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Johannes Kienast„Das System Gefängnis funktioniert nicht“

Schauspieler Johannes Kienast, 38, spielt eine Hauptrolle in der Sozial-Experiment-Serie „A Better Place“ im Ersten. Darin werden alle verurteilten Straftäter in die Freiheit entlassen und die Gefängnisse geschlossen. Kann das gutgehen - und gibt es tatsächlich „böse Menschen“? (Bild: Max Motel)

Schauspieler Johannes Kienast, 38, spielt eine Hauptrolle in der Sozial-Experiment-Serie „A Better Place“ im Ersten. Darin werden alle verurteilten Straftäter in die Freiheit entlassen und die Gefängnisse geschlossen. Kann das gutgehen - und gibt es tatsächlich „böse Menschen“? (Bild: Max Motel)

Johannes Kienast spielt in der Serie „A Better Place“ einen verurteilten Straftäter, der zu Frau und Kindern zurückkehrt. Grund ist ein Sozialexperiment: Die Gefängnisse einer Modellstadt im Ruhrgebiet werden geschlossen. Ihre Insassen sollen sich „draußen“ bewähren. Ein Modell für die Wirklichkeit?

Seit Menschengedenken gibt es Gefängnisse. Doch in kaum einer Gesellschaft haben sie Straftäter tatsächlich „resozialisiert“. Gefängnisse scheinen Straftäter eher in ihrer Rolle zu verankern anstatt sie zu anderen, besseren Menschen umzuerziehen, das zeigen viele Statistiken. Die Serie „A Better Place“ (Mittwoch, 22. Januar, 20.15 Uhr, Das Erste) wagt ein Gedankenexperiment: Die Gefängnisse einer fiktiven Großstadt im Ruhrgebiet werden geschlossen, die Straftäter in die Freiheit entlassen. Wie reagieren die Bürger, Opfer und Familien der Täter? Und wie geht es ihnen selbst mit der unverhofften Freiheit? Schauspieler Johannes Kienast spielt einen Verurteilten, der zu seiner von Katharina Schüttler gespielten Frau und zwei Kindern zurückkehrt. Für alle keine leichte Situation. Ein Gespräch über die Frage, ob es böse Menschen gibt.

teleschau: Die Serie „A Better Place“ spielt mit der Idee, dass Gefängnisstrafen abgeschafft und Täter - begleitet von Bewährungshelfern - in die Freiheit entlassen werden. Kann man dies bei allen Delikten verantworten?

Schauspieler Johannes Kienast arbeitete neun Jahre angestellt am Theater, ehe er sich - in der Corona-Zeit! - freischaffend vor der Kamera durchsetzen wollte. Parallel wurde er zweimal Vater. Alles nicht ganz einfach gewesen, sagt er. Nun scheint der Hallenser jedoch durchzustarten. Nach „A Better Place“ folgt eine weitere Serienhauptrolle 2025. (Bild: Max Motel)

Schauspieler Johannes Kienast arbeitete neun Jahre angestellt am Theater, ehe er sich - in der Corona-Zeit! - freischaffend vor der Kamera durchsetzen wollte. Parallel wurde er zweimal Vater. Alles nicht ganz einfach gewesen, sagt er. Nun scheint der Hallenser jedoch durchzustarten. Nach „A Better Place“ folgt eine weitere Serienhauptrolle 2025. (Bild: Max Motel)

Johannes Kienast: Ich finde die Idee der Serie, so etwas mal durchzuspielen, absolut interessant. Mit allen Chancen und Risiken. Haftstrafen haben nicht verhindert, dass viele Straftäter rückfällig geworden sind. Das zeigen beinahe alle Statistiken. Das System Gefängnis funktioniert nicht. Soweit ich weiß, in allen Ländern der Erde. Warum also nicht über alternative Ansätze nachdenken?

teleschau: Jetzt haben Sie aber nicht gesagt, ob Sie zwischen den Delikten unterscheiden würden. In der Serie erlebt man einen Mörder, einen Pädophilen und junge Leute, die Überfälle und Diebstahl auf dem Kerbholz haben ...

