Annett LouisanHarter Einstieg ins Musikgeschäft: „Gab viele, die wollten nur mein Geld“

Sängerin Annett Louisan lächelt am Rande eines Interviews am 21.08.2020.

Annett Louisan: Sängerin, Mutter – und vor allem eine Frau, die genau weiß, was sie will. Das Foto zeigt die Sängerin im August 2020.

Sängerin Annett Louisan ist auf Tour mit ihrem Album „Babyblue“, kommt am 16. November 2023 nach Köln. Mit EXPRESS.de hat sie über die Mitte des Lebens, ihre Tochter und rheinischen Frohsinn gesprochen.

von Horst Stellmacher  (sm)

Annett Louisan (46), die Frau mit der gnadenlos auffallenden Stimme und den Texten über das Leben an sich. Vor 20 Jahren stieg sie ein mit dem Riesenhit „Das Spiel“, in dem sich „spielen“ als etwas sehr Intimes entpuppte.

Jetzt singt sie über Frauen in den mittleren Jahren, die fabelhafte Welt der Amnesie und Sexarbeiterinnen, die die Welt nicht mehr verstehen. „Babyblue“ heißt das neue Album und so heißt auch ihre Tour, auf der sie am 16. November 2023 im Kölner Palladium Station macht. EXPRESS.de traf sich mit ihr zum Gespräch.

Annett Louisan: „Mangelnde Aufmerksamkeits-Spanne ist ein großes Problem“

Ihre Tour heißt „Babyblue“, so wie Ihr aktuelles Album. Gibt es diese Lady, der Sie damit auf Ihre Weise ein besonderes Denkmal setzen, wirklich?

Annett Louisan: Der Song ist natürlich nicht das wahre Leben, könnte es aber sein. In ihm geht es um eine in die Jahre gekommene Sexarbeiterin, die mit der neuen Zeit nicht klarkommt, weil sich für sie alles verändert hat.

Woher kennen Sie sich da so gut aus?

Annett Louisan: Als Hamburgerin kenne ich natürlich St. Pauli und weiß, dass sich da seit Corona vieles geändert hat, allein schon, weil seitdem vieles online geworden ist. Da geht's „Babyblue“ wie vielen anderen älteren Sexarbeiterinnen: Sie kommen nicht mehr hinterher, müssen sich von ihrer alten Welt verabschieden, einer Welt, an die sie sich gewöhnt und die sie manchmal sogar liebgewonnen haben. Dieses neue Abgehängtsein löst Schmerz und Melancholie aus.

Sie legen in Ihren Liedern sehr viel Wert auf schöne, nachhaltige Texte. Glauben Sie eigentlich, dass man Ihnen da heute noch genau zuhört?

Annett Louisan: Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass die meisten Leute sich inzwischen auf die Playlists eingestellt haben, und viele von ihnen kaum noch die Künstler kennen, die die Lieder singen, die sie hören. Diese mangelnde Aufmerksamkeits-Spanne ist heutzutage ein großes Problem.

Ein besonderer Song auf Ihrem neuen Album ist „Die mittleren Jahre“. Geht's da um Sie persönlich?

Annett Louisan: Es ist auf jeden Fall die Zeit, in der ich mich befinde. Und die ich nicht anders als die meisten Frauen meines Alters erlebe.

Was heißt das für Sie?

Annett Louisan: Es sind nicht die einfachsten Jahre des Lebens, man braucht viel Gelassenheit, um sie zu bestehen. Ich spüre Trennungsschmerzen. Meine Gedanken und mein Körper verändern sich. Ich muss mich von Dingen verabschieden, die ich mal gern hatte, und die jetzt aber nicht mehr gehen. Mir wird klar, dass meine zweite Lebenshälfte begonnen hat.

Die Sänger Sascha Vollmer (r) und Alec Völken von der Band «The Bosshoss» sowie die Sängerin Annett Louisan am 16.02.2016 in Berlin.

Cheese! Annett Louisan trat mit Alec Völkel (li.) und Sascha Vollmer von BossHoss bei „Sing meinen Song“ (2016) auf.

Möchten Sie noch mal 20 sein?

Annett Louisan: Ich denke gern zurück an meine 20er – aber ich möchte nicht mehr so jung sein. Ich möchte nicht dahin, wo ich mal war, sondern viel lieber dahin, wo alles neu für mich ist. Deshalb freue ich mich auf meine Zukunft. Ich bin gespannt drauf zu sehen und zu erleben, wie ich als ältere Dame sein werde und was noch alles so kommt.

Sie starteten Ihre Karriere vor rund 20 Jahren mit dem Album „Bohème“ und der Single „Das Spiel“, deren etwas zweideutige Textzeile „Ich will doch nur spielen“ immer noch gern zitiert wird. Was war damals im Musikgeschäft anders als heute?

