Corona hat Spuren hinterlassen. Fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie kämpfen viele Menschen noch immer mit dem Virus und seinen Folgen. Eine ARD-Doku lässt Erkrankte, Impfgeschädigte und Impfgegner zu Wort kommen - und einen Gesundheitsminister, der sich nicht entschuldigen möchte.
Krank durch Corona und ImpfungÄrztin berichtet in ARD-Doku von „immer mehr“ erschütternden Fällen
Am 11. Januar 2020 meldete China den ersten Corona-Todesfall. Heute, fünf Jahre nach Beginn der Pandemie, scheint der breiten Masse die Rückkehr in die Normalität geglückt zu sein. Für andere hat sich Covid-19 zum nicht enden wollenden Albtraum entwickelt - die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen, körperlich wie seelisch. Die ARD-Dokumentation „Corona-Schicksale - Was von der Pandemie bleibt“ bemüht sich nun um Aufarbeitung.
Unter anderem trifft Journalist und SWR-Nachrichtensprecher Sascha Becker für seine Recherchen den 15-jährigen Theo Astor. Nach einer Corona-Infektion im März 2022 erkrankte der Schüler an ME/CFS. „Ich war ein ganz normaler Junge“, sagt er. Heute sitzt Theo im Rollstuhl, konnte phasenweise monatelang sein Bett nicht verlassen.
„Es ist, wie wenn einem das Herz einer rausreißt und Samba darauf tanzt“, berichtet Theos Mutter Rebekka Astor und erklärt: „Noch ist überhaupt nichts auf dem Markt, was heilen könnte. Wir können probieren, Symptome zu lindern: Schlafprobleme, Aufwachprobleme, Schmerzen, Wortfindungsstörungen - dafür gibt es Medikamente. Aber kein einziges davon ist für diese Krankheit zugelassen.“ Seine Eltern geben Theo sämtliche Mittel „off-label“ - „das heißt, wir unterschreiben, dass wir das in Eigenverantwortung verabreichen. Es wird auch nichts von der Kasse bezahlt.“
„Die Wahrscheinlichkeit, dass es aufhört, ist für mich null“
Auch Theos Ärztin weiß um die fehlende Versorgung von Long-Covid-Patientinnen und -Patienten. Die Politik müsse „die Versorgungsstruktur verbessern, mit den Krankenkassen verhandeln und die Erkrankungen sichtbarer machen“, fordert Astrid Weber. „Wenn man mal sieht, was das für einen volkswirtschaftlichen Schaden hat - das sind ja meistens junge Menschen, die nicht mehr arbeiten gehen können“, weiß die Medizinerin.
Als Theo während eines Beratungsgesprächs in ihrer Praxis plötzlich vor Erschöpfung zusammenbricht, zeigt sich Weber nicht überrascht. „Ich habe Fälle, die Sie nicht sehen. Kinder, die sterben wollen“, berichtet sie. „Das belastet mich schon auch. Es werden auch immer mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass es aufhört, ist für mich null.“
ME/CFS nach Corona-Impfung: „Alles über den Haufen geworfen“
Doch nicht nur die Corona-Infektion selbst hat viele Menschen nachhaltig gesundheitlich beeinträchtigt. Auch die Impfung gegen das Virus kann das Chronische Erschöpfungssyndrom ME/CFS auslösen. Für die 25-jährige Annika aus Impflingen etwa hat sich das Leben nach einer Corona-Schutzimpfung drastisch verändert. „Sie hat studiert, komplett selbstständig, stand kurz vor ihrem Bachelor. Und jetzt ist alles über den Haufen geworfen, und wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt ihre Mutter Silke Weichsel.
Mit Annika selbst spricht der Reporter in ihrem Zimmer, sie liegt im Bett, kann sich nicht aufsetzen. „Ich verbringe die meiste Zeit hier. Es sind halt immer dieselben vier Wände, die Kraft fehlt“, erklärt sie unter Tränen: „Das ist schon eine lange Zeit, das sind keine drei Tage oder drei Wochen, sondern fast drei Jahre. Ich bin nirgendwo dabei, auf keiner Hochzeit, keinem Geburtstag. Und das alles nur, weil ich damals für mich eine falsche Entscheidung getroffen habe.“
Mittlerweile besitzt die junge Frau Pflegerad drei: Sie kann sich nicht selbstständig waschen, anziehen oder versorgen. Weil der Impfschaden nicht anerkannt ist, zahlt die Krankenkasse nichts. Rund 20.000 Euro haben Annika und ihre Familie nach eigenen Angaben bislang aufgrund der Erkrankung ausgegeben.
„Ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, eine Minderheit zu sein“
Annika sei „keine wütende Impfgegnerin, schon gar keine Verschwörungstheoretikerin“, heißt es im Film. Doch auch diejenigen, die eine Impfung verweigerten, kommen im Film zu Wort. „Wer sich nicht impfen ließ, wurde misstrauisch beäugt und abgestempelt. Das hat in der Gesellschaft tiefe Gräben gerissen“, glaubt Sascha Becker.
Am eigenen Leibe gespürt haben will dies unter anderem Thorsten Gabbert. Der Berufsschullehrer sei als Ungeimpfter „teilweise auf Geburtstage nicht mehr eingeladen“ worden, Freunde hätten ihn und seine Töchter gemieden. Die soziale Ausgrenzung belastete den dreifachen Vater: „Ich hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, eine Minderheit zu sein.“
Doch was sagt die Politik dazu? Auch der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) bezieht in der ARD-Sendung Stellung. 2021 hatte er gesagt: „Alle, die sich immer noch nicht impfen lassen möchten, müssen damit rechnen, dass man sie sehr genau beobachtet.“ Heute erklärt er: „Ich habe das nicht als Druck ausüben empfunden.“
Es sei laut Hoch zum damaligen Zeitpunkt „genau die notwendige Reaktion“ gewesen, zu sagen: „Leute, ihr seid frei in eurer Entscheidung, aber wenn ihr euch bewusst dagegen entscheidet, müsst ihr auch die Konsequenzen tragen.“ Beckers Frage, ob er sich im Nachhinein entschuldigen wolle, verneint der Politiker. „Ganz im Gegenteil. Ich bin dezidiert der Auffassung, dass es völlig richtig war“, stellt er klar. Eine Stigmatisierung Ungeimpfter habe nicht stattgefunden. (tsch)