Kienast: Natürlich sind diese Delikte unterschiedlich schwerwiegend. Deshalb unterscheidet das Gesetz ja zwischen verschieden langen Haftstrafen. Trotzdem bin ich eher ein Freund der Devise „ganz oder gar nicht“. Jeder Straftäter ist ein Mensch.

„Ich denke, dass niemand böse geboren wird“

Straftäter Mark (Johannes Kienast) ist wieder bei seiner Frau Eva (Katharina Schüttler) und den beiden Kindern eingezogen. Noch fehlt es an gegenseitigem Vertrauen. Kann es wieder so werden wie früher? (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Straftäter Mark (Johannes Kienast) ist wieder bei seiner Frau Eva (Katharina Schüttler) und den beiden Kindern eingezogen. Noch fehlt es an gegenseitigem Vertrauen. Kann es wieder so werden wie früher? (Bild: © WDR/Studiocanal,)

teleschau: Das Programm in der Serie heißt „Trust“. Ist es nicht naiv, Menschen zu vertrauen, die sehr schlimme Dinge getan haben?

Kienast: Genau, das ist der Punkt. „A Better Place“ spielt die Idee durch, was passieren würde, wenn man Menschen vertrauen, respektieren und Chance geben würde, die dies alles nicht bekommen. Würde ein Straftäter von seinem bisherigen Leben Abstand nehmen und es überdenken, wenn man ihm oder ihr Vertrauen entgegenbrächte? Wenn man diesen Menschen vielleicht erstmals mit Respekt behandeln würde?

Fünf Jahre spielte er in Cottbus am Theater, danach vier Jahre in Braunschweig. Danach kündigte Johannes Kienast seine Festanstellung, um sich vor der Kamera durchzusetzen. In „A Better Place“ spielt der 38-Jährige einen Straftäter, der in die Freiheit entlassen wird. Doch sogar die eigene Familie begegnet ihm eher skeptisch ... (Bild: Max Motel)

Fünf Jahre spielte er in Cottbus am Theater, danach vier Jahre in Braunschweig. Danach kündigte Johannes Kienast seine Festanstellung, um sich vor der Kamera durchzusetzen. In „A Better Place“ spielt der 38-Jährige einen Straftäter, der in die Freiheit entlassen wird. Doch sogar die eigene Familie begegnet ihm eher skeptisch ... (Bild: Max Motel)

teleschau: Sie wären also dafür, die Idee der Serie real umzusetzen?

Kienast: Ich könnte es mir zumindest vorstellen. Natürlich ist es ein Modell, das völlig konträr zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmung stünde. Gerade sind wir ja eher wieder bei „law and order“, Sicherheitsangst und gegenseitigem Misstrauen. Es ist aber eine Spirale, die in die falsche Richtung verläuft. Wir müssen wieder einander zuhören und versuchen, andere zu verstehen. Nur so kann Gesellschaft funktionieren. Auch mir fiele es schwer, Menschen zuzuhören, die wie in der Serie sehr schlimme Dinge getan haben. Ich glaube jedoch, es könnte ein richtiger Weg sein, wie wir zu mehr Frieden und Menschlichkeit in der Gesellschaft gelangen könnten.

teleschau: Die zweite Folge der Serie trägt den Titel „Böse Menschen gibt es nicht“. Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

Straftäter Mark (Johannes Kienast, rechts) ist auf dem Weg vom Gefängnis, das an diesem Tag geschlossen wurde, nach Hause zu seiner Familie. Wird Marks Wiedereingliederung gelingen? Zu Hause ist man nach Jahren mit einem abwesenden Vater anfangs skeptisch ... (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Straftäter Mark (Johannes Kienast, rechts) ist auf dem Weg vom Gefängnis, das an diesem Tag geschlossen wurde, nach Hause zu seiner Familie. Wird Marks Wiedereingliederung gelingen? Zu Hause ist man nach Jahren mit einem abwesenden Vater anfangs skeptisch ... (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Kienast: Ja, ich glaube schon. Ich kenne aber auch Menschen, die vom Gegenteil überzeugt sind. Mein Stiefvater ist psychologischer Gutachter in diesem Bereich, und er sagt: „Ja, es gibt definitiv böse Menschen.“ Ich denke, dass niemand böse geboren wird. Natürlich ist es eine philosophische Frage: Was ist „böse“ überhaupt? Wie entsteht es? Wir Menschen haben keine eindeutige Antwort darauf. Nur Meinungen, für deren Vielfalt es jeweils gute Argumente gibt. Man kann die Frage, was böse ist, nicht exakt und naturwissenschaftlich beantworten.

