Leslie Mandoki ist einer von Deutschlands Vorzeige-Produzenten. Auf dem neuen Album seiner Mandoki Soulmates verarbeitet der Musiker gesellschaftliche Probleme. Mit EXPRESS.de sprach er darüber.
Lieder mit HaltungMusik-Legende schlägt Alarm: „Müssen Aufstehen gegen Spaltung, Fake und Hetze“
Musikproduzent Leslie Mandoki (71) könnte die Idylle seines Wohnortes am Starnberger See eigentlich inzwischen in Ruhe genießen. Der gebürtige Budapester floh 1975 als Anhänger der studentischen Opposition aus Ungarn durch den Karawanken-Tunnel und landete im Zentrallager für Asylbewerber in Bayern.
Dort wurde er von einem jungen Beamten gefragt, was er denn nun in Freiheit, in Deutschland machen wolle. Er erklärte ihm, dass er gerne mit Ian Anderson von Jethro Tull, Jack Bruce von Cream und Al Di Meola musizieren möchte, was der Beamte natürlich nicht glaubte.
Leslie Mandoki floh 1975 aus Ungarn nach Deutschland
Mit Unterstützung von Klaus Doldinger und Udo Lindenberg konnte Mandoki als junger Schlagzeuger dann erste Kontakte in die Münchener Studioszene knüpfen. Als Mitglied der deutschen Popgruppe Dschinghis Khan wurde er weltweit bekannt.
Doch in seinem musikalischen Verständnis fand er sich dort nicht wieder, weshalb er seinen eigenen Weg einschlug und zu seinen Prog-Rock-Wurzeln zurückkehrte, um sich selbst treu zu bleiben und seinen musikalischen Traum, weshalb er durch den Eisernen Vorhang geflohen war, zu verwirklichen.
1992 gründete er dann tatsächlich gemeinsam mit Ian Anderson, Al Di Meola, Jack Bruce und weiteren Legenden wie Bobby Kimball von Toto, Bill Evans, David Clayton-Thomas oder Anthony Jackson das Projekt Mandoki Soulmates, musikalisch zwischen amerikanischem Fusion-Jazz und englischem Progressive-Rock angesiedelt. Im Laufe der Jahre kamen viele weitere legendäre Musikgrößen zu den Soulmates.
Mandoki, der auch Stars wie Lionel Richie, Phil Collins, Jennifer Rush oder die No Angels produzierte, aber auch Musik für Disney, VW und den FC Bayern München erschuf, gelingt mit seiner Supergroup eine Neudefinition von gesellschaftspolitisch relevantem Prog-Rock.
Kriege, Fake News, vergiftete Debatten, Wirtschaftskrisen, Klimawandel – es gibt viele Themen, die dem Schöpfer der Band durch den Kopf schießen. Während der Jubiläumstour zum 30-jährigen Bestehen begann der Musiker daher, diese Missstände in Lieder umzusetzen. Herausgekommen ist das 80-minütige Konzeptalbum „A Memory Of Our Future“ („Eine Erinnerung an unsere Zukunft“).
EXPRESS.de traf Mandoki in Köln, um mit ihm über die Motivation für die neuen Lieder, seine Vergangenheit und seine Haltung zum Rechtsruck in Deutschland zu sprechen.
„A Memory Of Our Future“ ist schon das 16. Prog-Rock-Album der Soulmates. Was ist die Botschaft dahinter?
Leslie Mandoki: Das Album sind wir unserer eigenen Biografie und der Zuneigung des Publikums schuldig. Das Tragische ist, dass wir uns nicht mehr nur in einzelnen Krisen befinden, sondern in einem ganzen Labyrinth der Krisen, ohne Kompass. Viele davon sind sichtbar wie Krieg, Pandemie, Klima. Aber auch die Tatsache, dass viele Menschen, die einen Mehrwert für unsere Gesellschaft erarbeiten, die Rezession empfindlich spüren, gleichzeitig aber die Börsen von einem Hoch zum nächsten eilen, besorgt mich.
Mandoki Soulmates: Neues Album heißt „A Memory Of Our Future“
Also wollten Sie ein Protest-Album aufnehmen?
