Karoline Klemke, forensische Psychologin, blickt in die dunkelsten Seelen. Sie erklärt, warum Menschen gewalttätig werden, ob es wirklich Untherapierbare gibt – und wie Verbrechens-Vorbeugung aussehen könnte.
„Lässt sich nicht therapieren“Forensische Psychologin blickt in Seelen von Mördern und Vergewaltigern
Kranke Psyche – schwere Schuld. Was Christiane Richter als Psychotherapeutin im Maßregelvollzug erlebt, ist alles andere als leichte Kost: Hier sitzen die ganz Brutalen. Die Perfiden. Die Unfassbaren. Die Mörder, Vergewaltiger. Die, die anderen Menschen das Leben genommen oder ihnen unsagbares Leid angetan haben.
In ihre Seelen möchte man nicht blicken – und doch gibt es Menschen, die genau das tun. Karoline Klemke (49) ist eine von ihnen, sie ist das Alter Ego von Christiane Richter. Die Psychologin arbeitete in der forensischen Psychiatrie, mit ihrem Buch über die Erlebnisse dort stößt sie das Tor auf in eine bizarr wirkende Welt. „Totmannalarm“ (dtv, 24 Euro) heißt es, benannt nach dem kleinen Gerät, das die Psychologin bei sich trägt und das Alarm auslöst, wenn es sich 45 Sekunden lang in der Horizontalen befindet.
Forensik: Verhalten der Täter ist meist schwer zu ertragen
Die Therapiesitzungen, das oft abstoßende, widerliche und sexistische Verhalten der zumeist männlichen Täter sind kaum zu ertragen – auch wenn die Fälle sich „nur“ so ähnlich zugetragen haben.
Grund: „Ich unterliege der Schweigepflicht“, sagt sie im Gespräch mit dem EXPRESS, „aber ich wollte meine 15 Jahre Erfahrung im Maßregelvollzug in Geschichten gießen“.
Was aber fasziniert an der Arbeit mit Schwerstkriminellen? „Mich faszinieren Menschen“, sagt Karoline Klemke. „Als Psychotherapeutin fühle ich mich zuständig für verletzte Menschen. Mein Ziel ist Gewaltprävention. Ich behandele Täter und auch Opfer, weil beides ein Schutz gegen Gewalt ist. Wir wissen, dass behandelte Täter weitaus weniger häufig rückfällig werden, also neue Opfer entstehen lassen, als unbehandelte Täter.“
Zum „Job“ im Maßregelvollzug kam die dreifache Mutter, die stets mit Malen oder einfach durchs „In-der-Natur-Sein“ den so wichtigen seelischen Abstand zu ihren „Klienten“ hält, quasi gezwungenermaßen. „In den 90ern gab’s keine Arbeit für junge Psychologen“, sagt sie und lacht leise, „ich wurde dann eingestellt von dieser Klinik und habe meine Arbeit gemacht“.
Psychiatrischer Maßregelvollzug: Wirklich „laxer“ als Knast?
Und zwar im psychiatrischen Maßregelvollzug, von dem einige Straftäter noch immer glauben, es sei dort „laxer“ als im Knast und versuchen, mit allen (Anwalts-)Tricks, dort unterzukommen. Ein Irrglaube. „Wenn Sie im psychiatrischen Maßregelvollzug (nach §63 StGB) sind, kommen Sie erst raus, wenn es ein Richter erlaubt – also im Zweifel nie. Bei der Haftstrafe haben Sie ein Entlass-Datum, im Maßregelvollzug für psychisch Kranke nicht. Wenn ein Gutachter alle drei Jahre Nein sagt und der Richter mitgeht, kommen Sie nicht mehr raus“, sagt sie.
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Endstation Maßregelvollzug – gibt’s denn wirklich „Untherapierbare“? „Ja. Wegen des freien Willens. Menschen können sich gegen Veränderung entscheiden. Und Therapie ist Veränderung. Das ist ja keine Waschanlage, in die ich reinfahre, dann therapiert man mich und ich fahr' geheilt wieder raus.“ Solche Täter kommen im Maßregelvollzug auf spezielle Stationen oder Wohngruppen, in denen es so gut wie keine Therapie (mehr) gibt.
Karoline Klemke hat inzwischen eine psychotherapeutische Praxis in Berlin, arbeitet nur noch ab und an als kriminalprognostische Gutachterin, wo sie mitentscheidet über Lockerungen oder gar Entlassung eines Schwerstkriminellen. „Das funktioniert anders, als man sich das vielleicht gemeinhin vorstellt“, sagt die 49-Jährige, „also dass da ein Experte kommt und nach Gefühl entscheidet. Dem ist nicht so“. Für Prognosen gibt es eine Methodik, in der biografische Faktoren wie Vorstrafen, Suchtproblematiken etc. einfließen. Ähnlich wie Versicherungen Risiken mathematisch berechnen, wird auch hier versucht, das Risiko einer erneuten Straftat zu minimieren. Wenn da nur eine entscheidende „Unbekannte“ nicht wäre: der freie Wille ...
Psychologin erklärt: Darum werden Menschen gewalttätig
Karoline Klemke erklärt im EXPRESS-Gespräch: „Ein großes Risiko, gewalttätig zu werden, ist die eigene Gewalterfahrung in der Kindheit. Denn Gewalt erzeugt Gewalt. Daher ist die Behandlung von Tätern und Opfern in meiner psychotherapeutischen Auffassung gleichrangig, weil beides verletzte Menschen sind. Was Menschen beispielsweise mit Kindern machen, ist ein Abbild ihrer eigenen Verletzungen. Wenn ich einem Kind Grausames antue, bin ich abgespalten von meiner eigenen Verletzbarkeit, eine Folge von Traumatisierung. Der Körper trennt sich von den Gedanken und Emotionen. Da gibt es dann keine Empathie mehr.“
Und die sei wichtig. Dabei seien die meisten Kinder sogar hochempathisch. Wenn ein Mensch das im Erwachsenenalter dann überhaupt nicht mehr ist, so sei das eine Folge von sozialem Lernen, sagt die Psychologin: „Wirklich niemand kommt empathielos und ausbeuterisch und mit dem Bestreben, anderen Menschen zu schaden, auf die Welt.“
Bildung und Respekt – die beste Prophylaxe
60 Prozent der Jungen, die in ihrer Kindheit schwere familiäre Gewalterfahrungen gemacht haben, werden später selbst gewalttätig, sagt Karoline Klemke. „Was nahelegt, die Leute zu behandeln, durch Bestrafung allein wird nichts besser. Bestrafung ist notwendig, sie sichert erstmal alle Beteiligten nach einer Gewaltsituation. Wenn man präventiv und langfristig denkt, ist das nicht ausreichend.“
Die beste Prophylaxe seien soziale Gerechtigkeit, Bildung, Teilhabe am Leben, Wertschätzung – und gesellschaftliche Ächtung von Gewalt: „Da hat sich viel getan, auch psychische Gewalt wird genauer angeschaut“, sagt Karoline Klemke.