Bestsellerautorin Hera Lind hat mit uns darüber gesprochen, warum sie erstmals über Missbrauch schreibt, eine CD für eine D-Mark die beste Investition ihres Lebens war und in welcher Sportart sie ihren Mann locker abzieht.
BestsellerautorinHera Lind verrät ihr Fitnessgeheimnis – es ist 25 Jahre alt!
In den 90er-Jahre wurde Hera Lind mit heiter-ironischen Romanen wie „Das Superweib“ zum Superstar. Heute würde sie das Wort „Superweib“ nicht mehr in den Mund nehmen oder Bücher dieser Art schreiben, verrät sie im Interview mit EXPRESS.de.
Kein Wunder: Die Frauen, denen sie heute eine Stimme verleiht, berühren ihr Herz viel mehr. Frauen wie Steffi, deren Leidensgeschichte unfassbar (und doch kein Einzelfall) ist. Für das ehemalige Pflegekind brach Lind in ihrem neuen Bestseller sogar mit einem Tabu.
Hera Lind: Seit Jahren in den Bestsellerlisten
Ihre Tatsachenromane stürmen seit Jahren die Bestsellerlisten. Warum schreiben Sie in „Im Namen der Barmherzigkeit“ erst jetzt erstmals über Kindesmissbrauch?
Hera Lind: Das Thema wird mir von meinen Lesern zwar erschreckend oft angeboten, aber da habe ich mich nie herangewagt. Deutsch-deutsche Themen, Kriegs- und Nachkriegsgeschichten, unbedingt. Aber Kindesmissbrauch ist so ein furchtbares Thema, nicht der geeignete Stoff für einen Hera-Lind-Roman, dachte ich. Doch dieses erschütternde Schicksal schilderte mir die Psychotherapeutin einer Betroffenen, die bei mir in der Schreibwerkstatt ein Einzelcoaching hatte. Sie war es gewohnt, Arztbriefe zu verfassen, so klang das Schicksal ihrer Patientin, um die sie sich auch nach der Pensionierung kümmerte, sehr sachlich. Wir haben uns verständigt, dass ich Steffis Leben aufschreibe, damit es eine große Leserschaft erreicht.
Steffi ist kein Einzelfall, oder?
Hera Lind: Nein. Systematisch wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit dem 17. Jahrhundert bis in die 1980er Jahre Kinder verarmter Eltern oder Pflegekinder aus Kinderheimen auf Bauernhöfen als Arbeitskraft eingesetzt. Das waren Tausende zwischen fünf und 14 Jahren, die unter dem Deckmantel der Barmherzigkeit ausgebeutet, misshandelt und vergewaltigt wurden. Steffi schilderte mir unter Tränen, wie sie barfuß im Maisfeld arbeiten, ins kochend heiße Silo steigen, im Stall bei den Schweinen übernachten musste. Vom neunten Lebensjahr an wurde sie regelmäßig vom Bauern vergewaltigt, mit 15 wurde sie schwanger, bekam ein Kind. Sie suchte danach ihre Mutter, doch die verstieß sie – wie nach der Geburt – schon wieder.
Wie ging es mit Steffi weiter?
Hera Lind: Unter den Spätfolgen leidet sie noch heute – trotz jahrelanger Therapie. Sie wollte sich umbringen, war tablettensüchtig, hatte mit 25 einen Bandscheibenvorfall, ist körperlich und seelisch zerstört und schwer traumatisiert. In meinem Buch kann ich – wie auch in anderen Fällen – wieder staatliche Stellen aufzeigen, die helfen, dass diese Menschen sich eine finanzielle Entschädigung erstreiten können.
Also ist Ihr Ansatz auch ein politischer?
Hera Lind: Nein. Ich sehe mich nicht als Politikerin, sondern als Geschichtenerzählerin, die heute im Vergleich zu meinen früheren leichten Geschichten politisch-historisch recherchiert. Mag sein, vielleicht bin ich auch so etwas wie eine Botin.
Bekommen Sie eigentlich viele Zuschriften von Menschen, die meinen, ihre Geschichte müsste unbedingt erzählt werden?
Hera Lind: Ja, es ist ein unglaubliches Geschenk und eine große Verantwortung. Durchschnittlich gehen täglich fünf Lebensgeschichten bei mir ein, viele heute natürlich digital. Die Mailadresse heralind@a1.net steht ja in jedem meiner Bücher, doch ich habe auch Schubladen voller Briefe, Original-Tagebücher, sogar Feldpostbriefe. Gerade die alten Menschen schreiben oft noch mit der Hand. Ich habe keine Sekretärinnen oder Mitarbeiter, ich lese ununterbrochen, jeden Tag wahre, berührende Lebensgeschichten. Die Geschichten, die ich schließlich auswähle, müssen mir ans Herz gehen, dann berühren sie auch meine Leser und Leserinnen.
Welche Zuschriften fallen durchs Raster?
