Wie geht man damit um, wenn der eigene Vater mehr als eine Million Menschen in den Tod schickte? In einer bewegenden HBO-Doku stellt sich Hans-Jürgen Höß dem grausamen Erbe seines Vaters, des Kommandanten von Auschwitz. Ein Film zwischen Verdrängen, Akzeptieren - und „Nie wieder“.
„Hassen Sie Ihren Vater?“Auschwitz-Überlebende konfrontiert Sohn von KZ-Kommandanten
![Ein „historischer Moment“ beim Kaffeetrinken: Hans-Jürgen Höß (rechts) trifft auf Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch (links). (Bild: Home Box Office)](https://static.express.de/__images/2025/02/14/3f3d43a0-8961-4263-9ea8-e63a692ee25c.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1126&fm=jpeg&s=3ae7362823994b7bd8d19e51e4ee8c60)
Copyright: Home Box Office
Ein „historischer Moment“ beim Kaffeetrinken: Hans-Jürgen Höß (rechts) trifft auf Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch (links). (Bild: Home Box Office)
Nach einem „historischen Moment“ sieht die Kulisse im Wohnzimmer von Anita Lasker-Wallfisch wahrlich nicht aus. Und doch spricht die Auschwitz-Überlebende dem Treffen mit ihrem Gegenüber diese Größenordnung zu. Denn Hans-Jürgen Höß ist nicht irgendwer. Er ist der Sohn von Rudolf Höß, des einstigen Kommandanten des KZ Auschwitz.
![Maya Lasker-Wallfisch besichtigt mit Kai (Mitte) und Hans-Jürgen Höß die KZ-Gedenkstätte Auschwitz.](https://static.express.de/__images/2025/02/14/f238de3c-bc61-43fe-8332-d4d588ec9109.jpeg?q=75&q=70&rect=0,50,1600,900&w=2000&h=1250&fm=jpeg&s=835e35f1bcce910b80678d612e2a4456)
Copyright: Home Box Office
Maya Lasker-Wallfisch besichtigt mit Kai (Mitte) und Hans-Jürgen Höß die KZ-Gedenkstätte Auschwitz.
Doch die 99-Jährige begegnet Höß nicht mit Hass. „Das war mutig von ihnen“, zollt sie ihm Respekt für den Besuch der einstigen Wirkungsstätte seines Vaters. Dem Ort, an dem Rudolf Höß mehr als eine Million Juden im Namen Adolf Hitlers in den Tod schickte.
Das Aufeinandertreffen der Senioren ist der emotionale Höhepunkt der HBO-Doku „Der Schatten des Kommandanten“, die ab 14. Februar bei Sky und WOW zum Streamen zur Verfügung steht. „Man hat sie nicht gefragt, wessen Sohn sie sein wollen“, gesteht Lasker-Wallfisch ihrem Gast zu, der die ersten Jahre seiner Kindheit in unmittelbarer Nähe zum KZ verbrachte. Nur ein Zaun habe „zwischen dem Horror und dem normalen Leben“ gestanden, so die KZ-Überlebende.
Nur „Aktenschieberei“? Sohn von Auschwitz-Kommandant verdrängt Erbe seines Vaters
![Hans Jürgen Höß (Bild) ist für die Ermordung mehr als einer Million Jüdinnen und Juden im Vernichtungslager Auschwitz verantwortlich. (Bild: Keystone/Getty Images)](https://static.express.de/__images/2025/02/14/1cd9e5e2-138f-4388-83d6-58449dbdb2a6.jpeg?q=75&q=70&rect=0,111,1600,900&w=2000&h=1402&fm=jpeg&s=0068b4d6f4c17c9ebb8d0cd8c03ecb7a)
Copyright: Keystone/Getty Images
Hans Jürgen Höß (Bild) ist für die Ermordung mehr als einer Million Jüdinnen und Juden im Vernichtungslager Auschwitz verantwortlich.
Und doch scheut die 99-Jährige nicht davor zurück, Höß zu fragen: „Hassen Sie Ihren Vater im Rückblick oder ist er noch immer der nette Vater für Sie?“ Er zögert und entgegnet: „Weder noch. Man kann das sonst nicht ertragen.“ Schon bei seinem ersten Besuch im ehemaligen KZ kurz zuvor ringt er vergeblich um Worte: „Wir können nur hoffen, dass so etwas nicht wieder irgendwo passiert.“ Zu solch eindeutigen Aussagen wie sein Sohn Kai („Mein Großvater ist der schlimmste Massenmörder in der Menschheitsgeschichte“) lässt er sich nicht hinreißen.