„Wir werden es nicht schaffen, dass unsere Kinder ein glattes Blatt Papier bleiben“

teleschau: Sie geben aber zu, dass es Menschen gibt - einige sind uns aus der Weltgeschichte und den Nachrichten bekannt - die sehr böse Dinge tun?

Der entlassene Sexualstraftäter Jens (Ulrich Brandhoff) hat Angst vor sich selbst - aber auch vor jenem Mob, der von seiner Geschichte erfahren hat und Jagd auf den verunsichert-unglücklichen Mann macht.  (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Der entlassene Sexualstraftäter Jens (Ulrich Brandhoff) hat Angst vor sich selbst - aber auch vor jenem Mob, der von seiner Geschichte erfahren hat und Jagd auf den verunsichert-unglücklichen Mann macht. (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Kienast: Sicher gab und gibt es Menschen, die extrem böse und widerwärtige Dinge tun. Aber, sehen Sie, ich bin selber Vater und habe meine beiden Kinder gerade eben in die Kita gebracht. Wenn Sie diese kleinen Menschen dort sehen, denken Sie an alles nur nicht an das Böse. Und trotzdem werden vielleicht einige dieser liebenswerten Kinder, die ich in der Kita sehe, später böse Dinge tun. Es stellt sich also die Frage: Was ist schiefgelaufen?

teleschau: Haben Ihre Mutter oder Ihr Stiefvater eine Theorie dazu?

Kienast: Es wäre nicht fair, sie da jetzt ungefragt einzubinden (lacht), aber ich kann mich als Kind an Gespräche am Abendbrottisch über genau dieses Thema erinnern. Was ist böse? Wann und warum bricht es aus den Menschen heraus? Ich glaube ja, dass kleine Menschen wie meine Kinder wie Glaswesen sind. Man kann bei der Beziehung zu ihnen viel falsch machen. Ich habe eine Therapie angefangen, weil ich relativ kurz hintereinander zweimal Vater wurde und sich mein Leben - Stichwort: Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich viel mit sich selbst auseinandersetzen - extrem verändert hat. Meine Therapeutin hatte einen interessanten Vergleich zum Aufwachsen von Kindern.

Klaus Bäumer (Richard Sammel, links), Neonazi und verurteilter Mörder, wird aus dem Knast entlassen. Er ist verantwortlich für den Tod des Sohnes einer Frau, die ebenfalls in der Serie eine größere Rolle spielt. Ist es überhaupt möglich, in so einem Fall zu verzeihen? Und sind alle Menschen grundsätzlich „therapierbar“?  (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Klaus Bäumer (Richard Sammel, links), Neonazi und verurteilter Mörder, wird aus dem Knast entlassen. Er ist verantwortlich für den Tod des Sohnes einer Frau, die ebenfalls in der Serie eine größere Rolle spielt. Ist es überhaupt möglich, in so einem Fall zu verzeihen? Und sind alle Menschen grundsätzlich „therapierbar“? (Bild: © WDR/Studiocanal,)

teleschau: Und der wäre?

