Bürgergeld-ErhöhungAmpel stockt um Milliarden auf: Lohnt sich Arbeiten bald überhaupt nicht mehr?

Das maschinell erstellte Bild zeigt einen Mann, der lustlos auf seiner Couch herumsitzt.

Das maschinell erstellte Bild zeigt einen Mann, der lustlos auf seiner Couch herumsitzt. Lohnt sich Arbeiten bald überhaupt noch?

Bekommen die Menschen mit dem Bürgergeld zu viel Geld? Gibt es dadurch womöglich zu wenig Arbeitsanreize? Um das Thema ist erneut eine Diskussion entbrannt. Fachleute sind sich indes längst einig über wichtige Reformen.

von Martin Gätke  (mg)

Es waren ehrgeizige Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD): mehr Chancen sollte es geben, mehr Erspartes übrig bleiben, kurze Wege und weniger Bürokratie. Doch nun explodieren die Kosten beim Bürgergeld.

Im kommenden Jahr wird es wegen der ankündigten Erhöhung nun deutlich teurer als eingeplant. Der Haushaltsausschuss des Bundestags bewilligte in der Nacht zum Freitag (17. November 2023) 3,4 Milliarden Euro zusätzlich.

2024 steigt das Bürgergeld für über fünf Millionen Deutsche

Dazu kommen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur weitere 1,4 Milliarden Euro für die Übernahme der Miet- und Heizkosten. Bereits für 2023 benötigt der Bund mehr als drei Milliarden Euro zusätzlich, weil die Zahl der Bürgergeld-Beziehenden wegen der schlechten Wirtschaftslage deutlich stieg.

Zum 1. Januar 2024 ist es so weit: Dann steigt das Bürgergeld für mehr als fünf Millionen Erwachsene und Kinder in der Grundsicherung im Schnitt um rund zwölf Prozent. Der Regelsatz wird, ähnlich wie zuvor bei Hartz IV, jedes Jahr an Preise und Löhne angepasst.

Die Opposition hat sich die Abschaffung dieses Bürgergelds auf die Fahne geschrieben, kürzlich sorgte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mit seiner Forderung für Wirbel, das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abzuschaffen. Nach sechs Monaten solle eine Arbeitspflicht gelten. „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun – er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt“, so Linnemann in der „Süddeutschen Zeitung“.

Ist das Bürgergeld am Ende zu attraktiv? Lohnt sich Arbeiten noch?

Ist das Bürgergeld am Ende zu attraktiv? Schließlich steigt das Bürgergeld prozentual mehr als der Mindestlohn. Werden deshalb weniger Menschen arbeiten wollen? Am Montag erklärte der Arbeitsminister bei „hart aber fair“: „Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergeldes zu kündigen, der bekommt erst mal kein Bürgergeld, der kriegt erst einmal eine Sperre beim Arbeitslosengeld.“ Es scheint, als wolle er die Menschen warnen, vorschnell den Job zu kündigen.

Hier bei der EXPRESS.de-Umfrage zum Bürgergeld mitmachen:

Lohnt sich Arbeiten heutzutage noch? Gegenüber der „Wirtschaftswoche“ erklärte Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ganz klar: „Das System hinter dem Bürgergeld stellt immer sicher, dass Erwerbstätige mehr zur Verfügung haben als diejenigen, die nicht arbeiten.“ Es sei daher irrelevant, ob der Mindestlohn 2024 um 41 Cent auf 12,41 Euro pro Stunde erhöht wird, während die Steigerung beim Bürgergeld prozentual deutlich höher ist.

Entscheidend sei, wie sehr es sich lohnt, „mehr zu arbeiten“, wenn Einkommen und Bürgergeld kombiniert werden. Denn: Je mehr Geld verdient wird, desto geringer die Sozialleistungen. Der Fachbegriff hierfür: Transfer-Entzugsraten.

Bürgergeld: Hier ist laut Fachleuten „klare Schwachstelle“ zu finden

Bei diesem Thema habe es beim Übergang auf das Bürgergeld keine wesentlichen Verbesserungen gegeben, so der Ökonom im Branchenmagazin. „In bestimmten Konstellationen bringt mir eine zusätzliche Stunde Arbeit nur ein oder zwei Euro mehr.“ Eine entscheidende Stellschraube, die angepackt werden müsse, meint er. Für zahlreiche Fachleute ist dies die Schwachstelle im System beim Thema Arbeitsanreiz.

Denn die Situation beim Bürgergeld sei kompliziert: Die ersten 100 Euro des Verdienstes dürfen ganz behalten werden. Vom Verdienst zwischen 100 und 520 Euro dann 20 Prozent, vom Verdienst zwischen 520 Euro und 1000 Euro 30 Prozent und darüber bis 1200 Euro beziehungsweise 1500 Euro bei Alleinerziehenden 10 Prozent.

Der Volkswirt Alexander Spermann, der an der FOM Hochschule in Köln lehrt, sieht in der aktuellen Diskussion eine „Scheindebatte“: „Kein Bäcker kündigt morgen und hat übermorgen mit dem Bürgergeld mehr in der Tasche“, so Spermann gegenüber der „Wirtschaftswoche“. Denn zuerst gebe es eine Sperrzeit, dann eine Bedürftigkeitsprüfung und noch immer Sanktionsmöglichkeiten.

Und Menschen in Arbeit zu drängen, wie von Linnemann gefordert, sei ebenfalls „wenig nachhaltig“. Sinnvoller sei es, sie zu qualifizieren und ihnen so eine Beschäftigung mit Perspektive zu bieten. „Sonst stehen die Menschen nach ein paar Monaten wieder ohne Arbeit da.“