Kurzfristige PressekonferenzMarkus Söder gibt Entscheidung um Aiwanger bekannt und nennt fünf Gründe

Wird Söders Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) wegen der Affäre rund um ein antisemitisches Flugblatt aus seiner Schulzeit entlassen? Bayerns Ministerpräsident gibt am Sonntag (3. September) um 11 Uhr eine Pressekonferenz.

Fast täglich gab es zuletzt neue Vorwürfe gegen Hubert Aiwanger. Doch Markus Söder hält an seinem Vize fest. Dazu gab Bayerns Ministerpräsident (CSU) am Sonntagvormittag (3. September 2023) kurzfristig eine Pressekonferenz. Die Staatskanzlei hatte für 11 Uhr dazu eingeladen, „aus aktuellem Anlass“, wie es in der Einladung hieß.

Seit Samstag (26. August) steht eine zunehmende Anzahl von Vorwürfen gegen Politiker Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Raum.

Antisemitisches Flugblatt aus Schulzeiten: Hubert Aiwanger soll im Amt bleiben

Söder (CSU) will seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) trotz zahlreicher Vorwürfe in der Affäre um ein antisemitisches Flugblatt aus dessen Schulzeiten aktuell nicht entlassen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Sonntag in München. Zuvor hatte das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet.

Eine Entlassung wäre aus Söders Sicht nicht verhältnismäßig, sagte er am Sonntag bei der Pressekonferenz. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt.

Söder nennt fünf Gründe gegen Entlassung von Hubert Aiwanger

Bayerns Ministerpräsident hat seine Entscheidung gegen eine Entlassung seines Stellvertreters mit fünf Punkten begründet. Nach Bewertung „aller vorliegenden Fakten“ stelle es sich für ihn am Ende so dar, sagte der CSU-Chef am Sonntag in München: „Erstens er hat in seiner Jugend wohl schwere Fehler gemacht, das auch zugestanden. Er hat sich dafür zweitens entschuldigt, davon distanziert und auch Reue gezeigt.“

Und weiter: „Drittens: Ein Beweis jedoch, dass er das Flugblatt verfasst oder verbreitet hat, gibt es bis heute nicht, dagegen steht seine ganz klare Erklärung, dass er es nicht war. Viertens: Seit dem Vorfall von damals gibt es nichts Vergleichbares. Fünftens: Das Ganze ist in der Tat 35 Jahre her. Kaum einer von uns ist heute noch so, wie er mit 16 war.“

Söder kritisierte zugleich Aiwangers Krisenmanagement als „nicht sehr glücklich“. Der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister „hätte angesichts des Vorwurfs des Antisemitismus früher, entschlossener und umfassender aufklären müssen“, betonte er und fügte hinzu: „Es war eine unschöne Woche, das hat Bayern geschadet.“

Am Samstagabend habe auch der Koalitionsausschuss getagt. Es sei wichtig, dass Aiwanger nun „daran arbeitet, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, sagte Söder. Darin seien sich alle einig gewesen. So werde der Freie-Wähler-Chef unter anderem Gespräche mit den jüdischen Gemeinden suchen.

Aiwanger selbst sieht „überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt”

Auch Aiwanger selbst sieht „überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung“, wie er zuvor der „Bild am Sonntag“ sagte. Der 52-Jährige forderte ein Ende der „Hexenjagd“. Er wird am Sonntag zu Terminen in Bayern erwartet, Söder gibt dem ZDF ein Sommerinterview.

Aiwanger hatte zuletzt einen umfangreichen Fragenkatalog Söders zu den Vorwürfen schriftlich beantworten müssen. Söder gab jedoch am Sonntag in der Pressekonferenz zu: „Die Antworten waren nicht alle befriedigend”, vieles sei Aiwanger immer noch „nicht erinnerlich“ gewesen.

Danach traf Söder nun – wie angekündigt – seine Entscheidung. CSU und Freie Wähler haben bisher stets erklärt, ihre Koalition nach der Wahl fortsetzen zu wollen.

Sondersitzung zur Flugblatt-Affäre im bayerischen Landtag am 7. September

Am Samstag vor einer Woche hatte Aiwanger zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Auf Antrag von SPD, Grünen und FDP war eine Sondersitzung zu der Flugblatt-Affäre im bayerischen Landtag für 7. September einberufen worden. Dort sollte der sogenannte Zwischenausschuss zum Thema tagen.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen – insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Auf X (ehemals Twitter) wies er zudem den Vorwurf, er habe Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche gehabt, als „Unsinn“ zurück. Zu weiteren Vorwürfen äußerte er sich entweder nicht oder sagte, er könne diese aus seiner Erinnerung weder dementieren noch bestätigen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte etwa eine nicht namentlich genannte frühere Mitschülerin Aiwangers zitiert, dieser habe oft Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in der Schultasche mit sich geführt. Sie könne dies bestätigen, weil sie das Buch selbst in der Hand gehalten habe.

Hubert Aiwanger beklagt politische Kampagne gegen ihn

Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei – was ihm sofort neue Vorwürfe etwa des Zentralrats der Juden einbrachte.

Dass Söder aktuell trotz alledem an Aiwanger festhält, dürfte insbesondere mit der unmittelbar bevorstehenden Landtagswahl am 8. Oktober zusammenhängen. Auch wenn CSU und Freie Wähler ihre Koalition fortsetzen wollen, hatte Söder zuletzt gesagt, Koalitionen hingen „nicht an einer einzigen Person“. „Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso.“ Die Freien Wähler stehen jedoch fest zu ihrem Vorsitzenden. Bei Wahlkampfauftritten wird Aiwanger ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert.

Aiwanger war bereits im Juni bundesweit in die Schlagzeilen geraten, wegen umstrittener Äußerungen auf einer Kundgebung in Erding. Er hatte dort unter anderem gesagt, dass die schweigende Mehrheit sich die „Demokratie zurückholen“ müsse. Ihm wurde daraufhin – wie schon so oft – Populismus und nun auch eine Wortwahl à la AfD vorgehalten. (dpa)