Leslie Mandoki: Wir fühlen Demut und eine Verpflichtung, etwas von der Liebe unseres Publikums zurückzugeben. Am Ende des dunklen Tunnels wollen wir einfach die Fackel halten. Wir möchten den schwarzen Schwan, der unser Plattencover „ziert“ und all das Ungemach symbolisiert, wieder weiß kriegen. Es geht um Antworten und Zuversicht, damit wir uns aus dem Krisenmodus befreien, aufrütteln und versuchen, die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Klingt aber kompliziert.
Leslie Mandoki: Wir dürfen uns nicht zurückziehen, den Kopf nicht in den Sand stecken, sonst landen wir in einem Morgen der Dystopien. Wir brauchen mehr Mut, unsere Komfortzonen zu verlassen und aufzustehen für das, wovon wir glauben, dass es richtig ist und uns aufzulehnen gegen das, wovon wir wissen, dass es falsch ist. Das Album ist komplett ungeplant gewesen. Aber als wir auf Jubiläumstour waren, kamen so viele Ideen. Wir mussten es einfach aufnehmen.
Steht der Song „We Stay Loud“ symbolisch für die Haltung?
Leslie Mandoki: Wir hoffen auf die Kraft und den Klang eines Woodstock 4.0. Wir haben eine Botschaft: Wir müssen wieder die Brücken aufbauen, die völlig zerfallen sind. Wir brauchen wieder mehr Mut zur Utopie. Für eine gemeinsame Zukunft in einer besseren Welt! Aufstehen gegen Spaltung, Fake und Hetze – für Wahrhaftigkeit, Generationengerechtigkeit und Menschlichkeit. Und die Musik kann uns einen. Natürlich bedienen unsere Prog-Rock-Songs nicht den aktuellen Mainstream, sondern sind etwas unbequemer. Umso glücklicher bin ich, dass es so viele Radiostationen spielen, obwohl ich weiß, dass es eigentlich das Format sprengt. Aber so etwas muss als Statement sein. Ich leiste mir diese Freiheit, nicht formatgerecht zu arbeiten.
Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit mit 16 Musikern, die alle für sich absolute Könner sind?
Leslie Mandoki: Von meinem befreundeten Produzenten Quincy Jones habe ich eine Idee übernommen. Am Studio hängt die Botschaft „Check your Ego at the Door“ („Überprüf‘ dein Ego an der Tür“). Seit 32 Jahren arbeiten wir wie aus einem Guss und jeder bringt seine musikalische Persönlichkeit mit ein. Alles funktioniert mit natürlicher Autorität, die man nicht ausspricht. Es gibt allerdings schon gute Gründe, warum wir live schon mal über vier Stunden spielen. Da möchte natürlich jeder sein Können zeigen. Bei uns gibt es für ein Ticket drei Konzerte (lacht).
Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung in der Musikbranche?
Leslie Mandoki: Die Masse an Musik ist durch das Streaming enorm geworden. Die technischen Möglichkeiten der Postproduktion und auch KI erlauben es Künstlern, relativ schnell Lieder zu produzieren. Es wird immer schwieriger, komplexe Alben zu produzieren. Es gibt wahnsinnig begabte junge Musiker. Aber in 20 Jahren werden wir es vielleicht spüren, wenn es für die großen Hallen und Stadien nicht mehr die Bands gibt, die sich lange gehalten haben.
Ist Ihnen die aktuelle Musik zu austauschbar?
Leslie Mandoki: Herbert Grönemeyers erste Alben waren Flops, Robbie Williams hatte nach seiner Trennung von Take That zunächst auch keinen Erfolg. Deshalb ist es die Frage, wie viel Zeit, Pflege und Hingabe sich Musiker heute noch für ihr Werk leisten dürfen. Es wird oft ein Erfolgsmodell kopiert und schnell ein Trend verfolgt. Ende der 60er, Anfang der 70er war die kreativste Zeit. Jethro Tull, Led Zeppelin, Deep Purple, The Who, The Doors, Frank Zappa – das war neue, nicht angepasste, aber großartige Musik. Deshalb haben wir unser Album auch wie damals komplett analog mit Bandmaschine aufgenommen – vom ersten Ton bis zum fertigen Vinylmaster. Einfach, um in diesen digitalen Zeiten etwas wirklich Echtes und Wahrhaftiges zu schaffen. Wenn die Aufnahme läuft, gilt es. Das war extrem spannend und beglückend zugleich. Das ist wie ein mit Tinte handgeschriebener Liebesbrief, wenn du nur ein einziges schönes Blatt Briefpapier hast.
