Nach Lambrecht-RücktrittSkandale in der Politik: Strauß, Brandt, Scholz – wer musste gehen, wer blieb im Amt?

Nun ist es passiert: Christine Lambrecht ist als Verteidigungsministerin zurückgetreten. Zuletzt übernahmen immer weniger Politiker Verantwortung und stellten ihr Amt zur Verfügung. Ein Blick zurück.

von Alexander Haubrichs  (ach)

Wann muss ein Politiker Verantwortung übernehmen und zurücktreten? Wer kann Skandale überstehen? Während in England nach Boris Johnson auch Liz Truss über Affären und Skandale gestolpert ist, kleben in Deutschland die Politiker und Politikerinnen inzwischen deutlich länger am Amt.

Das war schon einmal anders. Anlässlich des Rücktritts von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) am 16. Januar 2023 wirft einen Blick in die Geschichte der Bundesrepublik.

Franz-Josef Strauß: Die Spiegel-Affäre als Mutter aller Skandale

Franz-Josef Strauß (CSU) war der erste prominente Politiker, der zurücktrat. Er musste wegen der sogenannten Spiegel-Affäre im Jahr 1962 sein Amt niederlegen. Später war er dann mehrere Jahre bayrischer Ministerpräsident.

Nach der Affäre um Stasi-Spitzel Günter Guillaume trat 1974 sogar ein Bundeskanzler zurück: Willy Brandt übernahm die politische Verantwortung und wurde daraufhin von Helmut Schmidt ersetzt.

1984 trat Otto Graf Lambsdorff (FDP) als Minister zurück, er war wegen Steuerhinterziehung angeklagt und später auch verurteilt worden.

1987 gab Schleswig-Holstein Ministerpräsident Uwe Barschel vergeblich sein „Ehrenwort“. Er hatte seinen Widersacher Björn Engholm ausspähen lassen und wollte ihn diskreditieren. Barschel verlor die Wahl und trat zurück.

Lothar Späth (CDU) verlor 1991 seinen Job als baden-württembergischer Ministerpräsident, weil er sich Urlaubsreisen bezahlen ließ. Wegen eines Trips unter anderem in die Ägäis kostete ihn die sogenannte „Traumschiff“-Affäre das Amt.

Jürgen Möllemann und sein doppelter Rücktritt

Jürgen Möllemann (FDP) musste gleich zweimal zurücktreten: 1993 als Wirtschaftsminister, nachdem er auf offiziellem Briefpapier für den Einkaufswagen-Chip seines Vetters geworben hatte. 2002, weil er in einem Flugblatt antisemitische Klischees bedient hatte. Sechs Jahre nachdem der passionierte Fallschirmspringer in den Tod gestürzt war, musste die Partei 4,3 Millionen Euro wegen falscher Spendenquittungen zahlen.

1993 war es auch, als es Björn Engholm (SPD) erwischte: Der Nachfolger hatte im Untersuchungsausschuss zur Barschel-Affäre falsch ausgesagt. Weil er seine politische Glaubwürdigkeit verloren habe, entschloss sich der Ministerpräsident zum Rückzug aus der Politik.

Skandale in der Politik: Wer musste gehen? Wer blieb am Amt kleben?

Skandale in der Politik: Wer musste gehen? Wer blieb am Amt kleben?

Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (l, CSU) im Gespräch mit Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) während der Debatte. Am 9. November 1962 fand die dritte "Spiegel-Debatte" im Deutschen Bundestag statt.

Franz-Josef Strauß am 9. November 1962 mit Konrad Adenauer im Bundestag. Der CSU-Politiker trat wegen der Spiegel-Affäre zurück.

ARCHIV - Günter Guillaume begleitet Bundeskanzler Willy Brandt (l) am 02.09.1973 auf einer Reise in Schleswig-Holstein. (zu dpa - Themenpaket zur Bundestagswahl: Bundestagswahl historisch vom 14.08.2017) Foto: Db/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Willy Brandt mit dem Spion im Kanzleramt, Günter Guillaume, am 2. September 1973.

ARCHIV - 16.10.2022, Nordrhein-Westfalen, Bonn: Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, spricht beim Grünen-Bundesparteitag. 



Cem Özdemir ist in der Regierung für Landwirtschaft und Ernährung zuständig. (zu dpa: «Von A wie Apfel bis Z wie Zwiebel») Foto: Kay Nietfeld/dpa - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder +++ dpa-Nachrichten für Kinder +++

Cem Özdemir musste 2003 zurücktreten, beim Bundesparteitag am 16. Oktober 2022 steht er als Landwirtschaftsminister vor den grünen Delegierten.

