Verliert ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit Absicht, ist das ein „historischer Tag“. Louis Klamroth nutzte diesen, um SPD, CDU, FDP und Die Linke nach ihrem Plan für Deutschland zu fragen. Statt klarer Antworten bekam er eine Lektion in der Kunst des Herumschlingerns - und verlor dabei selbst die Orientierung.
„Hart aber fair“„Jetzt geht alles durcheinander“: Selbst Klamroth blickte hier nicht mehr durch
Einige Stunden vor der letzten Talkrunde von „Hart aber fair“ in diesem Jahr hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die Abstimmung über die Vertrauensfrage verloren und damit den Weg für Neuwahlen am 23. Februar freigemacht. Während das Ergebnis zu erwarten war, sorgte der scharfe Ton der Spitzenpolitiker aller Parteien im Bundestag für Gesprächsstoff. Auch bei Louis Klamroth, der zum Thema „Politik in der Vertrauenskrise - wer hat jetzt den Plan für Deutschland?“ geladen hatte.
„Nichts gegen harten Wahlkampf, der muss zur Demokratie dazugehören. Aber gegenseitige Kopfnoten zu verteilen, kann man sein lassen“, spielte FDP-Fraktionschef Christian Dürr auf die Rede von Scholz an. Dieser hatte dem FDP-Parteivorsitzenden und Ex-Finanzminister Christian Lindner die „nötige sittliche Reife“ zur Regierungsbildung abgesprochen. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken verteidigte die Worte ihres Spitzenkandidaten hingegen im ARD-Talk als „Beschreibung der Realität.“
Ford-Beschäftigte: „Wir machen uns große Sorgen, wie es weitergeht“
Die hitzige Parlamentsdebatte wollte Gregor Gysi (Die Linke) nicht bewerten:. „Ich konnte nicht korrigierend eingreifen“, wich er Klamroths Frage aus. Mit dem Scheitern der Ampel wäre jedenfalls ein „bestimmtes Modell für die nächste Zeit nicht denkbar geworden“, analysierte er, „die Sorge ist: Was kommt jetzt?“ Dieser Unsicherheit müssten sich demokratische Parteien annehmen und überlegen, was sie falsch machen. Würde das Verhältnis zur Bevölkerung nicht verbessert, bestünde Gefahr für die Demokratie.
Sorge machten sich Menschen auch um ihre Jobs, lenkte Klamroth auf ein Wahlkampf-Thema: die Wirtschaft. „Bangen Sie persönlich?“, wollte der Moderator von Svenja Bolldorf wissen. Sie ist beim Automobilhersteller Ford beschäftigt, der das Streichen von 2.900 Arbeitsplätzen angekündigt hatte. „Akut nicht“, kam ihre Antwort, „wir haben eine Beschäftigungssicherheit bis Ende 2032.“
Doch es herrsche Verunsicherung, die Menschen arbeiteten bis an ihre Belastungsgrenzen, und es fehlten Fachkräfte. „Wir machen uns große Sorgen, wie es weitergeht“, forderte sie einen Plan des Unternehmens sowie der Politik zur Zukunft der Automobilindustrie.
Einen solchen beschreibt die SPD in ihrem Wahlprogramm: Mit einem zeitlich befristeten Steuerabzugsprogramm soll der Kauf von E-Autos angekurbelt werden. „Es geht um deutsche Arbeitsplätze“, sprach sich Esken gegen Werkschließungen aus.
Um in Deutschland produzierte Produkte wettbewerbsfähig zu machen, müsste zudem die Ladesäuleninfrastruktur verbessert und „bei Strom- und Energiepreisen etwas gemacht werden“, zählte sie auf.
Louis Klamroth: „Der Themenwechsel war meine Schuld“
Dass eine Kaufprämie made in Germany „europarechtskonform“ wäre, bezweifelte Dürr. „Mehr Arbeitsplätze, die produzieren, und weniger Verwaltung würden uns im Wettbewerb nach vorn bringen“, lautete seine Lösung.