Annett Louisan: Da ist vieles passiert. Es war mein großer Traum, Musik zu machen, und es gab viele Leute, die das ausnutzen wollten und mir sagten: „Gib mir dein Geld, ich kann damit sehr Gutes für dich anstellen!“

Annett Louisan übers Patriarchat im Musik-Business

Das hat sich geändert?

Annett Louisan: Ja, ganz und gar. Heute ist mir wichtig, dass alles, was ich mache, wirklich von mir ist. Ich bin nicht auf die Welt gekommen, um die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen. Ich muss mir selbst gefallen, muss auch mal unbequem sein. Nur so schaffe ich es, mich auf der Bühne frei und unabhängig zu fühlen. Nur so bleib' ich ganz nah an mir dran.

Was ist geblieben?

Annett Louisan: Das Patriarchat. Und nicht nur im Musikgeschäft, es ist immer noch allgegenwärtig. Das ist noch längst nicht fertig.

Können Sie sich vorstellen, noch weitere 20 Jahre im Musikgeschäft mitzumachen?

Annett Louisan: Das weiß ich noch nicht. Wenn ich krank werde und für die Bühne nicht mehr fit bin, muss ich ja abtreten. Ansonsten mache ich natürlich weiter – wenn ich gesund bleibe, gibt es für mich keinen Grund, aufzuhören.

Sie sind Mutter der sechsjährigen Emmylou. Tochter, Familie, Tournee – kriegen Sie das alles gut unter einen Hut?

Annett Louisan: Das passt sehr gut. Ich bin froh, dass ich unabhängig bin und darüber, dass ich nicht so ein riesengroßes schlechtes Gewissen habe, das mir manche Leute einreden wollen. Ich liebe meinen Beruf und freue mich, dass ich meiner Tochter vorleben kann, dass man auch als Mutter eine Passion haben darf.

Welchen Einfluss hat die kleine Emmylou auf Ihr Leben?

Annett Louisan: Durch Emmylou hat sich vieles komplett geändert. Es ist nur gut, dass ich vorher schon eine Menge erlebt habe (lacht). Emmylou hat mein Leben entschleunigt, sie gibt mir viel Energie. Sie ist ein Spiegel für mich und wirklich die Einzige, die mir Grenzen aufzeigen kann. Und sie sorgt dafür, dass ich die kleinen Dinge des Lebens wieder neu sehe.

Haben Sie ihr die Freude am Singen vererben können?

Annett Louisan: Emmylou singt zwar wahnsinnig gern, aber ich habe das Gefühl, dass sie noch mehr Spaß am Schauspielern hat, sie ist gern ein Clown. Mal sehen, was bleibt.

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Was wünschen Sie Emmylou für ihr Leben?

Annett Louisan: Meine Tochter ist ganz bestimmt nicht auf die Welt gekommen, um meine Wünsche zu erfüllen. Ich möchte und werde sie zwar schützen und fördern, aber ihre Wünsche muss sie selbst herausfinden. Wichtig ist nur, dass sie eines Tages in der Lage ist, sich selbst um sich zu kümmern und nicht meine, sondern ihre eigenen Bedürfnisse befriedigt.

Haben Sie eigentlich Beziehungen ins Rheinland?

Annett Louisan: Ja, klar, die habe ich. Ich habe sehr häufig in Köln gespielt, es waren wunderbare Konzerte, da ist immer was hängen geblieben. Außerdem habe ich eine ganz besondere kölsche Freundin, eine echte Frohnatur, mit der ich wunderbar feiern und lachen kann. Sie ist mittlerweile nach Hamburg gezogen, so habe ich immer rheinisches Lebensgefühl an der Elbe. Und ich habe von den Höhnern den Kölsch-Pass verliehen bekommen – er ist eine sehr schöne Erinnerung an sehr schöne Stunden in Köln.

Sängerin Annett Louisan und ihr Mann Marcus Brosch kommen zur Verleihung des 7. Deutschen Musikautorenpreises am 21.05.2015 in Berlin.

Annett Louisan und ihr Mann Marcus Brosch bei einem Event 2015.

Annett Louisan: Von der Malerei zur Musik

Annett Louisan (geb. 2. April 1977 in Havelberg als Annett Päge), kam 1989 nach Hamburg, studierte Malerei, finanzierte ihr Studium als Studiosängerin. Wurde vor mehr als 20 Jahren vom Produzenten Frank Ramond entdeckt. 2004: Debütalbum „Bohème“, nach neun Wochen Platin-Status. November 2004: Single „Das Spiel (Ich will doch nur spielen)“.

Von 2010 bis 2016 synchronisierte sie die belgische Schauspielerin Marie Gillain (48) für die TV-Serie „Der kleine Prinz“. Ihre erste Ehe mit dem türkischstämmigen Songtexter Gazi Isikatli wurde 2008 geschieden. Seit 2014 ist sie mit ihrem Produzenten Marcus Brosch verheiratet. Das Paar hat eine gemeinsame Tochter (geb. 2017) und lebt in Hamburg.