Der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) verlässt nach einer Präsenzsitzung des CSU-Vorstands in der CSU-Landesleitung den Raum.

Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) überstand die Maut-Affäre trotz öffentlichem Druck.

Die bisherige Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Anne Spiegel (Bündnis 90/Die Grünen), steht nach der Übergabe ihrer Entlassungsurkunde durch Bundespräsident Steinmeier anlässlich des Amtswechsels im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im Schloss Bellevue. Die bisherige Bundesministerin, Spiegel, wird nach ihrem Rücktritt von ihrer Parteikollegin Paus abgelöst.

Amtswechsel im Familienministerium: Anne Spiegel (Grüne) mit ihrer Entlassungsurkunde am 25. April 2022.

Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen und ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg, verfolgt die Debatte bei der aktuellen Stunde im Plenum im Bundestag zu den Cum Ex Steuerdeals. Anderthalb Wochen nach seiner Einsetzung kommt der Parlamentarische Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zum Cum-Ex-Skandal am 06.11.2020 zu seiner ersten Sitzung zusammen. Der Auschuss soll den Vorwurf der möglichen Einflussnahme führender SPD-Politiker auf die steuerliche Behandlung der in den Skandal verwickelten Hamburger Warburg Bank klären.

Bundeskanzler Olaf Scholz verfolgt am 9. September 2020 die Debatte über den CumEx-Skandal im Bundestag. Er musste mehrfach vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss über sein Verhältnis zur Warburg-Bank aussagen.

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CDU-Verkehrsminister Günther Krause ließ sich seine Putzfrau und den privaten Umzug mit öffentlichen Geldern bezahlen. Als das rauskam, trat er im Mai 1993 zurück.

Im selben Monat erwischte es wieder einen CSU-Politiker: Max Streibl musste wegen der sogenannten „Amigo-Affäre“ zurücktreten.

Unter anderem eine Brauerei finanzierte die Hochzeit des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski. Im November 1999 stellte der SPD-Politiker sein Amt zur Verfügung.

Thomas Gottschalk (r) und Karl-Theodor zu Guttenberg, Moderatoren, stehen beim RTL-Jahresrückblick "Menschen, Bilder, Emotionen 2022" im Studio.

Fernsehen mit Thomas Gottschalk statt Politik: Ex-Minister Karl Theodor zu Guttenberg am 11.Dezember 2022 beim RTL Jahresrückblick „Menschen, Bilder, Emotionen 2022“

2002 war ebenfalls ein Jahr der Rücktritte: Es erwischte Kurt Biedenkopf (CDU), Rudolf Scharping (SPD) und die beiden Bonusmeilen-Sammler Gregor Gysi (PDS) und Cem Özdemir (Grüne). Letzterem gelang allerdings ein politisches Comeback: Der Schwabe ist heute Landwirtschaftsminister.

2009 wurde Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Bei einem Ski-Unfall auf einer Skipiste in Österreich war er mit einer Frau zusammengestoßen. Die Ski-Fahrerin wurde tödlich verletzt. Demnach sei Althaus deutlich schneller unterwegs gewesen und habe Fahrfehler begangen.

Plagiate: Guttenberg, Giffey und Schavan traten zurück

Im selben Jahr musste Franz-Josef Jung (CDU) wegen der „Kundus-Affäre“ gehen. Ein deutscher Oberst hatte einen Bombenangriff auf zwei Tanklaster in der Nähe des afghanischen Kundus angeordnet, bei dem mindestens 90 Zivilisten getötet wurden. Der Minister wurde wegen missglückter Informationspolitik in die Verantwortung gezogen.

Plagiate in seiner Doktorarbeit wurden dem aufstrebenden Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) im Jahr 2011 zum Verhängnis. 2013 verließ Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) das Kabinett Merkel, auch sie hatte bei ihrer Doktorarbeit abgekupfert.

Ein Bundespräsident musste 2012 zurücktreten: Christian Wulff musste trotz gerichtlichen Freispruchs wegen Vorteilsnahme zurücktreten.

Auch Franziska Giffey kostet die Abschreiberei das Amt als Familienministerin, doch sie fällt weich, ist nun Regierende Bürgermeisterin in Berlin. Ihre Nachfolgerin als Familienministerin im Jahr 2021: Christine Lambrecht.

