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Dreckschwein-Fest & DirndldrahnStar-Autor mischt bei verrückten Bräuchen mit

Schmutzig, trinkfest, sportlich: Diese Bräuche faszinieren den russischen Bestsellerautor Wladimir Kaminer im deutschsprachigen Raum

von Andrea Kahlmeier  (ak)

Klar, Schützenfeste kennt man hierzulande, aber wer hat schon etwas vom Dreckschweinfest gehört? Vom Dirndldrahn in Bayern, der Hornussenmeisterschaft in der Schweiz oder den Königstagen in Österreich? „Viele meinen, dass man sich nur zu Karneval verkleidet, aber das stimmt gar nicht. Eigentlich ist im deutschsprachigen Raum das ganze Jahr über Karneval“, schmunzelt Bestsellerautor Wladimir Kaminer (59).

Der Exilrusse, der seit Jahrzehnten deutsche Eigenartigkeiten aufs Korn nimmt, hat für 3sat ein Jahr lang die Bräuche in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht („Kaminer Inside: alle drei Folgen am Samstag, 7. Dezember) – und sich dabei keineswegs nur lustig gemacht über die kuriosen Gepflogenheiten.

Wladimir Kaminer: Wer Spaß hat, der fühlt sich lebendig

Nein, Wladimir Kaminer, der die Schein-Wahl in Russland im Frühjahr einem „Besuch beim Urologen“ gleichsetzte, findet Gamsbart und Walzieren nicht spießig. Im Gegenteil, denn der er weiß selbst zu gut, wie wunderschön es ist, „wenn Menschen zusammenkommen, um gemeinsam Spaß zu haben, sich lebendig zu fühlen. In Russland leben die Menschen nur in Angst, was noch erlaubt ist, und feiern ihre Bräuche nicht mehr.“ Bei manchen Riten konnte der Entertainer sich das Lachen natürlich nicht verkneifen. Bei EXPRESS.de schildert er seine verrücktesten Erlebnisse:

  1. Die schmutzigsten Bräuche: Beim Dreckschweinfest im kleinen Örtchen Hergisdorf im Südharz (jedes Jahr an Pfingsten) wird mit lautem Peitschenknall erst der Winter vertrieben und dann werden die Neulinge durch ihre Taufe in einer matschigen Pfütze in eine Burschenschaft aufgenommen. „Das war schon schräg, aber nichts gegen die Wahl des Kürbisbürgermeisters in Preding in der Steiermark. Ich war Juror“, schmunzelt er. Seine Aufgabe: Früher saßen Vertreter der verschiedenen Zünfte um einen Tisch, auf dem eine Schale mit Grießbrei stand. Da hinein fiel dann von oben ein Kürbis. Wer den meisten Brei abbekam, war Kürbisbürgermeister. Jetzt durfte Kaminer die Flecken auf dem Anzug zählen. Und er kürte, aber hallo, eine Frau zur Bürgermeisterin. Daran sollten Kölner Karnevalisten sich mal ein Beispiel nehmen!
Auch so sieht Brauchtum in Deutschland aus: nass und schlammig. Das Dreckschweinfest im Südharz.

„Männer sind Schweine“, singen die Prinzen. In Hergisdorf stimmt das auf jeden Fall, erlebte Wladimir Kaminer.

  1. Der trinkfreudigste Brauch: „Getrunken wird eigentlich immer“, erlebte er. „Bei der Walpurgisnacht gehts mit Schnaps los, in Bayern mit Bier, auf dem Schützenfest in Neuss wird alles durcheinandergetrunken.“ Der Exil-Russe kam aus dem Staunen gar nicht heraus: „Da ziehen 400 Bläser in einer Minute an dir vorbei. Ich wusste gar nicht, dass Deutschland so viele Blaskapellen hat. Und dann die Schützen, alle verkleidet und gut am Glas. Den ganzen Tag. Dagegen ist Karneval ein Kinderspiel.“
  2. Der sportlichste Brauch: Man würde es vielleicht nicht vermuten, aber darunter falle laut Kaminer ganz eindeutig das „Dirndldrahn“. Beim Vereine-Preisplattln (2025 übrigens wieder beim GTEV Prien am Chiemsee) erlebte er bayerisches Brauchtum pur. „Die Frauen im Dirndl drehen sich und drehen sich und drehen sich, stundenlang“, so kam es ihm vor. Das würden sie schon als Kinder lernen, wie die Männer das Schuhplattlen. „Das ist so eine Art Verkupplungszeremonie, die sich über die Jahre zu einer wahren Kunst verwandelt hat.“ Das müsse man hart trainieren. Kaminer selbst wollte sich nicht die Haxen brechen. Aber er durfte zumindest eine Lederhose tragen. „Jetzt weiß ich, warum in Bayern alle Sepp heißen. Die Dinger kosten ein Vermögen und werden samt Initial von Generation zu Generation weitervererbt.“

