doch nur rund ein Jahr später, im November 1990, waren die Mauer und die DDR mit Segen des Kremls Geschichte – und Honecker ein mit Haftbefehl der Berliner Justiz Gejagter im kurz zuvor wiedervereinigten Deutschland. Ihm sollte nun endlich der Prozess wegen der Todesschüsse an der Mauer gemacht werden.
Haftbefehl gegen Erich Honecker
Als der Haftbefehl erlassen wird, lebt der gebürtige Saarländer mit seiner Frau Margot – der früheren Volksbildungsministerin (wie er eine fanatische Kommunistin) – im sowjetischen Militärhospital Beelitz südwestlich von Berlin unter dem Schutz seiner einstigen Gönner in Moskau.
Zu dieser Zeit ist der Beton-Kommunist bereits ein todkranker Mann, bei dem Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden war. Viele hoffen damals, dass er noch zu Lebzeiten endlich zur Verantwortung gezogen wird.
Schon einmal, im Januar 1990, war er von der Volkspolizei der Noch-DDR verhaftet und in das Gefängnis Berlin-Rummelsburg gebracht worden. Der Vorwurf: Hochverrat und Amtsmissbrauch. Doch schon bald war er wieder auf freiem Fuß – aus gesundheitlichen Gründen.
Erich Honecker findet Unterschlupf bei einem Pfarrer
Allerdings weiß der damals 77-Jährige nicht, wo er mit seiner Frau Margot leben soll. Ihr exklusives Domizil in der vor den neugierigen Blicken der „Werktätigen“ abgeschotteten Waldsiedlung der SED-Bonzen bei Wandlitz haben die beiden räumen müssen und eine ihnen angebotene Erdgeschosswohnung im Berliner Stadtteil Friedrichshain hatten sie abgelehnt – aus Angst vor Angriffen wütender DDR-Bürger.
Schließlich kommen sie bei dem heute 91-jährigen Pfarrer Uwe Holmer in Lobetal bei Berlin unter, der ihnen eine Art Kirchenasyl in zwei Zimmern unterm Dach seines Pfarrhauses gewährt. Eine noble Geste von einem Kirchenmann, dessen Familie jahrelang unter den Repressionen des SED-Regimes zu leiden hatte.
Doch der Unterschlupf bleibt nicht geheim. Immer wieder gibt es Proteste am Gartenzaun und sogar Bombendrohungen. Das Haus verlassen die Honeckers nur selten, er schaut meist fern. Zehn Wochen nach dem Einzug endet die ungewöhnliche Wohngemeinschaft am 3. April 1990.
Rich Honecker flieht nach Moskau
Weil sich die Behörden außerstande sehen, die Sicherheit der Honeckers zu garantieren, bitten sie die Sowjets um Hilfe. Die bringen die beiden nach Beelitz. Hier erreicht den Ex-Genossen Nummer 1 auch der neue Haftbefehl. Es ist der Auftakt eines monatelangen juristischen Tauziehens um die Auslieferung.
Im März 1991 machten sich die Honeckers schließlich mit Hilfe der Sowjets bei Nacht und Nebel aus dem Staub. Eine Militärmaschine fliegt beide nach Moskau. Honeckers Krebsleiden hat sich inzwischen weiter verschlimmert, doch er rappelt sich wieder auf. Untergebracht in einer Datscha bei Moskau, fühlt er sich sicher. Doch er täuscht sich.
Erich und Margot Honecker: Asyl in Chiles Botschaft
Der neue starke Mann im Kreml, Boris Jelzin (76), der im Machtkampf mit Michail Gorbatschow (89) triumphiert hatte, will Honecker loswerden und verfügt die Ausweisung. In ihrer Not flüchten die Honeckers in die chilenische Botschaft. Hier sind sie willkommen, denn Chile ist Honecker noch immer dankbar, weil der 1973 nach dem Putsch Pinochets gegen den sozialistischen Präsidenten Allende Tausenden Chilenen Asyl in der DDR gewährt hatte.
So hoffen sie auf eine schnelle Ausreise nach Chile. Doch daraus wird nichts. Deutschland, Chile und Russland verständigen sich letztlich auf die Auslieferung Honeckers, während seine Frau Margot nach Chile ausreisen darf. Am 29. Juli 1992 verlässt Erich Honecker mit einer Sondermaschine Moskau. Bei seiner Ankunft in Berlin klicken die Handschellen.
Er kommt in die JVA Moabit, bevor ihm im November 1992 der Prozess gemacht wird. Die Anklage macht ihn und fünf weitere ehemalige DDR-Spitzenfunktionäre für die Todesschüsse an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze verantwortlich.
Erich Honecker stirbt mit 81 Jahren in Chile
Für Honecker fordert die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft. Der weist jede Schuld von sich. Wessen Geistes Kind er ist, demonstriert er aber gleich zu Prozessbeginn, als er die Faust zum sozialistischen Kampfesgruß ballt und tönt: „Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“ Über das Leid, das er und seine Kumpane im Politbüro, in der SED und bei der Stasi ihren Landsleuten zugefügt hatten, wird er kein Wort verlieren.
Wenig später ist er ein freier Mann. Mitte Januar 1993 ordnet das Berliner Verfassungsgericht die Einstellung des Verfahrens an. Auf Basis von Gutachten scheint es fraglich, ob er das Ende des Prozesses erleben wird. Honecker verlässt Deutschland für immer, fliegt nach Chile zu seiner Frau, wo er am 29. Mai 1994 mit 81 Jahren stirbt.
Margot Honecker klagte noch über karge Rente
Bis zuletzt verklärt er die DDR – wie seine Witwe, die ihn 22 Jahre überlebt und 2016 im Alter von 89 Jahren stirbt. Beide bezogen übrigens Rente aus dem ihnen so verhassten wiedervereinigten Deutschland – bei Margot waren es 1.500 Euro monatlich, „unverschämt wenig“, wie sie mal zum Besten gab.