Unglaubliche SpitzelaffäreAls der Telekom-Skandal die Republik erschütterte
Bonn – Es war einer der größten Abhörskandale in der Geschichte der Bundesrepublik – die illegale Bespitzelung von Aufsichtsräten und Vorständen der Deutschen Telekom in Bonn, Betriebsräten, Gewerkschaftsfunktionären und Journalisten. Viele sprachen von einem „Telegate“ – in Anspielung auf den Watergate-Skandal, dem von US-Präsident Richard Nixon veranlassten Lauschangriff in den 70ern auf das Hauptquartier der Demokraten.
Auslöser der jahrelangen Bespitzelungsaktion, die 2008 aufflog, waren streng vertrauliche, im Vorstand und Aufsichtsrat diskutierte Firmeninterna, die z.B. das Magazin „Capital“, die „Financial Times Deutschland“, die „Wirtschaftswoche“ oder der „Spiegel“ veröffentlicht hatten.
Codename: „Operation Rheingold“
Laut dem damaligen Vorstandschef Kai-Uwe Ricke (58) hatte die Telekom „Löcher wie ein Schweizer Käse“. Um das Leck zu stopfen und mögliche Maulwürfe zu enttarnen, ordneten der Vorstand unter der Regie Rickes und der Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von Klaus Zumwinkel (76) Untersuchungen an. Codename: „Operation Rheingold“. „Ich sah es als meine Pflicht an, etwas zu unternehmen“, so Ricke.
Allerdings bestreiten er und Zumwinkel jede Verantwortung für illegale Machenschaften. Federführend war die Abteilung Konzernsicherheit, die sich sofort ans Werk machte – zunächst mit legalen und dann auch mit illegalen Mitteln. So wurden falsche Informationen mit Firmeninterna unter anderem an einzelne Vorstandsmitglieder geschickt, um herauszufinden, ob diese in den Medien auftauchen würden.
Telekom-Skandal: Schnüffeln im großen Stil
Weil das nichts brachte, wurden die Zugriffe bald ausgeweitet – Szenen wie aus einem Agententhriller. Einem drittklassigen allerdings. Systematisch wurden jetzt auch Betriebsräte, Gewerkschafter wie der damalige Verdi-Chef Frank Bsirske (68) und Journalisten ausgespäht, um herauszufinden, wer wann und wie lange bei der Telekom mit ihnen telefoniert hatte.
Eine Schlüsselfigur in dem Skandal war der damalige Leiter der Ermittlungsabteilung Konzernsicherheit „KS 3“, der heute 70-jährige Klaus-Dieter T. „Wir haben einen Auftrag von Ricke“, behauptete er mal in einer internen Gesprächsrunde. Das reichte, keiner hakte nach.
Sogar Bankdaten von Journalisten gecheckt
Anfangs ging es nur um etwa 20 Anschlüsse, doch schon bald gerieten immer mehr „Verdächtige“ ins Visier der Telekom-Schlapphüte. Ihre Daten ließ T. von einer externen, auf Betriebs- und Wirtschaftskriminalität spezialisierten Firma auswerten. Kosten: 700.000 Euro.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete am 30. Mai 2008, dass nicht nur Telefonverbindungen gecheckt wurden, sondern möglicherweise auch Bankdaten von Journalisten und Aufsichtsräten.
Zudem sollen mit einer speziellen Software über das Telekom-Mobilfunknetz Bewegungsprofile erstellt worden sein. Sogar einen Maulwurf soll T. in der Redaktion von „Capital“ installiert haben. Seit 2005 wurden so zig Tausende Verbindungsdaten illegal beschafft und mit krimineller Energie ausgewertet. Es gab auch Berichte, dass „Zielpersonen“ verdeckt observiert und gefilmt worden seien, um „Verräter“ in flagranti zu erwischen.
Telekom-Skandal: Mindestens 55 Menschen observiert
Nach einem Zwischenbericht der Bonner Staatsanwaltschaft im November 2008 wurden mindestens 55 Menschen über die Jahre observiert. Die Ermittler vermuteten aber, dass die Dunkelziffer weit höher liegen könnte.
Gesicherte Erkenntnisse gibt es bis heute nicht. Publik wurde der Abhörskandal, als die mit der Observierung beauftragte Detektei wegen ausstehender Honorare Ärger machte und damit drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Telekom-Kunden waren schockiert
Im Mai 2008 ging die Bombe schließlich hoch – unter anderem durch einen „Spiegel“-Artikel. Der damalige DGB-Chef und Mitglied des Telekom-Aufsichtsrats, Michael Sommer (68) war entsetzt: „Ich habe den begründeten Verdacht, dass wir vor einem Abgrund in unserem Land stehen.“ Schockiert waren auch Millionen Telekomkunden: Wie sicher sind meine Daten überhaupt noch, fragten sie sich zu Recht.
Die Telekom mit ihrem neuen Chef René Obermann (57) selbst ging in die Offensive, räumte ein, dass zwischen 2005 und 2006 mindestens ein Jahr lang Telefondaten ausspioniert wurden. René Obermann, seit 2006 im Amt, versicherte aber, nichts von der Bespitzelung gewusst zu haben.
Telekom-Skandal: Nur einer wurde verurteilt
Sehr schnell war die Staatsanwaltschaft auf dem Plan. Es gab Razzien bei der Telekom und Ermittlungen gegen acht Beschuldigte – darunter Zumwinkel und Ricke, die später eingestellt wurden. Beide wuschen ihre Hände in Unschuld.
Ricke: „Ich habe niemals illegale Aufträge erteilt und erst recht zu keinem Zeitpunkt angeordnet, Telefonverbindungsdaten auszuspähen.“ Verurteilt wurde lediglich einer. Das Landgericht Bonn schickte am 30. November 2010 Klaus-Dieter T. wegen Betruges, Untreue und Verletzung des Fernmeldegeheimnisses für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Ein Bauernopfer, wie viele mutmaßten. Er hatte sich zudem, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, unter Vorspiegelung verdeckter Ermittlungen Firmengelder in Höhe von 175.000 Euro aushändigen lassen, die er veruntreut haben soll. Der BGH bestätigte 2012 in einem Revisionsverfahren das Bonner Urteil als rechtskräftig.
Wurden nicht alle Verantwortlichen bestraft?
Der Bonner Richter Klaus Reinhoff deutete an, es seien womöglich nicht alle in die Affäre Verstrickte bestraft worden. Anwälte von Spitzelopfern wie Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (87) beklagten, der Fall sei nur unzureichend aufgeklärt worden.
Ricke und Zumwinkel einigten sich mit der Telekom auf Schadenersatzzahlungen von je 600.000 Euro, der Konzern hatte je eine Million gefordert. Davon mussten sie je 250.000 Euro aus eigener Tasche zahlen, den dicksten Batzen zahlte eine Haftpflichtversicherung.