Am Mittwochabend hat sich Sandra Maischberger in der ARD zwei Politiker ohne Ämter eingeladen. Mit Jürgen Trittin und Wolfgang Bosbach wollte sie über die Krise der Demokratie und über die Lehren aus den Wahlen von Sonntag diskutieren.
Im ARD-TalkJürgen Trittin tadelt Habeck-Petition: „Wenn es schiefgeht, übernimmt man Verantwortung“
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Robert Habecks Rückzug sei eine „honorige Haltung“, findet Jürgen Trittin (Bild). (Bild: WDR/Oliver Ziebe)
Eigentlich sind sie schon lange nicht mehr im Amt, aber sie mischen sich immer noch ein: Jürgen Trittin von den Grünen und Wolfgang Bosbach von der CDU, der vor allem in Ostdeutschland recht beliebt ist. Die beiden Politprofis sind am Mittwochabend zu Gast bei Sandra Maischberger im Ersten. Und nach den Wahlen am Sonntag gibt es einiges zu diskutieren.
Die Grünen haben deutliche Stimmenverluste hinnehmen müssen, Ex-Wirtschaftsminister Habeck will kein Führungsamt in seiner Partei mehr anstreben. Und die Union hat schwierige Koalitionsverhandlungen mit der SPD vor sich.
„Diese Frage wird nicht zum Scheitern der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD führen“
„Habt mal Mut und Vertrauen in jüngere Leute. Es müssen nicht immer die Älteren sein.“ Das ist der erste Rat, den Wolfgang Bosbach seinen Parteikollegen gibt. Und er hat einen guten Grund: Seine Tochter Caroline hat Bosbachs ehemaligen Wahlkreis gewonnen - mit gut 42 Prozent. Dabei hatte sie einen berühmten Mitbewerber: FDP-Chef Christian Lindner. Der kam auf knapp fünf Prozent.
Auch Jürgen Trittin hat einen Rat, und da geht es um Robert Habeck: „Robert hat einen Wahlkampf gemacht, der ganz auf ihn zugeschnitten war. Das hat die gesamte Partei so entschieden.“ Eine „honorige Haltung“ nennt er die Entscheidung von Habeck, sich zurückzunehmen. Er habe in der gleichen Situation genau so gehandelt, obwohl es schwerfiel, sagt Trittin. „Wenn es schiefgeht, übernimmt man die Verantwortung.“ Man hört heraus, dass sich Trittin wünscht, die Grünen mögen Habecks Entscheidung respektieren.
„Völlig befreit von irgendeiner Form von Häme“ will Bosbach eine Lanze für Habeck brechen: Klar, der Vizekanzler könne sich nicht frei machen von der „Verantwortung für das desaströse Wahlergebnis“ von 11,6 Prozent (Trittin: „Wir sind da gerupft rausgegangen“) und der „objektiv katastrophalen“ Abschlussbilanz als Wirtschaftsminister. Aber: „Ich kann mir gut vorstellen, wie es jetzt in Robert Habeck aussieht“, so Bosbach.
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Bei Sandra Maischberger am Mittwochabend zu Gast: Wolfgang Bosbach (CDU) und Jürgen Trittin (Grüne). (Bild: WDR/Oliver Ziebe)
Die Ampelregierung habe mindestens ein Jahr lang schlecht regiert, analysiert Trittin weiter. Das habe zu dem Erfolg der in Teilen rechtsextremen AfD beigetragen. Vor allem hat die Bundesregierung offenbar zu wenig getan, um die irreguläre Migration zu bekämpfen. Das will Merz ändern: Mit seiner Richtlinienkompetenz möchte er bereits am ersten Tag seiner Kanzlerschaft das Innenministerium anweisen, Migranten an den Grenzen zurückzuweisen, wenn sie keine Papiere hätten.
Dazu werde es nicht kommen, sagt jedoch Bosbach: „Von seiner Richtlinienkompetenz muss der Kanzler nur dann Gebrauch machen, wenn er der Auffassung ist, dass der Ressortminister ihm nicht folgen möchte.“
„Diese Frage wird nicht zum Scheitern der Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD führen“, sagt auch Trittin. SPD und Union müssten sich auf ein viel wichtigeres Thema konzentrieren: „Sie werden sich besonders intensiv damit auseinandersetzen müssen, wie in einer Welt, in die die Machtpolitik des 19. Jahrhunderts zurückkehrt, dieses Europa sich aufstellt. Und sie werden sich nicht mit kessen Sprüchen, auch mit antidemokratischen Sprüchen beschäftigen, und sie werden auch irgendeine Antwort auf Migration finden, von der ich sicher bin, dass sie mir nicht gefallen wird, aber diese Koalition wird genau daran nicht scheitern.“
Bosbach findet die Entscheidung richtig, Menschen an der Grenze zurückzuweisen. Man müsse wissen, wer ins Land komme, sagt er. „Wir können die Migrationspolitik der letzten Jahre nicht so fortsetzen, wie es gewesen ist. Das wird erhebliche gesellschaftliche Verwerfungen zur Folge haben.“
Sondervermögen für die Bundeswehr
Trittin entgegnet: „Wir werden uns nicht durch europarechtswidriges Verhalten oder nachbarschaftsunfreundliches Verhalten profilieren können, wenn wir auf der anderen Seite in der Frage, wie wir uns gegen weitere Expansionspläne durch Putin schützen, einen Kleinkrieg mit den Nachbarn machen.“
Gleichzeitig setzt sich Bosbach für ein Sondervermögen für die Bundeswehr ein, notfalls, indem noch einmal der Bundestag in seiner alten Struktur zusammenkomme. Trittin weist darauf hin, „dass wir investieren müssen in Sicherheit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“.
Darum sei ein Sondervermögen für die Bundeswehr nicht ausreichend. „Deswegen würde ich jederzeit bereit sein, eine neue Form der Schuldenbremse zu verabschieden, aber ein Sondervermögen nimmt genau den Druck darauf, diesen Weg zu gehen“, so der ehemalige Grünen-Chef.
Klar ist: Selten hat eine Regierung vor den ersten Sondierungsgesprächen vor so vielen Problemen gestanden wie die kommende. Um sie zu lösen, wird es viel Fingerspitzengefühl geben müssen. Auf beiden Seiten. (tsch)