Zu viel Stoff, oft zu weltfremd: Kultlehrer Bob Blume fordert einen radikalen Schnitt an Schulen und sagt, wie Lernen wieder Spaß machen kann.
„Schulsystem ist doch bescheuert“Deutschlands populärster Lehrer sagt, wie Bildung besser wird
In den meisten Klassen läuft der Unterricht noch wie anno dazumal ab: Vor der Klasse steht der Lehrer, rezitiert, lamentiert, doziert. Doch heute grinsen die Kids sich insgeheim eins: Die Hausaufgabe, nehmen wir mal eine Gedichtinterpretation, schreibt zu Hause eh die KI. Bringt's das noch? „Nein“, sagt Deutschlands populärster Lehrer Bob Blume (41). „Das deutsche Schulsystem ist doch bescheuert. Wir müssen den Spieß umdrehen.“
Zum Start des neuen Schuljahrs erschien sein Buch mit dem provokanten Titel „Warum noch lernen?“. Wie Schule in Zeiten von KI, Krisen und sozialer Ungerechtigkeit aussehen muss? Total anders. Er nennt im Gespräch mit EXPRESS.de die wichtigsten Eckpfeiler.
Lehrplan entstauben und KI nicht verteufeln
Künstliche Intelligenz ist kein Dämon: „Mit KI kann man eigenes Lernen vertiefen oder verhindern“, sagt Blume. „Deshalb muss die Schule wieder der Ort sein, wo das Lernen stattfindet, nicht das Kinderzimmer. Ich kann nicht überprüfen, ob die KI die Hausaufgabe gemacht hat.“ Die Analyse müsse deshalb in der Klasse geschrieben werden, als Hausaufgabe müssten die Schülerinnen und Schüler sich mit Vorgaben des Lehrers oder KI vorab darauf vorbereiten. Er sähe seine Rolle vielmehr als Mentor im Unterricht, um gezielt während des Schreibens auf Fragen Einzelner eingehen zu können.
Lernen muss sinnstiftend sein und aufs wahre Leben vorbereiten: Schon verrückt. Selbst das konservative Bayern hat Goethes „Faust“ seit diesem Schuljahr nicht mehr als Pflichtprogramm im Lehrplan. „Nichts gegen die Klassiker“, sagt Blume, dessen Theater-AG sich freiwillig mit dem zweiten Shakespeare-Stück in Folge beschäftigt. Aber Fakt ist: „Der Lehrplan muss entstaubt werden.“
Sogar ein Matheprofessor habe ihm gesagt, dass er es für völlig sinnlos halte, dass jeder sich in seiner Schulzeit mit der Kurvendiskussion beschäftigen müsse. Blume, selbst Deutschlehrer, würde bei der Grammatik den Rotstift ansetzen. „Klar, ist die wichtig, aber muss ich wirklich wissen, was ein Präpositionalobjekt ist?“ Die Zeit würde er lieber nutzen, um den Nachwuchs fürs Lesen und Schreiben zu begeistern.
Digitale Hilfe bei Arbeiten: Macht es in der heutigen Zeit wirklich noch Sinn, in einer Klassenarbeit stur Jahreszahlen abzufragen? Blume hätte nichts dagegen, wenn während der Arbeit das Internet genutzt werden könne. Es sei nämlich weitaus anspruchsvoller, Quellen sinnvoll in den Text und in eine Argumentation einzubinden. Mediale Unterstützung sei natürlich nur gut, wenn die Grundlagen Lesen, Schreiben und Rechnen beherrscht würden. Was in Deutschland leider nicht selbstverständlich ist. „Wie in anderen, vor allem in nordischen Ländern, sollte auch bei uns die frühkindliche Bildung einen viel höheren Stellenwert bekommen“, fordert er.
Die Erzieher- und Grundschullehrer-Berufe müssten ein besseres Ansehen bekommen – und auch besser bezahlt werden. Mit vorschulischer Nachhilfe sollten Kinder mit Migrationshintergrund oder aus armen, bildungsfernen Familien früh ins Boot geholt werden. „Wir brauchen später jeden bei dem Fachkräftemangel. Da bringt es nichts, auszugrenzen oder Sonderklassen zu bilden.“
Heikles Thema: Noten! Natürlich sei es utopisch, sich ganz von Noten zu verabschieden, weiß der Oberstudienrat. Er gibt aber auch zu bedenken, dass Noten überbewertet werden. Viel wichtiger als die Frage „Welche Note hast du?“ sei die Frage (die auch Eltern besser stellen sollten): „Was hast du dazugelernt?“ Außerdem sei die Notengebung von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, deshalb findet Blume Eingangsprüfungen an Unis entschieden relevanter als den Notenschnitt.
Bob Blumes Fazit: Weniger Stoff, dafür mehr Tiefgang
Vier Klassenarbeiten pro Halbjahr? Statt einer Klassenarbeit habe er mal eine Projektarbeit angeboten, um ein Werk abschließend zu analysieren. „Da gab es unterschiedliche Ansätze. Die einen führten im Podcast ein fiktives Gespräch mit dem Protagonisten des Buches, andere ließen ihn durch eine virtuelle Welt laufen. Es war toll. Und wenn man als Lehrer merkt, dass die Schülerinnen und Schüler beim Lernen Lust und Spaß empfinden, dann bleibt das Wissen auch haften.“
Lehrer digital fit machen: Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn alle KI und Co. kennen würden, sagt er. „Aber für Fortbildung muss das Lehrpersonal auch Zeit bekommen.“ Die Realität sähe leider immer noch so aus: „Da sind vier Klassen, die mit 120 iPads einen WLAN-Anschluss brauchen. Aber dafür gibt es dann leider nicht wie in Firmen System-Administratoren, sondern darum müsse sich ein computeraffiner Lehrer nebenbei kümmern.“
Blumes Fazit: Weniger Stoff, dafür mehr in die Tiefe gehen; Lehrkräfte, die ihre Schüler individuell begleiten, Klassenverband bis zur 9. Klasse, danach extremere Förderung der einzelnen Neigungen – das hätte seiner Meinung nach Zukunft.