Deutsche Verteidigungsminister und -ministerinnen

Das sind die deutschen Verteidigungsminister und -ministerinnen seit der Wiedervereinigung

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Gerhard Stoltenberg, hier im Januar 2001, öffnete zu Beginn einer Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses in Berlin seine Aktentasche. Amtszeit: 21. April 1989 bis 31. März 1992.

Ehemaliger Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg (CDU), Amtszeit: 21. April 1989 bis 31. März 1992.

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU), hier im Mai 2013, lächelt am in Berlin in die Kamera. Amtszeit: 1. April 1992 bis 26. Oktober 1998.

Ehemaliger Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU), Amtszeit: 1. April 1992 bis 26. Oktober 1998.

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), hier im Juli 2013 zu Beginn der Zeugenvernehmung im Drohnen-Untersuchungsausschuss des Bundestags im Sitzungssaal des Paul-Löbe-Hauses in Berlin. Amtszeit: 27. Oktober 1998 bis 19. Juli 2002.

Ehemaliger Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD), Amtszeit: 27. Oktober 1998 bis 19. Juli 2002.

Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck (SPD), hier im April 2011 in Berlin. Amtszeit: 19. Juli 2002 bis 22. November 2005.

Ehemaliger Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), Amtszeit: 19. Juli 2002 bis 22. November 2005.

Früherer Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), hier im August 2019 zu Beginn einer Verhandlung im Gerichtssaal des Verwaltungsgerichts in Wiesbaden. Amtszeit: 22. November 2005 bis 28. Oktober 2009.

Ehemaliger Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU), Amtszeit: 22. November 2005 bis 28. Oktober 2009.

Der frühere Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), hier im Januar 2020, sitzt nach einem Interview während des Ludwig-Erhard-Gipfels am Tegernsee. Amtszeit: 28. Oktober 2009 bis 3. März 2011.

Ehemaliger Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Amtszeit: 28. Oktober 2009 bis 3. März 2011.

Der ehemalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), hier im März 2021 in Berlin, lächelt in die Kamera. Amtszeit: 3. März 2011 bis 17. Dezember 2013.

Ehemaliger Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), Amtszeit: 3. März 2011 bis 17. Dezember 2013.

Die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), lächelt nach der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung zur Zusammenarbeit in strategischen Bereichen zwischen der NATO und der EU im NATO-Hauptquartier in Brüssel im Januar 2023 in die Kamera. Amtszeit: 17. Dezember 2013 bis 17. Juli 2019.

Ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Amtszeit: 17. Dezember 2013 bis 17. Juli 2019.

Die ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), hier im August 2022 in Hannover, spricht zur Frauenquote beim CDU Bundesparteitag. Amtszeit: 17. Juli 2019 bis 8. Dezember 2021.

Ehemalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Amtszeit: 17. Juli 2019 bis 8. Dezember 2021.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), hier im Dezember 2022 in Berlin, spricht im Verteidigungsministerium bei einem Statement zu Ausrüstungsfragen der Bundeswehr. Amtszeit: 8. Dezember 2021 bis 16. Januar 2023.

Ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD), Amtszeit: 8. Dezember 2021 bis 16. Januar 2023.

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Später wurden Rücktritte in der deutschen Politik seltener. Ursula von der Leyen (CDU) saß ihre Berater-Affäre aus, ist heute EU-Kommissionspräsidenten. Dass Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) trotz der Milliarden-Verschwendung von Steuermitteln beim „Maut-Skandal“ sein Amt behalten durfte, wundert bis heute. Genauso überstand der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Maskenaffäre 2021 während der Corona-Pandemie.

In Nordrhein-Westfalen fädelte Armin Laschets Sohn Joe einen teuren Masken-Deal ein, der Vater und damaliger NRW-Ministerpräsident, trat trotzdem für die CDU als Kanzlerkandidat an. Im Jahr 2015 hatte er bereits den Wirbel um erfundene Noten überstanden – er hatte als Lehrbeauftragter der RWTH Aachen eine Klausur verloren.

Anne Spiegel trat als einzige Ministerin unter Scholz zurück

Ein Urlaub während der Flutkatastrophe an der Ahr wurde der Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) im April letzten Jahres zum Verhängnis. Die ehemalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz hatte gelogen, was Teilnahmen an Kabinettssitzungen betraf und trat „aufgrund des politischen Drucks und um das Amt vor Schaden zu bewahren“ zurück.

Andere überstehen Affären, wie etwa Bundeskanzler Olaf Scholz: Mit einer Salami-Taktik und Erinnerungslücken behindert eine vollumfängliche Aufklärung seiner Treffen mit dem Warburg-Bankchef Christian Olearius. Die Bank war tief in den Cum-Ex-Skandal verstrickt.