Leslie Mandoki: Das muss für ein Dschinghis-Khan-Comeback passieren
Die Dschinghis Khan-Zeit haben Sie lange hinter sich gelassen. Was müsste man Ihnen eigentlich bieten, damit Sie in der Gruppe noch einmal ein Comeback geben?
Leslie Mandoki: Da gäbe es nur eine Möglichkeit: Frieden. Wenn dadurch das sinnlose Morden, Sterben und Zerstören sofort gestoppt werden könnte, würde ich noch ein letztes Mal „Moskau“ singen. Aber das wird wohl leider nicht passieren. Seit 42 Jahren ist Dschinghis Khan für mich Geschichte und das bleibt auch so.
Was verbindet Sie mit Köln?
Leslie Mandoki: An Köln gefällt mir der Klüngel und der spritzige, hinterlistige Humor. Die Kölner sind irgendwie wie deutschsprechende Ungarn, mit dieser Art bin ich in Budapest aufgewachsen. Mit Karneval werde ich zwar nicht warm, aber ich mag es, wie schnell man hier miteinander ins Gespräch kommt.
Sie sind politisch sehr aktiv, haben schon für Angela Merkel gesungen. Wie beurteilen Sie die hohen Umfragewerte in Deutschland für die AfD?
Leslie Mandoki: Nur wütend zu reagieren, bringt nichts. Ich frage mich, was wir falsch gemacht haben, dass so etwas überhaupt passieren kann? Wo können wir ansetzen? Am besten bei der Wahrheit. Es gibt in Deutschland so viele tüchtige Menschen unterschiedlichster Herkunft, ohne die Wohlstand, Wirtschaft und Gemeinwesen bei uns nicht mehr funktionieren würde, vom Gesundheitssystem und Pflege ganz zu schweigen. Ich würde gerne als ehemals illegaler Einwanderer mit den AfD-Chefs über meine Liebe zu Deutschland streiten – einem toleranten, gerechten und demokratischen Deutschland.
Leslie Mandoki will mit AfD-Chefs über Liebe zu Deutschland streiten
Glauben Sie, dass solch ein Dialog etwas ändern könnte?
Leslie Mandoki: Es ist wichtig, offen zu diskutieren und zu streiten. Wir brauchen wieder breitere Diskussionsräume in der Mitte, in denen offen Widerspruch stattfinden kann. Nur argumentativer Diskurs führt zu Erkenntnisgewinn und verhindert, dass Unwahrheiten in den Blasen unwidersprochen verbreitet werden können. Ausgrenzung ist bequem, Widersprechen ist anstrengend. Aber wir müssen diese Herausforderung annehmen und Menschen, die anders denken, nicht direkt als Feind ansehen, sondern mit ihnen streiten und versuchen, sie zu überzeugen. Das bedeutet nicht, dass ich von meinem Wertekanon abrücke, der steht nicht zur Disposition. Ich liebe dieses Land, das ist meine Heimat. Und dafür lohnt es sich allemal zu streiten.
Da klingt wieder der renitente Rebell durch, wie sie sich selbst bezeichnen.
Leslie Mandoki: Wir haben die Kraft, müssen sie nur mobilisieren. Ich schulde diesem Land etwas für all die Chancen, die ich erhalten habe. Und unsere neue Platte ist eine der Antworten darauf. Ich habe noch Zeiten erlebt, als mitten in Deutschlands Osten Schießbefehl, Bespitzelung, Folter und Zensur möglich waren. Freiheit fließt nicht aus dem Wasserhahn. Wir sollten sie nicht als selbstverständlich ansehen.