Wie es nach dem Beben in Berlin und Washington weitergeht, darauf gab es am Donnerstagabend bei „maybrit illner“ einige Antworten. Kanzlerkandidat Friedrich Merz war sicher: Das „Geschäftsmodell Deutschland – billiges Gas, billiger Markt in China und die Amerikaner zahlen für Sicherheit – ist over.“
„Maybrit Illner“CDU-Kanzlerkandidat Merz macht deutlich: „Geschäftsmodell Deutschland ist over“
„Es kommt dicke: Trump tritt zurück und die Ampel zerbricht ...“ – bei Maybrit Illners Freud'schem Versprecher zu Beginn ihrer Sendung am 7. November war wohl der Wunsch Vater des Gedanken. Zumindest, wenn es um die Ergebnisse der US-Wahl ging.
Dass am Vortag nicht nur der Republikaner gewonnen hatte, sondern auch die deutsche Ampel-Koalition zerbrochen war, bezeichnete die Moderatorin – nach Bundeskanzler Olaf Scholz – als „Doppel-Wumms“ und stellte ihren Gästen die Frage: „Beben in Berlin und Washington – wie geht es jetzt weiter?“
Sigmar Gabriel: „Ich verstehe auch nicht, warum er nicht relativ schnell die Vertrauensfrage stellt“
Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte eine Antwort parat: Bundeskanzler Scholz sollte nicht erst im Januar die Vertrauensfrage stellen, sondern spätestens nächste Woche. „Dann wäre Zeit genug, um zu klären, ob bis Ende des Jahres gemeinsame Entscheidungen zu treffen wären“, hätte er dem SPD-Politiker in einem 30-minütigen Telefonat erklärt.
„Ich verstehe auch nicht, warum er nicht relativ schnell die Vertrauensfrage stellt“, hatte der selbsternannte „Rentner“ Sigmar Gabriel (Vorsitzender Atlantik-Brücke e.V., ehemaliger Außenminister, SPD) ebenfalls keine Erklärung für das Vorgehen seines Parteikollegen. Das Einschreiten gegen Ex-Finanzminister Christian Lindner („Gut, dass es zu Ende ist“ – stimmte er mit 84 Prozent aller Deutschen überein) könnte Scholz seiner Ansicht nach nutzen, um in den Wahlkampf zu gehen. Gabriels Meinung nach wären schnelle Wahlen gut, „sonst versteht kein Mensch, was mit Deutschland los ist.“
Die Entscheidung des Bundeskanzlers könnte am engen Zeitbudget bis Mitte Januar liegen, mutmaßte Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach, was Scholz im Sinn hatte, „ohne, dass er es verraten hätte“. Sie plädierte für Klarheit: „Entweder bleibt man beim Zeitplan und sieht, was für die Zusammenarbeit folgt oder findet in der Mitte zusammen“, betonte sie, „was nicht geht, ist, dass es zwei Wochen die öffentliche Debatte bestimmt. Die Menschen stellen sich andere Fragen.“
Friedrich Merz: „Die Wahl eines US-amerikanischen Präsidenten ist keine Notlage in Deutschland“
Wo ist das Ende, wenn die Schuldenbremse aufweicht? - kannte Frederik Pleitgen (Auslandskorrespondent beim US-Nachrichtensender CNN) eine dieser Fragen, „es gibt einen Grund, dass ein Budget da ist, wo es ist.“ 100 Milliarden Schulden könnte man 2024/2025 machen – auch mit der Schuldenbremse, war sich Merz mit dem ehemaligen Finanzminister Lindner einig: Wir haben kein „Einnahmeproblem, sondern ein Ausgabenproblem“. Als potenzielle Rückkehr des FDP-Politikers unter Merz als Kanzler wollte er das aber nicht verstanden wissen: „Wir führen einen CSU/CDU-Wahlkampf, nicht für eine mögliche Koalition.“
„Trump wird für Deutschland wesentlich schwieriger und teurer“, lenkte Illner auf das zweite „Wumms“. Verringert der Republikaner die Ukraine-Hilfe, müsste Deutschland seine Ausgaben für die Bundeswehr und Unterstützung deutlich erhöhen. „Die Wahl eines US-amerikanischen Präsidenten ist keine Notlage in Deutschland“, sah das Merz jedoch nicht dramatisch, und berief sich auf Informationen aus erster Hand: Unlängst hätte er „zufällig“ den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an der Strippe gehabt. Auf die Frage „Braucht ihr Geld oder Material?“ lautete dessen „eindeutige Antwort“: Bis 2026 wäre die Ukraine ausfinanziert, jetzt bräuchte es Material und Munition sowie eine Ausweitung der Reichweitenbegrenzungen von Raketen – „da müssen wir nicht über zusätzliche Schulden reden“, so Merz.
