Russland:Anschlag auf Zar Alexander II. – Enkel war Augenzeuge
St. Petersburg – Er ging als „Befreier“-Zar in die Geschichte ein, der die russischen Bauern von der harten Knute der Leibeigenschaft erlöste. Alexander II., der vor 140 Jahren einem Attentat zum Opfer fiel. Er war der Opa von Nikolaus II., mit dessen Abdankung und Ermordung in den Wirren der russischen Revolution im Jahr 1918 nach dem Sieg von Lenins Bolschewiki die mehr als 300-jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie endete.
- Attentat auf den Zaren
- Enkelsohn ist Augenzeuge als der Großvater stirbt
- Auch Lenins Bruder gehörte zur Terror-Organisation
Es ist der Mittag des 13. März 1881. Als Alexander II. auf dem Weg zum Winterpalast in St. Petersburg mit seiner Eskorte die Straße beim Katharinenkanal passiert, schleudert ein Attentäter einen Sprengsatz auf seine Kutsche. Es gibt eine gewaltige Explosion, ein Passant stirbt, mehrere weitere werden verletzt. Der Zar aber überlebt unverletzt in seinem demolierten Gefährt.
Anschlag auf Zar Alexander II.: Sein Enkel war Augenzeuge
Doch als er aussteigt und den inzwischen überwältigten Terroristen, den Studenten Nikolai Ryssakow, mit den Worten zur Rede stellt „Hast du die Bombe geworfen?“, ruft der ihm nur höhnisch zu: „Freuen Sie sich nicht zu früh!“
In diesem Moment wirft ein weiterer Attentäter eine Bombe vor die Füße des Zaren, die ihn und den ersten Attentäter lebensgefährlich verletzt. Beide sterben noch am gleichen Tag. Augenzeuge der Tragödie sind der damals zwölfjährige Zaren-Enkel, der spätere Zar Nikolaus II.
Zar Alexander II.: Anschlag wurde lange geplant
Zar Alexander wurde nur 62 Jahre alt. An der Stelle des Anschlags lässt sein Sohn Alexander III. (1845-1895) die Auferstehungskirche bauen. Die Mörder hatten den Anschlag von langer Hand geplant. Sie waren Mitglieder der linksextremistischen Terror-Organisation „Narodnaja Wolja („Volkswille“), deren erklärtes Ziel der Sturz des zaristischen Regime war.
Schon sechs Attentate waren zuvor auf den Zaren verübt worden, doch die hatte er alle unversehrt überstanden – auch das während der Pariser Weltausstellung im Jahr 1867, als er mit seinem Sohn Alexander und dem französischen Kaiser Napoleon III. (1808-1873) in einer Kutsche unterwegs war.
Dabei war der Zar in den ersten Jahren seiner Herrschaft alles andere als ein autokratischer Potentat. Als der damals 37-Jährige 1855 den Thron bestieg, befand sich das Land im Krimkrieg gegen die Osmanen und die mit ihnen verbündeten Franzosen und Briten. Die bittere Niederlage mit hohen Verlusten ein Jahr später war ein Schock und für Alexander der Anstoß, etwas zu ändern in dem rückständigen Riesenreich.
Zar Alexander II. wurde eigentlich als Reformer gefeiert
Die Reformen, die er auf den Weg brachte – im Militär, in der Wirtschaft und im Bildungswesen – kamen einer Revolution gleich in einem Land, das die Zaren und der Adel seit Jahrhunderten auspressten. Vor allem durch die Abschaffung der Leibeigenschaft, die der „Selbstherrscher von Gottes Gnaden“ gegen den Widerstand der Aristokratie verfügte.
Zeitgenossen feierten ihn als „Zar-Befreier“. Dennoch war es kein großer Wurf. Die große Masse der notleidenden Russen blieb weiter auf Gedeih und Verderb der Willkür der herrschenden Klasse ausgeliefert. Doch das bisschen Freiheit befeuerte – so vom Zaren sicher nicht beabsichtigt – eine revolutionäre Dynamik, die Jahrzehnte später den Untergang des Zarentums besiegeln sollte.
Terror gegen das Zaren-Regime
Vor allem in Intellektuellen-Kreisen fielen damals marxistische und anarchistische Ideen auf fruchtbaren Boden. Ihnen gingen die Reformen nicht weit genug. Sie wollten den Sturz der verhassten Monarchie – mit Gewalt und Terror.
Eine Entwicklung, auf die Alexander zusehends mit Repressionen reagierte. Zensur und ein allgegenwärtiges Überwachungssystem sollten Aufruhr im Keime ersticken. Wer opponierte, landete im Knast, in sibirischen Gulags oder im schlimmsten Falle am Galgen.
Für Alexanders Mörder gab es erst recht keine Gnade. Fünf von ihnen wurden zum Tode durch den Strang verurteilt – darunter auch eine junge Adelige, die 27-jährige Sofija Perowskaja, die erste Frau, die in Russland wegen eines politischen Verbrechens gehängt wurde.
Terror gegen Zar Alexander II.: Lenins Bruder gehängt
Das gleiche Schicksal erlitt Jahre später der damals 21-jährige Alexander Uljanow, ebenfalls Mitglied von „Narodnaja Wolja“ und glühender Anhänger von Karl Marx. Er war der ältere Bruder Lenins (1870-1924), der mit bürgerlichen Namen Wladimir Iljitsch Uljanow hieß.
Nach dem Anschlag auf den Zaren plante er mit Gesinnungsgenossen auch die Ermordung dessen Sohnes und Nachfolgers Alexander III. Doch als sie den möglichen Tatort ausspionieren wollten, gingen sie der Polizei ins Netz.
Uljanow wurde 1887 zum Tode verurteilt und gehängt. Nach der Hinrichtung radikalisierte sich auch sein Bruder, stieg mit der Zeit zum unbestrittenen Führer der marxistischen Bolschewiki auf, die sich im Oktober 1917 an die Macht putschten.