„Hallo Spencer - Der Film“ mit Rainer Bock„Ich will Jan Böhmermann nicht mit Shakespeare vergleichen ...“

Ein Mann und seine Puppe: Rainer Bock spielt in Jan Böhmermanns „Hallo Spencer - Der Film“ jenen Puppenvater, der 22 Jahre mit und für seine NDR-Fernsehshow lebte, bis sie abgesetzt wurde. Er will das Ende nicht akzeptieren - und träumt vom Comeback. Eine weitgehende wahre Geschichte, die viel über das System Kapitalismus und die Medienwelt verrät. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Ein Mann und seine Puppe: Rainer Bock spielt in Jan Böhmermanns „Hallo Spencer - Der Film“ jenen Puppenvater, der 22 Jahre mit und für seine NDR-Fernsehshow lebte, bis sie abgesetzt wurde. Er will das Ende nicht akzeptieren - und träumt vom Comeback. Eine weitgehende wahre Geschichte, die viel über das System Kapitalismus und die Medienwelt verrät. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Drehbuchautor Jan Böhmermann hat der Lieblingsfernsehshow seiner Kindheit ein Denkmal gesetzt. In „Hallo Spencer - Der Film“ spielt Rainer Bock einen Puppenvater, der seine Charaktere einfach nicht sterben lassen will. Ein Gespräch über Kapitalismuskritik mit Puppen und Überlebensstrategien der Kunst.

Rainer Bock gehört zu den besten Charakterdarstellern Deutschlands. Selbst, wenn man ihn nicht namentlich kennt: Wer Fernsehen schaut, sieht dieses Gesicht immer und immer wieder. Nun spielt der 70-Jährige in einem der ungewöhnlichsten, inspirierendsten Fernsehfilme des Jahres die Hauptrolle. Drehbuchautor Jan Böhmermann erzählt in „Hallo Spencer - Der Film“ die irre Geschichte der Lieblingsfernsehshow seiner Kindheit. Rainer Bock spielt den alternden Puppenvater und Macher der „Hallo Spencer“-Show, der nach Absetzung der 22 Jahre laufenden Sendung mit seinen Puppen und Kulissen jahrelang in einer geschlossenen Diskothek haust. Er träumt vom Comeback, doch finanzielle Nöte erdrücken ihn. Die Welt des Fernsehens und der Unterhaltung haben sich stark verändert. Im Interview spricht Bock darüber, warum Puppen Dinge tun dürfen, die wir uns nicht trauen.

(“Hallo Spencer - Der Film“ läuft am Mittwoch, 25. Dezember, 20.15 Uhr, bei ZDFneo, und am Freitag, 27. Dezember, 23.45 Uhr, im ZDF; er ist bereits ab Freitag, 13. Dezember, in der ZDF-Mediathek abrufbar.)

teleschau: Was sagte Ihnen „Hallo Spencer“ vor diesem Film?

Spencer und sein Puppenspieler Jakob Sesam (Rainer Bock, zweiter von links) bekommen eine Lieferung alter Sendebänder. Als Lieferant übernahm „Hallo Spencer“-Fan Jan Böhmermann (rechts), der auch das Drehbuch mitverfasste, eine kleine Rolle. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Spencer und sein Puppenspieler Jakob Sesam (Rainer Bock, zweiter von links) bekommen eine Lieferung alter Sendebänder. Als Lieferant übernahm „Hallo Spencer“-Fan Jan Böhmermann (rechts), der auch das Drehbuch mitverfasste, eine kleine Rolle. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Rainer Bock: Die Puppenserie ist weitgehend an mir vorbei gegangen. Obwohl sie ja von 1979 bis 2001 lief. Selbst die „Sesamstraße“ habe ich kaum wahrgenommen. Ich gehöre zur Generation „Augsburger Puppenkiste“. 1979 war ich Mitte 20, da hatte ich andere Interessen. Trotzdem gibt es bei mir eigentlich eine große Affinität zu Puppen. Ich bin in Kiel aufgewachsen. Die dortige Zeitung, die Kieler Nachrichten, unterhielten in meiner Kindheit ein sehr gutes Kasperletheater: den KN-Kasper. Der Puppenspieler und seine Frau, die das Theater leitete, waren ziemlich gut befreundet mit meiner Mutter. Wir durften immer kostenlos in die Vorstellungen und danach auch hinter die Bühne. Ich konnte alle Puppen anfassen und auf die Hand nehmen. Es hat mich schon fasziniert - und auch irgendwie geprägt.

teleschau: Was können Puppen ausdrücken, wozu menschliche Schauspieler nicht in der Lage sind?

