Nun ist es passiert: Christine Lambrecht ist als Verteidigungsministerin zurückgetreten. Zuletzt übernahmen immer weniger Politiker Verantwortung und stellten ihr Amt zur Verfügung. Ein Blick zurück.
Nach Lambrecht-RücktrittSkandale in der Politik: Strauß, Brandt, Scholz – wer musste gehen, wer blieb im Amt?
Wann muss ein Politiker Verantwortung übernehmen und zurücktreten? Wer kann Skandale überstehen? Während in England nach Boris Johnson auch Liz Truss über Affären und Skandale gestolpert ist, kleben in Deutschland die Politiker und Politikerinnen inzwischen deutlich länger am Amt.
Das war schon einmal anders. Anlässlich des Rücktritts von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am 16. Januar 2023 wirft einen Blick in die Geschichte der Bundesrepublik.
Franz-Josef Strauß: Die Spiegel-Affäre als Mutter aller Skandale
Franz-Josef Strauß (CSU) war der erste prominente Politiker, der zurücktrat. Er musste wegen der sogenannten Spiegel-Affäre im Jahr 1962 sein Amt niederlegen. Später war er dann mehrere Jahre bayrischer Ministerpräsident.
Nach der Affäre um Stasi-Spitzel Günter Guillaume trat 1974 sogar ein Bundeskanzler zurück: Willy Brandt übernahm die politische Verantwortung und wurde daraufhin von Helmut Schmidt ersetzt.
1984 trat Otto Graf Lambsdorff (FDP) als Minister zurück, er war wegen Steuerhinterziehung angeklagt und später auch verurteilt worden.
1987 gab Schleswig-Holstein Ministerpräsident Uwe Barschel vergeblich sein „Ehrenwort“. Er hatte seinen Widersacher Björn Engholm ausspähen lassen und wollte ihn diskreditieren. Barschel verlor die Wahl und trat zurück.
Lothar Späth (CDU) verlor 1991 seinen Job als baden-württembergischer Ministerpräsident, weil er sich Urlaubsreisen bezahlen ließ. Wegen eines Trips unter anderem in die Ägäis kostete ihn die sogenannte „Traumschiff“-Affäre das Amt.
Jürgen Möllemann und sein doppelter Rücktritt
Jürgen Möllemann (FDP) musste gleich zweimal zurücktreten: 1993 als Wirtschaftsminister, nachdem er auf offiziellem Briefpapier für den Einkaufswagen-Chip seines Vetters geworben hatte. 2002, weil er in einem Flugblatt antisemitische Klischees bedient hatte. Sechs Jahre nachdem der passionierte Fallschirmspringer in den Tod gestürzt war, musste die Partei 4,3 Millionen Euro wegen falscher Spendenquittungen zahlen.
1993 war es auch, als es Björn Engholm (SPD) erwischte: Der Nachfolger hatte im Untersuchungsausschuss zur Barschel-Affäre falsch ausgesagt. Weil er seine politische Glaubwürdigkeit verloren habe, entschloss sich der Ministerpräsident zum Rückzug aus der Politik.
CDU-Verkehrsminister Günther Krause ließ sich seine Putzfrau und den privaten Umzug mit öffentlichen Geldern bezahlen. Als das rauskam, trat er im Mai 1993 zurück.
Im selben Monat erwischte es wieder einen CSU-Politiker: Max Streibl musste wegen der sogenannten „Amigo-Affäre“ zurücktreten.
Unter anderem eine Brauerei finanzierte die Hochzeit des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski. Im November 1999 stellte der SPD-Politiker sein Amt zur Verfügung.
2002 war ebenfalls ein Jahr der Rücktritte: Es erwischte Kurt Biedenkopf (CDU), Rudolf Scharping (SPD) und die beiden Bonusmeilen-Sammler Gregor Gysi (PDS) und Cem Özdemir (Grüne). Letzterem gelang allerdings ein politisches Comeback: Der Schwabe ist heute Landwirtschaftsminister.
2009 wurde Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Bei einem Ski-Unfall auf einer Skipiste in Österreich war er mit einer Frau zusammengestoßen. Die Ski-Fahrerin wurde tödlich verletzt. Demnach sei Althaus deutlich schneller unterwegs gewesen und habe Fahrfehler begangen.
Plagiate: Guttenberg, Giffey und Schavan traten zurück
Im selben Jahr musste Franz-Josef Jung (CDU) wegen der „Kundus-Affäre“ gehen. Ein deutscher Oberst hatte einen Bombenangriff auf zwei Tanklaster in der Nähe des afghanischen Kundus angeordnet, bei dem mindestens 90 Zivilisten getötet wurden. Der Minister wurde wegen missglückter Informationspolitik in die Verantwortung gezogen.
Plagiate in seiner Doktorarbeit wurden dem aufstrebenden Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Jahr 2011 zum Verhängnis. 2013 verließ Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) das Kabinett Merkel, auch sie hatte bei ihrer Doktorarbeit abgekupfert.
Ein Bundespräsident musste 2012 zurücktreten: Christian Wulff musste trotz gerichtlichen Freispruchs wegen Vorteilsnahme zurücktreten.
Auch Franziska Giffey kostet die Abschreiberei das Amt als Familienministerin, doch sie fällt weich, ist nun Regierende Bürgermeisterin in Berlin. Ihre Nachfolgerin als Familienministerin im Jahr 2021: Christine Lambrecht.
Später wurden Rücktritte in der deutschen Politik seltener. Ursula von der Leyen (CDU) saß ihre Berater-Affäre aus, ist heute EU-Kommissionspräsidenten. Dass Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) trotz der Milliarden-Verschwendung von Steuermitteln beim „Maut-Skandal“ sein Amt behalten durfte, wundert bis heute. Genauso überstand der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Maskenaffäre 2021 während der Corona-Pandemie.
In Nordrhein-Westfalen fädelte Armin Laschets Sohn Joe einen teuren Masken-Deal ein, der Vater und damaliger NRW-Ministerpräsident, trat trotzdem für die CDU als Kanzlerkandidat an. Im Jahr 2015 hatte er bereits den Wirbel um erfundene Noten überstanden – er hatte als Lehrbeauftragter der RWTH Aachen eine Klausur verloren.
Anne Spiegel trat als einzige Ministerin unter Scholz zurück
Ein Urlaub während der Flutkatastrophe an der Ahr wurde der Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) im April letzten Jahres zum Verhängnis. Die ehemalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz hatte gelogen, was Teilnahmen an Kabinettssitzungen betraf und trat „aufgrund des politischen Drucks und um das Amt vor Schaden zu bewahren“ zurück.
Andere überstehen Affären, wie etwa Bundeskanzler Olaf Scholz: Mit einer Salami-Taktik und Erinnerungslücken behindert eine vollumfängliche Aufklärung seiner Treffen mit dem Warburg-Bankchef Christian Olearius. Die Bank war tief in den Cum-Ex-Skandal verstrickt.