Julia Reuschenbach (Politologin): Eigene Lage gut, Sorge um wirtschaftliche Lage des Landes
In anderen Bereichen aber schon: „Infrastruktur, Mobilität, bezahlbarer Wohnraum, Bildung“, zählte Julia Reuschenbach einige auf. Mit dem Versprechen, die Wirtschaft anzukurbeln, wäre es nicht getan. Es gehe um die Verteilung von Armut und Reichtum und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Als „Musterbeispiel“ nannte sie das „Gebäude-Energiegesetz“, bei dem die Koalition „die soziale Verträglichkeit der notwendigen Transformationen nicht ausreichend mitbedacht hatte“.
„Mit ein bisschen Wachstum ist es nicht getan“, gestand Friedrich Merz ein und wollte etwa bei der Energie den Blick „360 Grad“ offen halten. Zudem brauchte es internationale Kooperationen, eine Strategie wie Arbeitsplätze erhalten, neue geschaffen und junge Unternehmen in Deutschland bleiben wollten. „Die Substanz dafür, auf der man aufbauen und wieder nach vorne kommen könnte“, wäre vorhanden.
Leute in Deutschland schätzten ihre eigene Lage als gut ein, hätten aber Sorgen und Befürchtungen um die wirtschaftliche Lage des Landes insgesamt, verwies Politologin Reuschenbach auf Studien. „Stellen Sie sich vor, es wäre umgekehrt. Das wäre noch schlimmer“, wollte Merz künftig Arbeit neu definieren, verriet er seine Strategie (“Agenda 2030 Merz“). Leute sollten ihr Leben in die Hand nehmen, statt auf Unterstützung zu warten.
Man dürfte die Krisenwahrnehmung nicht unterschätzen. „Die Krise ist da“, verwies Sigmar Gabriel auf 2.8 Millionen Arbeitslose in Deutschland. Tendenz steigend. Seiner Meinung nach wäre die Enttäuschung über die Politik so groß, dass es im „kurzen, intensiven Wahlkampf“ (Reuschenbach) nicht um den besseren Kanzler ginge, sondern eher um die Frage: „Welcher politischen Konstellation trauen wir eher zu, das Land auf Kurs zu bringen?“ Vor allem beim schwierigen Thema Migration wünschte sich Gabriel von CDU/CSU und SPD gemeinsame Lösungen.
Eine Unzufriedenheit wie in den USA: „Das kann hier auch passieren“
Die Themen Migration und Wirtschaft waren auch im US-Wahlkampf ausschlaggebend. Bizarrerweise stünde dort „die Wirtschaft auf dem Papier besser da als unsere, aber die Leute kommen nicht über die Runden“, wusste Pleitgen. Dieses Gefühl der Unzufriedenheit könnte schnell zu Instabilität führen. „Das kann hier auch passieren“, warnte er. Ausgerechnet der Milliardär Trump hätte diese Menschen durch Auftritte wie die in einer „Frittenbude“ (O-Ton Illner) abgeholt. Stünden Olaf Scholz und Friedrich Merz an der Fritteuse, würde Reuschenbach in jedem Fall hingehen. Aus rein wissenschaftlichem Interesse, versteht sich.
Wie viele Schaulustige würden sich erst versammeln, wenn Merz mit Trump die heißen Kartoffeln aus dem Öl holt. Dass man mit der neuen US-Regierung klarkommen werde, dessen war sich der CDU-Politiker sicher. Dafür müsse Europa aber zusammenhalten: „Trump beeindruckt nur Stärke, nicht Schwäche, auch Widerspruch.“ Man müsse aber auch die eigenen Hausaufgaben machen, denn das „Geschäftsmodell Deutschland - billiges Gas, billiger Markt in China und die Amerikaner zahlen für Sicherheit – ist over.“ Daraus müsste man Konsequenzen ziehen. (tsch)