Prügelei im Bundestag vor 70 JahrenSPD-Haudegen Wehner schlug Alt-Nazi Hedler

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Wolfgang Hedler (l.) beim Verlassen des Bundestages in Bonn. Bei einer Prügelei mit Abgeordneten der SPD trug er eine Platzwunde am Kopf davon. 

von Maternus Hilger  (hil)

Bonn – Tumulte, Beschimpfungen und Beleidigungen – sie waren im Bundestag zu allen Zeiten an der Tagesordnung.

Unvergessen sind die heftigen Verbal-Attacken von SPD-Fraktionschef Herbert Wehner (83) in den 70er und 80er Jahren. Auch in jüngster Zeit ist der Ton wieder merklich rauer geworden, seit die AfD das Parlament als Propagandabühne nutzt. Vor 70 Jahren flogen im Bundestag aber auch schon mal die Fäuste.

Wolfgang Hedler wurde des Saales verwiesen

Es ist der 10. März 1950 – High Noon im Deutschen Bundestag in Bonn. Als der frühere Abgeordnete der Deutschen Partei (DP), Alt-Nazi Wolfgang Hedler, versucht, an einer Plenarsitzung über die Saarfrage teilzunehmen, kommt es zu lautstarken Protesten.

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In seinen ersten Jahren ging es im Bonner Bundestag (hier eine Sitzung aus dem Jahr 1952) turbulent zu. Und manchmal auch handfest.

Er wird des Saales verwiesen, doch wenig später eskaliert die Lage vollends, als der Politiker erneut auftaucht.

Wehner greift an – Helder erleidet Platzwunde am Kopf

Angeführt von den Sozialdemokraten Herbert Wehner und Rudolf-Ernst Heiland (54), stürzen sich einige schlagkräftige Genossen wutentbrannt mit ihren Fäusten auf Hedler, der sich schnell davonmacht, stolpert und durch eine Glastür eine Treppe hinunter stürzt. Dabei erleidet er eine blutende Platzwunde am Kopf.

Die Quittung für die Sozis: Rund eine Woche werden sie von den Sitzungen des Bundestages ausgeschlossen, der sich erst ein Jahr zuvor konstituiert hatte.

1932 schloss sich Wolfgang Hedler der NSDAP an

Nach der ersten freien Wahl am 14. August 1949, vier Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, regierte in Bonn Kanzler Konrad Adenauer (91) mit einer Koalition aus CDU/CSU, FDP und der nationalkonservativen Deutschen Partei (DP), in der viele ehemalige Nazis eine neue politische Heimat gefunden hatten.

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Konrad Adenauer, Bundeskanzler von 1949 bis 1963

Auch der am 7. November 1899 in Magdeburg geborene Hedler, der während der Weimarer Republik Mitglied im reaktionären „Stahlhelm“-Bund gewesen war, hatte sich 1932 – ein Jahr vor Hitlers „Machtergreifung“ – der NSDAP angeschlossen und als Soldat den Zweiten Weltkrieg und die sowjetische Kriegsgefangenschaft überlebt.

Nazis versuchten einen politischen Neustart

Nach der Wahl 1949 zog er für die DP in den Bundestag ein. Ein Demokrat allerdings wurde er nie – wie so viele andere „alte Kämpfer“ auch nicht. Denn der braune Sumpf war längst nicht ausgetrocknet.

Viele eingefleischte Nazis, die einige Jahre zuvor noch Hitler zugejubelt hatten, waren ja nicht plötzlich geläutert. Jetzt versuchten sie einen politischen Neustart – und das nicht nur in den kleinen Parteien, sondern auch in den großen.

Beim Aufbau der Demokratie mit einem Volk, das mehrheitlich die NS-Diktatur unterstützt hatte, ließ man schon mal gerne Fünfe gerade sein.

Hedler sorgte für den ersten Skandal in der jungen Bundesrepublik

Auch Hedler blieb seinen alten Überzeugungen treu, obwohl selbst ihm in den Nachkriegsjahren das ganze Ausmaß der monströsen Verbrechen des Hitler-Regimes hätte klar sein müssen.

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Die Zusammensetzung des ersten Bundestages. Elf Parteien teilten sich damals die 402 Sitze im Parlament.

Das Fass zum Überlaufen brachte eine Rede, die er am 25. November 1949 im Deutschen Haus in Einfeld in Schleswig-Holstein hielt. Sie sorgte für einen der ersten großen Skandale in der noch jungen Bundesrepublik.

Hedlers üble Hetz-Tiraden

In Einfeld bestritt er, dass Deutschland eine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trage. Schuld seien die Widerstandskämpfer, die er als Verräter und Saboteure beschimpfte.

Seine Nazi-Tiraden gipfelten schließlich in dem Satz: „Ob das Mittel, die Juden zu vergasen, das gegebene gewesen ist, darüber kann man geteilter Meinung sein. Vielleicht hätte es auch andere Wege gegeben, sich ihrer zu entledigen.“

Wolfgang Hedler verlor seine parlamentarische Immunität

Die Empörung war groß, nachdem die „Frankfurter Rundschau“ Hedlers Entgleisungen veröffentlicht hatte. Doch es dauerte noch bis zum 19. Januar 1950, bis Hedlers parlamentarische Immunität aufgehoben und er aus der DP ausgeschlossen wurde.

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SPD-Fraktionschef Herbert Wehner (l.) 1976 mit dem ARD-Korrespondenten Ernst-Dieter Lueg (r., 70), den er mit „Herr Lüg“ anredete.

Allerdings nicht wegen seiner braunen Hetze, sondern wegen Verstoßes gegen die Parteidisziplin, so die Begründung des damaligen DP-Chefs und Bundesratsministers im Kabinett Adenauer, Heinrich Hellwege.

Gerichtsverfahren gegen Wolfgang Hedler

Knapp zwei Wochen später musste sich Hedler vor Gericht verantworten – u. a. wegen Verleumdung und übler Nachrede. Der Prozess endete mit einem Freispruch, sehr zur Freude seiner Anhänger, die ihn draußen mit großem Jubel empfingen. Dass er zunächst glimpflich davon kam, hatte einen simplen Grund.

Die Richter waren, wie sich später herausstellte, „alte Kameraden“ und frühere Mitglieder der NSDAP. Erst im Berufungsverfahren am 20. Juli 1951 wurde Hedler zu neun Monaten Haft verurteilt. Mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof ein Jahr später scheiterte er.

Hedler fasste in der Politik keinen Fuß mehr

Adenauers Koalition mit der Deutschen Partei bekam durch den Skandal übrigens keine Risse. Die Partei blieb bis 1960 Partner der Christdemokraten. 1961 löste sie sich auf Bundesebene auf, nachdem sie Abgeordnete und Minister an die CDU verloren hatte.

Hedler selbst versuchte in diversen rechtsgerichteten Parteien eine neue politische Karriere – erfolglos. Er starb 1986 im Alter von 86 Jahren in Stuttgart.