Wladimir Putin hatte mit einem leichten Sieg über die Ukraine gerechnet. Jetzt gleiten ihm die Dinge aus der Hand. Doch in die Ecke gedrängt, könnte er auch noch gefährlicher werden.
Kommentar zum Ukraine-KriegPutin gleiten die Dinge aus der Hand – wie gefährlich wird der Despot jetzt?
Militärisch ist Russland der Ukraine deutlich überlegen. Doch die Kosten dieses Krieges steigen mit jedem Tag. Warum sich Wladimir Putins Angriff auf den Nachbarn als kolossaler Fehler erweisen könnte, erläutert unser Autor in seinem Kommentar.
Es sind die Details, die auf Bildern oft Bände sprechen. Wenn sich Wladimir Putin (69) mit seinen Botschaften an das russische Volk oder an die Ukraine wendet, sieht man im Hintergrund noch zwei Tastentelefone wie aus den längst vergangenen Zeiten des Kalten Krieges. Aus einer Zeit, in die das Denken des russischen Präsidenten hingehört.
Dieses Denken ist auch der Grund, warum sich der russische Bär im Konflikt mit der Ukraine kolossal verrechnet haben könnte. Denn Wladimir Putin und seine Macht-Clique verlieren mehr und mehr die Kontrolle über diesen Krieg, der längst nicht mehr nur auf dem Schlachtfeld stattfindet. Im Internet, in den sozialen Medien, da hat die Ukraine, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft, die um Demokratie und Freiheit kämpft, auf vielen Ebenen die Oberhand in diesem Konflikt gewonnen.
Wladimir Putin mit kolossaler Fehleinschätzung
Putin, als Technikfeind bekannt, dürfte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi (44) kolossal unterschätzt haben. Sollte er den früheren Komiker für ein Leichtgewicht gehalten haben, der bei einem russischen Angriff die Flucht ergreift und den er durch ein Marionettenregime ersetzen kann, erwies sich das als fataler Irrtum.
Selenskyi hält nicht nur in Kiew stand, er trifft auch in den sozialen Medien die richtigen Worte, erhöht die Moral der ukrainischen Verteidiger und trifft mit gefühlvollen Worten auch den richtigen Ton in der Ansprache an die russischen Nachbarn. Er spannt ein Netz aus Unterstützern aus aller Welt und isoliert Putin diplomatisch.
Elon Musk und Anonymous als Putins Gegner
Abschalten kann Putin ihn nicht, denn Elon Musk stellte der Ukraine sein Starlink-Satellitensystem zur Verfügung. Der russische Oberbefehlshaber dagegen muss sich eines unsichtbaren Gegners erwehren. Seit Tagen attackiert das Hacker-Netzwerk „Anonymous“ die Internetseiten seiner wichtigsten Behörden. Am Samstag, 26. Februar 2022, gelang es ihnen sogar, das russische Staatsfernsehen zu hacken und Bilder des Krieges in die Wohnzimmer der Russen zu senden, von denen ohnehin kaum einer einen Krieg mit den Nachbarn will.
Wenn Putin gehofft hatte, ähnlich wie im vergangenen Jahr die Taliban in Kabul ohne Gegenwehr nach Kiew einzumarschieren, hat er sich getäuscht. Die Ukrainer gehen nicht nach Hause, sie haben etwas, für das sie kämpfen können. Eine Demokratie, ein Land, eine Heimat. Die russischen Soldaten dagegen dürften bald begreifen, dass sie nur für Putin und eine Clique von Oligarchen kämpfen. Und für die steigen die Kosten des Krieges immer weiter, Schätzungen sagen zwischen 5 Milliarden und 20 Milliarden Euro kostet Russland jeder Kriegstag.
Putins Kriegstaktik alt wie seine Telefone
Die versprochene schnelle Polizeiaktion zur „Demilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine, wie Putin es realitätsfremd ausdrückte, ist gescheitert. Seine Kriegstaktik ist so alt wie die Telefone auf seinem Schreibtisch.
Putins Optionen schwinden, auch weil Selenskyi ihm im Kampf der Worte haushoch überlegen ist. Selbst wenn er ihn tötet, würde er ihn nur zum Märtyrer machen. Weil aus seiner Clique ihm längst keiner mehr die Wahrheit sagt: Vielleicht hat ja jemand die Festnetznummer und sagt es dem russischen Präsidenten, damit dieser Wahnsinn aufhört. Und nicht in die Ecke gedrängt noch die ganze Welt in den Abgrund reißt. Die russischen Atomstreitkräfte sollen schon in Alarmbereitschaft sein.