Bock: Schauspieler sind immer an ihren Körper und dessen Möglichkeiten, meist auch an ein Drehbuch gebunden. Puppen dagegen können sich komplett selbst erfinden. Sie dürfen Grenzen überschreiten, und man verzeiht ihnen das. Früher waren es meist die Puppen, die auf der Bühne Tabus brechen durften. Natürlich als Stellvertreter des Puppenspielers. Aber der konnte ja sagen: „Die Puppe hat das gesagt oder getan. Nicht ich!“

„Eine sehr berührende Geschichte, wie ich finde“

Puppenspieler Jakob Sesam (Rainer Bock) und sein gelber Freund Spencer leben mit all den anderen Puppen aus der Show „Hallo Spencer“ in einer still gelegten, verranzten Diskothek. Als diese abgerissen werden soll, setzt Sesam alles daran, das Comeback über einen Kinofilm zu schaffen. Nur wie soll der finanziert werden?  (Bild: ZDF und Gordon Timpen / / [M] Anna-Maria Flöck)

Puppenspieler Jakob Sesam (Rainer Bock) und sein gelber Freund Spencer leben mit all den anderen Puppen aus der Show „Hallo Spencer“ in einer still gelegten, verranzten Diskothek. Als diese abgerissen werden soll, setzt Sesam alles daran, das Comeback über einen Kinofilm zu schaffen. Nur wie soll der finanziert werden? (Bild: ZDF und Gordon Timpen / / [M] Anna-Maria Flöck)

teleschau: Hat Ihnen Jan Böhmermann erzählt, was er mit „Hallo Spencer“ verbindet?

Bock: Es ist eine große, wichtige Kindheitserinnerung für ihn. Deshalb hatte er in einer seiner „ZDF Magazin Royale“-Sendungen auch mal einen Nachbau einer „Hallo Spencer“-Puppe verwendet. So fing die Geschichte um den Film an. Winfried Debertin, der Erfinder von „Hallo Spencer“ und Vorlage für meine Figur im Film, hat das im Fernsehen gesehen - und sich erst mal ziemlich aufgeregt wegen der Rechte. Doch so kamen Böhmermann und er ins Gespräch - und alles beruhigte sich ziemlich schnell. Winfried Debertin lebte damals tatsächlich in einer verlassenen Diskothek mit all den stillgelegten Puppen und alten Bühnenbildern in der Lüneburger Heide.

teleschau: Er hoffte darauf - wie Sie im Film - dass es irgendwann mit „Hallo Spencer“ weitergehen würde, oder?

Bock: Ja, so war es. Er hoffte, dass der NDR irgendwann sagen würde: „Mensch, lass uns doch weitermachen mit dieser schönen Puppenserie.“ Doch das passierte nicht. Debertin hatte dann die Idee, selbst einen Kinofilm zu produzieren. Doch dafür hatte er kein Geld. Er konnte auch keine Geldgeber überzeugen. So lange bis Jan Böhmermann auftauchte, der ein Drehbuch schreiben wollte. So ist Winfrieds Lebenstraum doch noch in Erfüllung gegangen. Eine sehr berührende Geschichte, wie ich finde.

Jakob Sesam (Rainer Bock) und seine Puppe Nepomuk bekommen einen Scheck über zehn Millionen Euro. Werden sie ihren geplanten Film realisieren können? (Bild: ZDF / Jutta Pohlmann)

Jakob Sesam (Rainer Bock) und seine Puppe Nepomuk bekommen einen Scheck über zehn Millionen Euro. Werden sie ihren geplanten Film realisieren können? (Bild: ZDF / Jutta Pohlmann)

teleschau: Die Wucht der Nostalgie ist bei den Machern von „Hallo Spencer“ auch deshalb nachvollziehbar, weil die Serie ihre Welt für mindestens 22 Jahre war. Gibt es bei Ihnen auch etwas, das Sie als Künstler eine ähnlich lange Zeit eingenommen hat?