Hera Lind: Es geht mir um die Motivation. Wenn Rache, Verbitterung, Rechtfertigung oder Selbstmitleid mitschwingen, spüre ich das sofort. Ich lasse mich nicht zum Anwalt eines Protagonisten oder einer Protagonistin machen, das schreibe ich auch in meinen immer wertschätzenden Antworten.
Hera Lind: Ihr Fitness-Booster kostete damals genau eine D-Mark
Denken Sie manchmal daran, sich zur Ruhe zu setzen, oder halten Sie es mit Udo Jürgens – „mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“?
Hera Lind: Ich bin gerade 67 geworden und habe kürzlich noch zu einer Freundin gesagt, dass ich mit 66 Jahren das beste Jahr meines Lebens erlebt hatte. Es ist ja alles im Leben mit harter Arbeit verbunden und nicht immer leicht, Partnerschaft, Familie, Freundeskreis, Beruf und Gesundheit zu pflegen. Aber ich empfinde es auch als großes Geschenk, dass ich mit 66 wirklich ernten konnte, was ich im Laufe meines Lebens gesät habe. Dankbarkeit ist ein schönes Gefühl. Aufhören ist deshalb für mich keine Option.
Sind Sie eigentlich immer noch so sportlich wie zu Beginn ihrer Karriere, wo man sie häufig durch Köln joggen sah?
Hera Lind: Ich könnte in meinem Job nicht so viel Geist und Herz einfließen lassen, wenn ich nicht so fit wäre. Aber da bin ich auch sehr konsequent und diszipliniert. Soll ich Ihnen verraten, was die beste Investition meines Lebens war? Ich habe 1999 für 1 D-Mark in einem Billig-Shop eine Pilates-CD erworben, da kam das gerade auf. So richtig Hardcore-Pilates mit einer New Yorker Vorturnerin. Und die turne ich jeden Morgen eine Stunde lang, seit 25 Jahren, wobei die Dame im Gegensatz zu mir nicht altert! (lacht).
Also nicht mehr Jogging?
Hera Lind: Doch, bei gutem Wetter laufe ich nach wie vor jeden Tag zehn Kilometer und höre dabei den wunderbaren Max Raabe. Alternativ liefere ich mir mit meinem Mann in unserer Salzburger Wohnung heiße Tischtennisduelle, um nach den schweren Stoffen den Kopf wieder freizukriegen.
Wer gewinnt?
Hera Lind: Wir spielen für gewöhnlich zehn Sätze. Die ersten drei Sätze gewinnt grundsätzlich mein Mann, da bin ich noch zu sehr in meinen Schicksalsgeschichten. Ab dem vierten Satz gehe ich in Führung. Und dann wird natürlich so lange gespielt, bis ich gewonnen habe (lacht).
Sie sind seit 25 Jahren mit dem österreichischen Hotelier Engelbert Lainer liiert, seit 22 Jahren verheiratet. Haben Sie auch die österreichische Staatsbürgerschaft?
Hera Lind: Nein. Ich mache mich nach wie vor als echt kölsches Mädchen mit deutschem Pass auf die Reise. Ich sehe keinen Anlass dazu, das zu ändern. Grenzen sind doch nur im Kopf.
Klingt, als würden Sie Köln doch ein bisschen vermissen ...
Hera Lind: Ach, ich bin noch oft in Köln, habe ja auch Kinder und Enkel, die im Rheinland leben. Auch mein Mann hat das Rheinland mit vielen guten Freunden ins Herz geschlossen. Doch manchmal ist er immer noch verwundert, z. B. wenn ich mir – wie kürzlich – am Eigelstein einen Halven Hahn bestelle und dann gar kein Fleisch serviert wird, sondern ein Röggelchen. Aber das muss sein, wenn ich in Köln bin.
Hera Linds erster Roman entstand, als sie schwanger war
Hera Lind kam 1957 in Bielefeld auf die Welt, hieß mit bürgerlichen Namen eigentlich Herlind Wartenberg. 1979 begann sie parallel zum Hochschulstudium (Germanistik und Theologie) mit einer Gesangsausbildung an der Musikhochschule Köln und Düsseldorf, wurde 1982 festes Mitglied im Kölner Rundfunkchor und machte sich auch als Solistin einen Namen. Während ihrer ersten Schwangerschaft 1988 schrieb sie zum Zeitvertreib den Roman „Ein Mann für jede Tonart“, danach „Frau zu sein bedarf es wenig“ und „Das Superweib“, alle in Millionenauflage verkauft und verfilmt.
Viele weitere Bücher folgten, doch die Autorin wollte sich ernsteren Themen widmen. 2010 entstand ihr erster Tatsachenroman, mittlerweile sind es mehr als 30. Hera Lind hat vier Kinder und eine stetig wachsende Schar Enkelkinder. Mit ihrem Mann, dem Hotelier Engelbert Lainer-Wartenberg, lebt sie in Salzburg. Gemeinsam veranstalten sie dort auch Schreibseminare. Sie lehrt die Profi-Tricks, Lainer, ehemaliger Spitzen-Gastronom, bekocht und bewirtet die Gäste.