Vielleicht auch, weil er sich die Erinnerung an „eine schöne und idyllische Kindheit in Auschwitz“ samt Pool im Garten und Bootstour mit Vater Rudolf nicht gänzlich nehmen lassen will. Hans-Jürgen, der 1937 geboren wurde, versichert mehrfach, er habe als Kind nichts von dem Grauen direkt nebenan mitbekommen, sei trotz freien Blicks auf das Krematorium nicht Zeuge von Rauchschwaden geworden: „Auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen, dass sie da Menschen verheizen.“ Auch bei seiner Schwester Brigitte, die er erstmals seit 50 Jahren wiedersieht, hat man das Gefühl, sie will sich trotz der Grausamkeiten ihr Bild ihres Vaters (“Er war ein guter Mensch“) nicht zerstören lassen: „In Auschwitz habe ich nie etwas Böses gesehen.“
![Hans-Jürgen Höß spürt dem schrecklichen Erbe seines Vaters, des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, nach. (Bild: Home Box Office)](https://static.express.de/__images/2025/02/14/8125264d-5f13-4496-8fef-bf022e05a463.jpeg?q=75&q=70&w=2000&h=1042&fm=jpeg&s=e3890a6e00ded061f715ce62b1bf3ea5)
Copyright: Home Box Office
Hans-Jürgen Höß spürt dem schrecklichen Erbe seines Vaters, des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, nach.
„Mein Vater hat nie etwas von seiner Arbeit erzählt“, erinnert sich Hans-Jürgen. Er gehe davon aus, dass dieser mit „Aktenschieberei“ beschäftigt gewesen sei. „Selber hat er sich kaum damit (dem Massenmord an Juden, Anm. d. Red.) befasst, ich kann mir das gar nicht vorstellen.“ Als er mit den Memoiren seines Vaters, die dieser in Haft zu Papier brachte, konfrontiert wird, windet sich Höß: „Der Holocaust war ein schlimmes Thema, ich wollte mich einfach nicht mehr damit belasten.“ Dass ein Vater an seine eigene Familie dachte, während er Hunderttausende in die Gaskammern schickte, „das möchte man lieber nicht gelesen haben“.
„Hölle auf Erden“: Cello bewahrte KZ-Überlebende vor der Gaskammer
Das Schweigen und Verdrängen nimmt in der aufrüttelnden HBO-Dokumentation von Filmemacherin Daniela Völker einen fast genauso großen Raum ein wie die schrecklichen Taten von Rudolf Höß und deren Folgen - nicht nur auf seine Familie. Anita Lasker-Wallfisch berichtet, sie habe in Auschwitz die „Hölle auf Erden“ erlebt. Überlebt hat sie vor allem, weil sie als Cellistin des KZ-Orchesters „eine sehr glückliche Position“ innegehabt habe, „die mein Leben gerettet hat“. Mit dem Ende des Krieges habe sie die Erinnerungen begraben, ein neues Leben in London angefangen, ohne ihre „verlorene Jugend“ zu sehr zu bedauern.
Trotz ihres Mottos „Traumata? Vergiss sie, mache mit deinem Leben weiter“ räumt die 99-Jährige ein: „Ich bin die falsche Mutter für meine Tochter.“ Wegen ihrer schrecklichen Erfahrungen im KZ falle es ihr schwer, mitfühlend zu handeln. Sie sei in einer „normalen Familie“ groß geworden, ihr Vater sei „ein begeisterter Deutscher“ gewesen - samt Eisernem Kreuz. Doch die Machtergreifung Hitlers habe alles geändert: „Der Krieg war das Ende von allem.“
Das Ende des Zweiten Weltkrieges mag sich 2025 zum 80. Mal jähren, doch Antisemitismus ist noch immer allgegenwärtig. „Natürlich kann Auschwitz wieder passieren“, gibt Lasker-Wallfisch zu bedenken. „Sehen Sie sich die Welt an, wir Menschen verhalten uns immer noch grauenhaft.“ Man kann nur hoffen, dass sie sich irrt. (tsch)