Bock: Nein. Als Schauspieler zieht man ja ein Leben lang weiter. Es sei denn, man spielt ein und dieselbe Rolle über Jahre oder Jahrzehnte. Davon habe ich aber stets die Finger gelassen. Weil mir immer sehr wichtig war, neue Erfahrungen zu machen. Natürlich gab es Rollen, die waren viel wichtiger und erfüllender als andere. Wissen Sie denn, was das Faszinierende am Schauspielberuf ist?

„Dieses total Offene mochte ich immer an meinem Beruf“

teleschau: Bitte, sagen Sie es uns!

Rainer Bock und seine Frau Christina Scholz besuchen 2023 die Veranstaltung „Blauer Panther“ in München. Auch Rainer Bocks Frau war früher Schauspielerin, später widmete sie sich der Kunst. Das Paar hat einen Sohn. (Bild: 2023 Getty Images/Hannes Magerstaedt)

Rainer Bock und seine Frau Christina Scholz besuchen 2023 die Veranstaltung „Blauer Panther“ in München. Auch Rainer Bocks Frau war früher Schauspielerin, später widmete sie sich der Kunst. Das Paar hat einen Sohn. (Bild: 2023 Getty Images/Hannes Magerstaedt)

Bock: Dass man sich auf einer Reise befindet, von der man nicht weiß, wo sie hinführt und wo sie endet- dieses total Offene mochte ich immer an meinem Beruf.

teleschau: Wissen Sie, welche Rolle Sie am längsten gespielt haben?

Bock: Hm, eine schwere Frage. Das könnte „Onkel Wanja“ unter der Regie von Barbara Frey am Münchener Residenztheater gewesen sein. Das habe ich sehr lange gespielt, mindestens vier oder fünf Jahre. Es war eine sehr herausragende und befriedigende Arbeit. Nach sechs oder sieben Jahre Pause spiele ich übrigens gerade wieder Theater. Ich habe mich zum „König Lear“ in Zürich überreden lassen.

teleschau: In einer Fernsehserie oder Reihe haben Sie nie länger gespielt, oder?

Die „Hallo Spencer“-Puppen werden von ihren neuen Besitzern, dem Ehepaar Jette (Marina Galic) und Magnus Wilde (Jens Harzer), auf ihre Vermarktbarkeit getestet. Ihre Assistenten Ilknur (Aybi Era) und Friederich (Hendrik v. Bültzingslöwen) helfen ihnen dabei.
 (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Die „Hallo Spencer“-Puppen werden von ihren neuen Besitzern, dem Ehepaar Jette (Marina Galic) und Magnus Wilde (Jens Harzer), auf ihre Vermarktbarkeit getestet. Ihre Assistenten Ilknur (Aybi Era) und Friederich (Hendrik v. Bültzingslöwen) helfen ihnen dabei. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Bock: Nein, das hatte ich auch nie vor. Serielle Arbeit interessierte mich bis tief in die Nullerjahre hinein überhaupt nicht. Ich habe vielleicht etwas länger gebraucht als andere Kollegen, um zu erkennen, dass im Serienfernsehen und Streaming mittlerweile längst gute Sachen liefen. Ich hatte immer Angebote, in irgendwelchen Filmen zu spielen. Deshalb habe ich lange Zeit nicht so sehr aufs Fernsehen geschaut.

teleschau: Bis was genau passierte?

Bock: Ich hatte das Glück, gefragt zu werden, ob ich in „Better Call Saul“ mitspielen möchte. Das war natürlich ein herausragendes Stück seriellen Erzählens. Nicht alles, was in Sachen Fernsehen aus den USA kommt, ist wirklich bemerkenswert. Aber „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ gehören schon zum Besten, was das Genre Serie hervorgebracht hat. Mein Sohn hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man bestimmte Serien kennen sollte. Da hatte er recht. Ich habe daraufhin viel nachgeholt in den letzten Jahren.

„Ich will Jan Böhmermann nicht mit Shakespeare vergleichen“

Rainer Bock als alternder Möbelpacker im deutschen Kinofilm „Atlas“. Für diese Rolle wurde er mit dem Deutschen Schauspielpreis 2019 in der Kategorie „Schauspieler in einer Hauptrolle“ aus gezeichnet und er erhielt eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis 2019 als „Beste männliche Hauptrolle“. (Bild: 235 Film,Tobias von dem Borne)

Rainer Bock als alternder Möbelpacker im deutschen Kinofilm „Atlas“. Für diese Rolle wurde er mit dem Deutschen Schauspielpreis 2019 in der Kategorie „Schauspieler in einer Hauptrolle“ aus gezeichnet und er erhielt eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis 2019 als „Beste männliche Hauptrolle“. (Bild: 235 Film,Tobias von dem Borne)

teleschau: Was sind denn Rainer Bocks Lieblingsserien?