Noch weiter holte Gysi aus, um den „toten Patienten“ (Zitat Klamroth) wiederzubeleben: Die Bundesregierung müsste investieren, damit die Steuereinnahmen wieder fließen, brachte er die Schuldenbremse ins Spiel. Sehr zur Freude von Klamroth, der einen Scholz-Einspieler parat hatte: „Wenn es ein Land auf der Welt gibt, das es sich leisten kann, in Zukunft zu investieren, sind wir das. Auch indem wir die Schuldenregel klug modernisieren“, hatte der gesagt.
Während Gysi wie Esken dieses Zitat mit Nicken begrüßten, konnte sich Melanie Amann (stellvertretende Chefredakteurin „Der Spiegel“) nur wundern: „Jetzt geht alles durcheinander“, war sie über den Themenwechsel irritiert und wandte sich an Bolldorf: „Ihr Job ist bis 2032 sicher, und dann soll der Staat kommen und sie durch Kaufprämien oder Förderprogramme unterstützen?“ Amann plädierte dafür, auf der Managementebene den Fehler zu suchen, statt auf eine Reform der Schuldenbremse zu hoffen. Applaus war die Folge.
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„Der Themenwechsel war meine Schuld“, war Klamroth die eigene Verwirrung anzusehen. „Jein, es hängt zusammen“, kam ihm Bolldorf zu Hilfe, „große Industrien brauchen Investitionen in Infrastruktur, um weiter kostengünstig produzieren zu können.“
Reiner Haseloff (CDU) will „notfalls eine Notlage erklären, um bestimmte Dinge zu realisieren“
„Jetzt weiß ich, wie ich von der Automobilwirtschaft zur Schuldenbremse kam. Weil sie Investitionen braucht“, war für Klamroth das Thema damit nicht vom Tisch: Im Entwurf des CDU-Wahlprogramms würde die Partei Investitionen von 50 bis 100 Milliarden Euro versprechen. Ob dafür die Schuldenbremse reformiert würde, fragte er Reiner Haseloff, den CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt.
Statt einer Antwort bekam der Moderator eine Lektion in der Kunst des Herumschlingerns: Große Budgetpositionen müssten durchgerechnet, das Bürgergeld überprüft werden. Außerdem gäbe es die Möglichkeit, „notfalls eine Notlage zu erklären, um bestimmte Dinge zu realisieren“. Solange diese Optionen nicht ausgeschöpft wären, bräuchte man über weitere Dinge „im Sinn von Generationengerechtigkeit“ nicht reden.
Merz würde es „nach der Wahl angehen, das ist klar“, nahm Amann der CDU dieses Nein keineswegs ab, „dreistellige Milliardensummen sind unmöglich zu schaffen, ohne die Schuldenbremse anzugreifen.“
Melanie Amann: „Diesen Streit werden wir nach der Bundestagswahl wieder haben“
Bei der FDP sieht man das anders: Die Ampel hätte die Investitionsquote unter Einhaltung der Schuldenbremse verdoppelt, gab Dürr ein „Signal an die, die die Regierungsverantwortung haben werden: Man kann im nächsten Jahr unter Einhaltung der Schuldenbremse auf Bundesebene 51 Milliarden neue Schulden machen“, meinte er und fügte hinzu: „Esken sagt, das reicht nicht aus.“
Allein an Schulen gäbe es einen Investitionsstau von 75 Milliarden Euro, nannte die SPD-Politikerin ihre Gründe. Hinzu kämen andere Investitionen in öffentliche Infrastruktur, die über Jahre vernachlässigt worden seien. „Dagegen hat niemand etwas“, konterte Dürr. Es wäre nicht das Ende der Debatte gewesen, wäre Amann nicht eingeschritten: „Diesen Streit werden wir nach der Bundestagswahl wieder haben“, prognostizierte sie.
Es wird nicht der einzige bleiben: Auch die Migrationsfrage und Vorschläge zur Mehrwertsteuersenkung wurden in dieser Sendung vermutlich nicht zum letzten Mal diskutiert. „Ich lade Sie alle wieder ein“, verabschiedete sich Klamroth in eine (verkürzte) Weihnachtspause, „es hat Spaß gemacht!“ (tsch)