ESC 2023Legende Peter Urban tritt ab und gesteht: „Ich hab' fast immer falsch gelegen“

ESC-Kommentator Peter Urban, Journalist und Radio-Kommentator, lächelt bei einem Fototermin am 20. März 2023 in Hamburg in die Kamera.

Entspannt im Hier und Jetzt: Peter Urban wird am 13. Mai zum letzten Mal den ESC kommentieren – er hört nach 25 Jahren auf. Das foto wurde im März 2023 aufgenommen.

Eine Ära geht zu Ende: Am 13. Mai 2023 wird Peter Urban (75) zum letzten Mal den Eurovision Song Contest (ESC) kommentieren. Vorher gibt's aber noch ein ausführliches Interview mit EXPRESS.de.

von Christof Ernst  (che)

Peter Urban (75) gehört zum ESC wie der Dom zu Köln oder die Kö zu Düsseldorf – noch! Denn am 13. Mai 2023 wird Urban zum letzten Mal den Eurovision Song Contest – diemsal aus Liverpool – kommentieren. Dann ist nach 25 Jahren Schluss.

Was er dabei empfindet und was er nach fünf Jahrzehnten Musik-Journalismus über Stars und Sternchen denkt, darüber haben wir mit ihm gesprochen.

Peter Urban vor seinem letzten ESC: Werde erschöpft und sentimental sein

Herr Urban, was passiert, wenn am 13. Mai das Rotlicht ausgeht und Sie zum letzten Mal den ESC kommentiert haben?

Peter Urban: Erst einmal werde ich durchatmen, nach dreieinhalb Stunden Finale ist man relativ erschöpft. Außerdem werde ich ein bisschen sentimental sein, denn ich habe immerhin ein Drittel meines Lebens damit verbracht, einmal im Jahr den Song Contest zu kommentieren. Ich werde dann mit dem Team auf eine hoffentlich gute Platzierung des deutschen Beitrags anstoßen.

Wo wird die deutsche Band Lord Of The Lost landen?

Peter Urban: Schwierige Frage. Vorhersagen waren bei mir fast immer falsch und oft zu optimistisch. Dieses Jahr haben wir immerhin den Bonus, dass wir etwas Ungewöhnliches an den Start bringen und keine normale Mainstream-Nummer, die im Angebot untergeht. Man muss auffallen, etwas Besonderes bieten, um überhaupt in die Top-Ten der Wertungen zu kommen. Außerdem habe ich mir die anderen Rock-Nummern angehört. Da ist die Konkurrenz nicht ganz so groß.

Als Lena 2010 in Oslo gewann, war fast die ganze Nation ein bisschen verliebt in sie. Ging es Ihnen genauso?

Peter Urban: Verliebt nicht gerade, aber ich war von ihrem Charme, ihrer Ausstrahlung und ihrer Lockerheit beeindruckt. Das Lied selbst war gar nicht so wichtig, Lena hätte auch mit einem anderen Song gewonnen, obwohl ich vorher nicht geglaubt hatte, dass ich je eine deutsche Siegerin würde präsentieren können.

Welcher ESC wird Ihnen in Erinnerung bleiben?

Peter Urban: Es gab einige. Zum Beispiel der 1998 in Birmingham mit Guildo Horn. Das war ein großer Hype, wie man heute sagen würde. Dieser zottelige, seltsame Typ sorgte auch in England für Aufmerksamkeit. Die Briten fanden das richtig toll, dann hieß seine Begleitband auch noch Die Orthopädischen Strümpfe. Das wirkte wie aus einem Monty-Python-Sketch, und so ähnlich sah Guildo Horn auch aus. Außergewöhnlich war auch der Song Contest 2004 in Istanbul mit Max Mutzke und „Can’t Wait Until Tonight“ als deutschem Beitrag. Mutzke war und ist ein exzellenter Sänger.

Haben Sie eine Erklärung dafür, dass der ESC eine fast magische Anziehungskraft auf die Gay-Community hat?

Peter Urban: Ich habe mir darüber auch meine Gedanken gemacht, bin aber noch zu keinem überzeugenden Ergebnis gekommen. Meine Theorie: Früher war Homosexualität nicht nur diskriminiert, sondern in einigen Ländern sogar noch strafbar. Da war der Song Contest eine Möglichkeit, eine Woche lang zusammen zu sein und sich zu treffen. Vermutlich tragen auch die glamourösen Auftritte und die schönen Melodien zur Attraktivität dieses Wettbewerbs bei.

Nach dem 13. Mai geht’s dann ab in den Ruhestand?