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  1. Die gruseligsten Traditionen: In vielen Landstrichen gibt es schaurige Masken, etwa in Schierke im Harz, wenn Tausende von Teufeln und „auf Besen fliegende Personen, denn Hexen sagt man nicht mehr“ am 30. April die Walpurgisnacht feiern. Auch bei den „Haller Salzteufeln aus dem Gangerlgraben“ werden die traditionellen Masken für einen Krampus, der Anfang Dezember die bösen Kinder bestraft, noch mit Hand geschnitzt. „Die erinnerten mich schwer an Väterchen Frost, vor dem ich mich schon als Kind gefürchtet hatte.“
  2. Die tierischsten Bräuche: Warum sollte man sich in Spanien den Stierkampf anschauen, wenn in Aproz im Kanton Wallis die Kühe um die Krone kämpfen, allerdings ohne Verletzungen? „Es wird die Königin der Königinnen ermittelt – Königinnen im demokratischsten Land der Welt“, staunte der „Brauchtumsforscher“. „Man glaubt gar nicht, wie gezielt die Kühe kämpfen können.“ Tierquälerei? Nö. Während des Sommers ermitteln die Kühe nun mal immer unter sich die Leitkuh, also die Alpkönigin, die die Herde anführt.
Wladimir Kaminer mit Zylinder und Gehstock, bei den Kaisertagen.

Kaiserlich fühlte Wladimir Kaminer sich in Bad Ischl.

  1. Der „fortgeschrittenste“ Brauch: Auf den Kaisertagen in Bad Ischl schlüpft der Nostalgieverein in ein bürgerliches Outfit der Jahrhundertwende und sinniert im Kaffeehaus über die Kaiserzeit. Also sehr antiquiert und monarchisch eigentlich. Kaminer haute es vor Ort regelrecht aus den Gamaschen. „Da gibt es Kaiser Franz dann tatsächlich als KI-Hologramm. Ich habe mich gut mit dem Kaiser unterhalten und ihn gefragt, ob seine Kriegserklärung gegen Serbien vielleicht der Beginn aller Kriege gewesen sei.“ (Tipp für Bad Ischl-Urlauber: Die Veranstaltung findet wieder vom 12. bis 18. August 2025 statt).
  2. Der niedlichste Brauch: Wer noch nichts vorhat im Advent, sollte sich Kaminers Meinung nach den sächsischen Weihnachtsmarkt in Annaberg-Buchholz nicht entgehen lassen (noch bis 23.12.) „Da laufen ganz viele Menschen verkleidet wie Wichtel herum und überraschen vor allem die Kinder. Und man kann die traditionellen Räuchermännchen aus der Region kaufen.“ Was es aber mit den „komischen neun Gerichten auf einem Teller“ auf sich habe, habe sich ihm als Imi nicht wirklich erschlossen.

Und welches Volk überraschte ihn am meisten? Da muss er nicht lange nachdenken? „Die Schweizer. Ich dachte eigentlich, dass ich sie aufgrund meiner vielen Lesereisen in das Land sehr gut kennen würde, aber ich hätte nie gedacht, dass das ein total verrücktes Spieler-Völkchen ist. Jassen, ein Kartenspiel, ist dort Volkssport Nummer eins. Jeden Donnerstag jassen sogar Menschen im TV und holen damit eine Quote von 80 Prozent. Und die Menschen treffen sich gleichzeitig zu Hause und essen und trinken und jassen selbst mit. Unglaublich.“

Wladimir Kaminer beim Hornussen.

„Hornussen“ ist ein Sport in der Schweiz – Kaminer hat's natürlich ausprobiert.

Doch auch von der Sportart Hornussen, die hauptsächlich im Kanton Bern betrieben wird und von Nichtsahnenden schon mal als „Bauerngolf“ verunglimpft wird, hatte er noch nie vorher gehört. Ziel ist es, eine Kunststoffscheibe so weit wie möglich zu schlagen, bevor sie vom Gegner mit einer flachen Abfangschaufel gestoppt wird.

Wladimir Kaminer jedenfalls war begeistert, was einem direkt vor der Haustür geboten wird: „Ich möchte einfach zeigen, dass man nicht bis ans andere Ende der Welt fliegen muss. Nicht nur bei den Maori in Neuseeland, auch bei uns gibt es spannende Bräuche, die man sehr gut in seinen Urlaub einbauen kann.“