Kienast: Sie meinte, dass ein Mensch zu Beginn wie ein glattes Blatt Papier ist, das aber im Leben immer wieder zerknüllt wird. In deiner Verantwortung als Vater oder Mutter liegt es, wie zerknüllt das Blatt Papier am Ende ist. Du kannst es immer wieder glattstreichen, aber je nachdem, wie oft und intensiv man das Blatt zerknüllt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Risse ergeben und man es am Ende nicht mehr richtig glatt bekommt. Das fand ich einen guten Vergleich. Wir werden es nicht schaffen, dass unsere Kinder ein glattes Blatt Papier bleiben. Auch wenn wir uns das wünschen als Eltern, es wird nicht funktionieren. Wir sollten allerdings versuchen, dass es nicht zu viele Knicke und Zerknüllungen im Laufe der Zeit werden.

„Auch ich habe als Jugendlicher manchmal Mist gebaut“

Die Geschwister Yara (Aysima Ergün) und Nader (Youness Aabbaz) verkörpern in der Serie „A Better Place“ zwei Pole eines Gedankenspiels. Während er - aus der Haft entlassen - ein gesetzeskonformes Leben anstrebt, nutzt sie die liberale Gesetzeslage aus, um ungehindert Straftaten begehen zu können.  (Bild: © WDR/Studiocanal,)

Die Geschwister Yara (Aysima Ergün) und Nader (Youness Aabbaz) verkörpern in der Serie „A Better Place“ zwei Pole eines Gedankenspiels. Während er - aus der Haft entlassen - ein gesetzeskonformes Leben anstrebt, nutzt sie die liberale Gesetzeslage aus, um ungehindert Straftaten begehen zu können. (Bild: © WDR/Studiocanal,)

teleschau: Gibt es ein Rezept, wie man das hinbekommt?

Kienast: Es gibt eine Grundüberzeugung, und die muss lauten: Ihr seid so in Ordnung, wie ihr seid. Das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann, ist Liebesentzug. Oder auch, dass man ihm das Gefühl gibt, sie oder ihn nicht ernst zu nehmen. Es ist auch unsere Aufgabe zu lernen, wie schön es ist, Liebe zu geben. Selbst, wenn man charakterlich oder von seiner Herkunft diesbezüglich nicht so begabt oder erfahren ist. Es klingt kitschig, ist aber wahr: Liebe und Respekt für die anderen sind immer der Schlüssel für gute Beziehungen und psychische Gesundheit.

teleschau: Was passiert, wenn dies nicht passiert?

Kienast: Wenn wir beim Beispiel Kinder bleiben, denke ich, dass Kinder es spüren, wenn sie auf Dauer in ihren Bedürfnissen nicht ernst genommen werden. Dann suchen sie sich Auswege. Das können extrem abstruse Gedankengebäude sein, die kein Erwachsener später mehr verstehen würde, weil es Kinderkonstrukte des Überlebens sind. Aber sie entstehen - auch die hochgradig dysfunktionalen -, weil Kinder sich an irgendetwas festhalten müssen. Besser wäre es, Kinder einfach davor schon ernst und vielleicht öfter mal in den Arm zu nehmen.

teleschau: Kommen wir zum Ende noch mal auf Straftäter zurück. In der Serie gibt es zwei Geschwister mit Migrationshintergrund, bei denen man sagen würde: Das sind eigentlich liebe Menschen, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Wie wichtig ist das Umfeld, sprich: jene Kreise, in denen man aufwächst?

Kienast: Ich denke, das hat nicht unbedingt etwas mit Migrationshintergrund zu tun. Es passiert überall, aber ja: Das Umfeld eines jeden Menschen spielt sicher eine Rolle. Und es geht vor allem ums Gesehen- und Akzeptiert-werden. Ich weiß ein bisschen, wovon ich spreche, denn auch ich habe als Jugendlicher manchmal Mist gebaut, wurde das ein oder andere Mal von der Polizei nach Hause gebracht. Das war so im Alter zwischen 16 und 19. Wir haben Fahrräder geklaut und andere Dinge getan, auf die ich nicht stolz bin. Doch warum habe ich diese Dinge getan? Weil ich vor meinen Kumpels cool sein wollte. Der Wunsch nach Akzeptanz stand immer hinter diesen Taten. Deshalb ist es auch richtig, im Umgang mit Straftätern an den Ursachen zu arbeiten, warum diese Menschen überhaupt straffällig wurden. (tsch)