Peter Urban: Nein, ich höre nur mit dem ESC auf. Ich mache weiterhin im NDR meine wöchentliche Radiosendung und den Podcast „Urban Pop“, den es in der ARD-Audiothek zu hören gibt. Der ist immer auf den ersten Plätzen der deutschsprachigen Musik-Podcasts. Das macht mich stolz, denn die Konkurrenz ist stark.

ESC-Urgestein Peter Urban: Ganz nah dran an den ganz Großen

Seit bald 50 Jahren arbeiten Sie als Musikjournalist und haben einiges erlebt, wie Sie in Ihrer Autobiografie „On Air – Erinnerungen an mein Leben“ schreiben. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Peter Urban: Sicherlich Harry Belafonte. Der ist nicht nur künstlerisch ein ganz Großer, sondern auch menschlich. Es reicht gar nicht aus, ihn als freundlich zu bezeichnen. Er ist emotional, absolut herzlich und weit über den Horizont seiner Musik hinaus engagiert und informiert. Ich habe zwei, drei längere Treffen mit ihm gehabt – und das war jedes Mal fantastisch. Ein weiteres Highlight war, Bruce Springsteen in seiner Garderobe zu besuchen oder mit Keith Richards über eine Stunde gemütlich über seine Freund- und Feindschaft zu Mick Jagger zu plaudern.

Gab es auch weniger zugängliche Künstler?

Peter Urban: Einer war sicher David Bowie. Der war sehr professionell, aber man kam bei ihm nie richtig unter die Schale. Ganz anders Yoko Ono, der ja der Ruf vorauseilte, schroff und zickig zu sein. Davon war bei meinem Interview mit ihr überhaupt nichts zu spüren. Sie war herzlich und immer noch betroffen vom Tod von John Lennon, der anderthalb Jahre zuvor erschossen worden war. Das war schon sehr bewegend.

Peter Urban und Anke Engelke 2013.

Die Moderatoren Peter Urban und Anke Engelke 2013 bei der Pressekonferenz für den deutschen Vorentscheid zu „Eurovision Song Contest 2013 - Unser Song für Malmö“.

Sex, Drugs & Rock’n Roll: Die Musikbranche ist nicht ohne Gefahren. Wie haben Sie das miterlebt?

Peter Urban: Jamaikanische Bands wie „Bob Marley and The Wailers“ haben fast immer was geraucht. Bei anderen Bands gehörten auch Kokain, Heroin oder LSD zum Lebensstil. Wobei Alkohol immer noch die Hauptdroge war. Aber seriöse Musiker haben meist irgendwann verstanden, dass das eher die Musik schlechter macht. 1989 erklärte mir Eric Clapton ganz stolz, dass er schon drei Jahre trocken sei. Er war nach seiner Heroin-Abhängigkeit Alkoholiker geworden. Auch Elton John erzählte mir, er habe immer wieder zu kämpfen und öfter Entzugskliniken aufsuchen müssen.

Gibt es auch einen Peter Urban abseits von Pop, Rock und ESC?

Peter Urban: Klar doch! Ich bin sportfanatisch. Meine Familie ist manchmal genervt, dass ich mir im Fernsehen so viel Fußball anschaue. Wobei die Zweite Bundesliga zurzeit fast interessanter ist als die Erste. Ich liebe Fußball, wenn er taktisch gut gespielt wird und ästhetisch gut anzuschauen ist. Dann ist mir auch egal, wer gewinnt. Ich liebe die englische Premier League. Und ich schaue mir wirklich jedes alpine Skirennen an.

Nehmen Sie hier an der ESC-Umfrage von EXPRESS.de teil:

Sie sind gerade 75 Jahre alt geworden. Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?

Peter Urban: Vor allem Gesundheit, denn das ist es, was am meisten zählt. Ich wünsche mir, dass ich mit der Familie noch einige schöne Reisen machen kann und fit bleibe. Ich möchte nicht in der Vergangenheit hängen bleiben. Man muss das Gehirn immer wieder mit Neuem füttern, dann klappt das schon.

„Mr. ESC“ Peter Urban: Mit den Stars auf Du und Du

Die Musik – ob Pop, Rock oder Jazz – ist seine Berufung: Seit mehr als 50 Jahren berichtet Peter Urban im Radio, in Büchern und im Podcast über neue Trends, Stars und Histörchen aus dem Show-Business. Er hat Top-Künstler wie Paul McCartney, Sting, Eric Clapton, Bruce Springsteen oder Jimi Hendrix interviewt.

Darüber hat Urban aktuell die extrem lesenswerte Autobiografie „On Air – Erinnerungen an mein Leben“ geschrieben. Und es wird einem klar, warum er 25 Jahre lang mit großem Fachwissen, feiner Ironie und großer Begeisterung den Eurovision Song Contest kommentieren konnte.