Bock: Ich bin wie gesagt erst spät eingestiegen, eigentlich erst mit „Better Call Saul“ - als ich mitgespielt habe. Quasi als Vorbereitung auf die Rolle. Dann ging ich zurück zu „Breaking Bad“. Das habe ich geguckt, als ich mit meinem Sohn und meiner Frau in Albuquerque war und da gedreht habe. Ich war ja dort für immerhin drei Monate. Danach schaute ich viele andere Sachen. Ich fand „Ozark“ stark, aber auch „Peaky Blinders“ oder „Haus des Geldes“. Aus vielen Ländern kommen mittlerweile gut gemachte Serien.

teleschau: Lassen Sie uns noch mal auf „Hallo Spencer“ zurückkommen. Der Film transportiert nicht nur Nostalgie, sondern auch Medien- und Kapitalismuskritik. Wie sehr nervt es sie als Künstler, dass Kunst und Unterhaltung heute immer mehr durchkommerzialisiert erscheinen?

Bock: Natürlich stört mich das. Was ich an Jan Böhmermanns Drehbuch mag: Es nimmt die ein oder andere dramaturgische Hürde auch mal nicht. Es ist nicht auf Teufel komm raus auf Effizienz gebürstet, sondern nimmt sich Zeit für situativ einsetzende Gedanken oder seltsame, bisweilen schwer verständliche Komik. Das erinnert mich an Shakespeare, der hat sich auch ab und zu einfach nicht um Dramaturgie gekümmert. Er hat Figuren eingeführt, die waren dann einfach weg - und so weiter (lacht). Ich will Jan Böhmermann nicht mit Shakespeare vergleichen, aber ich verteidige es, dass man so schreibt und inszeniert. „Hallo Spencer“ ist eine Melange aus Märchen und dem Versuch einer beißenden Satire.

Handpuppe Spencer erinnert sich an bessere Zeiten. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

Handpuppe Spencer erinnert sich an bessere Zeiten. (Bild: ZDF und Gordon Timpen)

teleschau: Und das mochten Sie?

Bock: Ja, sehr. Weil man den Film genremäßig überhaupt nicht einordnen kann. Ich zumindest habe so etwas im Fernsehen oder Kino noch nie zuvor gesehen. Allein das ist schon ein guter Grund, den Film zu machen. Aber Sie haben mich nach der Kommerzialisierung des Lebens und der Kunst gefragt. Da muss ich sagen: Es sind nicht nur unbekannte Mächte, die das mit uns machen, sondern es sind wir Menschen selbst, die das mit sich machen lassen.

„Die Welt ist schon ziemlich verrückt geworden“

teleschau: Am Ende des Films sagt die Außerirdischen-Puppe zu Ihrer Figur: Geld löst nur die Probleme, die es ohne Geld gar nicht gäbe. Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

Bock: Wollen Sie nun wirklich in das komplizierte Gebäude der Kapitalismuskritik einsteigen?

teleschau: Warum nicht?

Bock: Zu diesem Thema gibt es viel kundigere und besser ausgebildete Menschen als mich. Aber schauen Sie doch mal die gegenwärtige Regierungsbildung in jenem Staat an, der angeblich die Demokratie erfunden hat. In den USA soll nun der reichste Mann der Welt helfen, dass ganz viel Geld eingespart wird. Die Welt ist schon ziemlich verrückt geworden.

teleschau: Was machen Sie eigentlich, wenn Sie sich nicht mit Schauspiel oder Kunst beschäftigen?

Bock: Verschiedene Dinge, unter anderem bin ich wahnsinnig an Sport interessiert. Seit einigen Wochen bin ich Mitglied bei Holstein Kiel, ich kann Ihnen meinen Mitgliedsausweis schicken! Ich war sogar beim entscheidenden Aufstiegsspiel gegen Düsseldorf letzte Saison im Stadion, obwohl ich seit über 20 Jahren in München wohne. Alles, was aus Kiel kommt und Sport treibt, unterstütze ich. Auch vom THW Kiel bin ich seit sehr langer Zeit großer Fan. (tsch)