Wird die Türkei jetzt eine Diktatur?U-Haft für Erdogan-Kontrahent angeordnet – heftige Proteste

Während einer Demonstration gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu in Istanbul explodieren von Demonstranten geworfene Feuerwerkskörper über der Bereitschaftspolizei.

Während einer Demonstration gegen die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Imamoglu in Istanbul explodieren von Demonstranten geworfene Feuerwerkskörper über der Bereitschaftspolizei. 

Gegen den beliebten Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu wird wegen Terror- und Korruptionsverdacht ermittelt. Bereits seine Festnahme löste landesweite Proteste aus.

Der Istanbuler Bürgermeister und wichtige Kontrahent von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Ekrem Imamoglu, muss in Untersuchungshaft.

Das ordnete ein türkisches Gericht an, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.

Bei den Protesten in der Türkei entlädt sich lang angestauter Frust

Imamoglu war am Mittwoch gemeinsam mit Dutzenden weiteren Menschen festgenommen worden, wenige Tage vor seiner geplanten Nominierung als Präsidentschaftskandidat der größten Oppositionspartei CHP. Imamoglu werden Terror- und Korruptionsvorwürfe in zwei Verfahren gemacht.

Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgte zunächst in Verbindung mit den Korruptionsermittlungen. In beiden Verfahren wird gegen 106 Personen ermittelt. Auch gegen Imamoglus Berater und viele andere wurde Untersuchungshaft angeordnet. Imamoglu weist alle Vorwürfe zurück.

Oppositionelle wie auch Beobachter werfen der Regierung vor, mit ihrem Vorgehen gegen Imamoglu einen politischen Konkurrenten ausschalten zu wollen. Seine Festnahme hat trotz Demonstrationsverboten für großen Protest im Land gesorgt, der bereits mehrere Tage andauert.

Die CHP sprach von 300.000 Teilnehmern allein in Istanbul am Freitag. Überprüfen ließ sich die Zahl nicht.

„Es gibt große Wut“, sagt der Abgeordnete Yüksel Taskin von der CHP. „Die Menschen gehen spontan auf die Straße. Manche junge Menschen engagieren sich zum ersten Mal in ihrem Leben politisch.“ Die derzeitigen Demonstrationen von hunderttausenden Menschen sind die größten seit den regierungskritischen Gezi-Protesten des Jahres 2013.

„Das Gefühl, gefangen zu sein - wirtschaftlich, sozial, politisch und selbst kulturell - war schon weit verbreitet“, sagt der Journalist und Buchautor Kemal Can. Die Festnahme von Imamoglu, dem wichtigsten politischen Rivalen von Erdogan, sei nun der Funke gewesen.

Es sei zu einer starken Reaktion gekommen, „insbesondere bei jungen Menschen, die sich über ihre Zukunft in einem Land Sorgen machen, in dem Freiheiten immer mehr eingeschränkt werden“, sagt Can.

Manche sehen die Türkei auf dem Weg in eine „Diktatur“

„Diejenigen, die uns regieren, verletzen unsere Rechte“, sagt der Medizinstudent Ara Yildirim in Istanbul. Er hofft, dass die Proteste nicht nachlassen. „Wir werden noch in 20, 30 oder 40 Jahren in der Türkei leben, wir müssen dieses Land nach oben ziehen.“

Die 26-jährige Verkäuferin Sevval, die an den Protesten teilnimmt und ihren Nachnamen nicht nennen will, sieht die Türkei auf dem Weg in eine „Diktatur“. „Wir wollen mehr Rechte, wir wollen in Freiheit und Wohlstand leben.“

Der 25-jährige Koray wiederum will die Türkei verlassen, zuvor aber noch helfen, „die Dinge zu verbessern“. Als Homosexueller seien ihm die Freiheitsrechte besonders wichtig, „aber der Hauptgrund, warum junge Menschen auf der Straße sind, ist die Wirtschaft“, sagte er mit Blick auf die Wirtschaftskrise und die hohe Inflation in dem Land. (dpa/afp/mg)